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aufbau west - aufbau ost
Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit

Wolfsburg: Vom Leben in einer jungen Stadt

Wie in Stalinstadt richteten sich die Verheißungen des neuen Gesellschaftssystems auch in Wolfsburg an die Arbeiterschaft. Diese war jung und aus vielen Regionen und Berufen ›zusammengewürfelt‹. In VW-Generaldirektor Nordhoff fanden die Arbeiter so etwas wie eine "Vaterfigur"; ihm gelang es, die "VW-Familie" zusammenzufügen. Die Feiern der Produktionsjubiläen gehörten zu den herausragenden ›gesellschaftlichen‹ Ereignissen der Stadt. Neben diesen gemeinsamen Erfolgserlebnissen stand das Streben nach Wohlstand und individueller Lebensgestaltung. Nicht die Arbeit selbst wurde gefeiert, sondern ihr Produkt, der VW-"Käfer". Der Aufbau der eigenen Existenz stand vor politischem Engagement. Doch es gab alle Spielarten des Vereinswesens, das eine Integration der neuen Bürger, darunter viele Flüchtlinge und Vertriebene, erleichterte. Den größten Zulauf hatten die Sportvereine, die vom Werk finanziell unterstützt wurden, aber auch die Geselligkeiten der Landsmannschaften. Das kulturelle Leben war in den frühen fünfziger Jahren noch sehr stark vom Werk bestimmt, das Kunstausstellungen, Theater- und Konzertgastspiele organisierte und auch ein Kino einrichtete. Die Stadt bemühte sich zunehmend, auch die kulturelle Versorgung der Bevölkerung zu übernehmen. Höhepunkt dieser Entwicklung war 1962 die Eröffnung des Kulturzentrums.

Arbeitsplatz Volkswagenwerk

Das Volkswagenwerk war der größte Arbeitgeber der Stadt wie der Region. Der Zustrom von Arbeitskräften hielt an, darunter viele Flüchtlinge aus der DDR. Bis Ende der fünfziger Jahre stieg die Zahl der Arbeitsplätze auf über 30.000 an. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens ermöglichte ein hohes Lohnniveau und gute Sozialleistungen. Der Abstand zwischen dem Einkommen bei VW und der durchschnittlichen Lohnentwicklung in der Bundesrepublik wuchs.

Rationalisierung

Die Modernisierung der Produktionsverfahren veränderte die Arbeitswelt ständig. Vor allem im Rohbau und in der Lackierei, wo unter größter körperlicher Belastung gearbeitet werden mußte, bedeutete dies für die Arbeiter eine deutliche Erleichterung. Doch wo Maschinen ihre Arbeit übernahmen, fielen auch Arbeitsplätze weg. Die Automation ersetzte einfache Hilfsarbeiten durch neue Berufe. Jährlich wurden Tausende von Mitarbeitern in andere Arbeitsbereiche umgesetzt
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Aufstiegschancen

Wie im Eisenhüttenkombinat arbeiteten auch im Volkswagenwerk in den ersten Nachkriegsjahren viele ungelernte Kräfte. Anfangs gab es in der Belegschaft eine hohe Fluktuation. Wer blieb, hatte die Möglichkeit, beruflich weiterzukommen. Frauen dagegen arbeiteten häufig in Bereichen, die keine Ausbildung erforderten. Die meisten von ihnen sahen ihre Arbeit als Übergangsphase zwischen Schulzeit und Hochzeit bzw. erstem Kind. Ein 1949 verhängter Einstellungsstopp für verheiratete Frauen wurde erst 1965, als Arbeitskräftemangel herrschte, aufgehoben.

 
Politik im Werk

Heinrich Nordhoff, von 1948 bis 1968 Generaldirektor des Volkswagenwerkes, war unangefochtene Autorität, Vorbild und Vaterfigur der "VW-Familie". Die gewerkschaftliche Interessenvertretung hatte es in den erfolgreichen Jahren des Unternehmens nicht schwer, ihre Forderungen durchzusetzen. Das Einvernehmen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung sorgte für einen schier unerschütterlichen Arbeitsfrieden. Die "Sozialpartnerschaft" im Volkswagenwerk wirkte als Schrittmacher für das "Modell Deutschland", in dem kein Arbeitskampf die Entwicklung zur Wohlstandsgesellschaft bremste.
 
Der "Käfer"

Die Produktion im Volkswagenwerk wuchs in den fünfziger Jahren sprunghaft an. Liefen 1950 täglich etwa 300 Wagen vom Band, waren es 1955 schon über 1.000. 1960 fertigte das Werk täglich rund 4.000, also alle drei Minuten einen "Käfer". Rohbau, Lackiererei und Endmontage bildeten die wichtigsten Produktionsbereiche. Zunächst wurden die Karosserieteile im Preßwerk aus großen Stahlblechen gestanzt und geformt, anschließend in der Schweißerei zusammengebaut. Auf die Lackierung folgte die "Hochzeit" mit dem vormontierten Fahrgestell. Der Motor und alle weiteren Teile wurden am Montageband eingebaut.
 
"Gastarbeiter"

Die Auftragslage des Volkswagenwerkes verbesserte sich bis zur Rezession 1966/67 stetig. Doch Anfang der sechziger Jahre - in der Bundesrepublik herrschte Vollbeschäftigung - fehlte es an Arbeitskräften. Die Personalabteilung des Werkes warb daher Arbeiter in strukturschwachen Gebieten Italiens an. Die guten Verbindungen des katholischen Generaldirektors Heinrich Nordhoff zum Vatikan erleichterten die Aktion. Seit 1955 war der Zuzug von italienischen Arbeitern durch eine zwischen der Bundesrepublik und Italien geschlossene "Wanderungsvereinbarung" geregelt. Ende Januar 1962 trafen die ersten Italiener in Wolfsburg ein, 1965 waren es über 5.000. Bald stand die Stadt im Ruf, "das größte italienische Dorf jenseits der Alpen" zu sein.
 
Landsmannschaften

Sehr viele Wolfsburger waren Flüchtlinge und Vertriebene. Entsprechend ihrer regionalen Herkunft schlossen sich - wie überall in der Bundesrepublik - zu "Landsmannschaften" zusammen. Diese vermittelten ihren Mitgliedern am neuen Wohnort ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und hielten die Erinnerung an die "alte Heimat" wach. Zugleich verfolgten sie die von den westdeutschen Landsmannschaften propagierte restaurative Politik zur "Rückgewinnung" der ehemaligen deutschen Ostgebiete. In der DDR waren sie nicht zuletzt deshalb als "revanchistisch" verboten
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Schulen in Wolfsburg

"Zehn Schulen in fünf Jahren gebaut", jubelte man im Herbst 1955, doch noch immer herrschte "Schulraumnot". Der Strom der Zuzügler nach Wolfsburg riß nicht ab. Viele kamen mit Kindern oder gründeten bald eine Familie. Die Mittel für Schulen und Kindergärten mußte die Kommune größtenteils selbst aufbringen, und bald wurde der Vorwurf laut, es werde mit zu viel Aufwand gebaut. Andere Stimmen meinten, ebenso wie eine komplette Familie gehöre auch eine komplette Schule zur Erziehung. Pädagogen forderten die Einrichtung von Schulen als "erweiterte Wohnstuben". Die Ausstattung der neuen Gebäude entsprach "jenen modernen und sachlichen Formen, zu denen auch Kinder leicht eine Einstellung finden".
 

Kirche

 
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