Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Vorwort
Einführung
Abbildungsteil
Regionale Zentren
Dokumentation
Anhang

Vorwort

Die DDR entfernt sich zwar zeitlich von uns, aber sie wird dadurch nicht proportional kleiner. Auf paradoxe Weise wird sie gerade im Rückblick zu dem “Phänomen”, also zu dem nicht auf einen Nenner zu bringenden Gebilde, das sie in der Spache ihrer westdeutschen Kritiker in der Zeit des Alleinvertretungsanspruches gewesen war. Das liegt daran, daß jetzt, wo die Zungen aller Beteiligten gelöst sind, die Meinung darüber, wie es wirklich gewesen ist, dissonant durcheinander klingen.

Das Museum als ein Ort der Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart hat es in solcher Situation schwer und leicht zugleich. Den Nachteil, nicht die geschehene Geschichte, sondern nur ihre materielle Hinterlassenschaft ausstellen zu können, kann man auch als Vorteil ansehen: Unbezweifelbar hat das gelebte Leben die im Museum zu versammelnden Zeugnisse hinterlassen. Sie nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch zu deuten, ist bei allen historische Ausstellungen eine Gemeinschaftsleistung von Museum und Publikum – und nicht selten gibt es verblüffende Konstellationen, wo das historische Objekt erst in der Konfrontation mit der öffentlichen Meinung seinen eigenen Sinn erhält.

Das Deutsche Historische Museum hat seit der deutschen Eingung, getreu dem Auftrag zur “Aufklärung und Verständigung über die gemeinsame Vergangenheit”, der Geschichte der DDR und vor allem ihrer Kunst große Aufmerksamkeit gewidmet. Daß wir 1990 die Sammlung und den Ort des offiziellen Geschichtesmuseum der DDR übernommen haben, hat seine Logik über die Institutionsgeschichte hinaus. Die Hinterlassenschaft der DDR – im Guten, im Fragwürdigen wie im Bösen – gehört dem Gemeinbesitz aller Deutschen. Der Wunsch, ihr aus dem Weg zu gehen, wäre nicht nur politisch unmöglich, sondern auch kulturhistorisch unsinnig: Mit allen Leiden und Schmerzen ist die DDR zum nationalen Erbe geworden.

Seit 1990 hat das Deutsche Historische Museum in systematischer Folge von Forschungsunternehmungen, Ausstellungen, Symposien, Filmreihen und Dokumentationen die historische Landschaft der DDR zu vermessen versucht. Ein Bericht darüber und über das oft kontroverse, nie leise Echo unserer Bemühungen würde den Rahmen dieses Vorwortes sprengen. Der Moment für eine Bilanz ist sicher das Jubiläumsjahr 1999, in dem auch das Milieu Kultur sich Rechenschaft über seine Rolle im Einigungsjahrzehnt abgeben sollte. Wenn es uns gelungen ist, aus Vorurteilen begründete Urteile, aus Monologen im Osten und Westen immerhin einen Dialog zu machen, haben wir unsere Aufgabe erfüllt: Museen sind Katalysatoren der Urteilsbildung, nicht Notariate zur Beglaubigung abgeschlossener Meinungsbildung.

Mit “Boheme und Diktatur in der DDR”, einem Projekt, das ganz passend zu seinem Thema – anders als unsere anderen Ausstellungen – nicht von einer größeren Gruppe, sondern von zwei bewußt allein Arbeitenden recherchiert wurde, schließen wir fürs erste unsere Serie der DDR-Ausstellungen, die im Herbst 1989 mit Stefan Moses Fotoprojekt “Abschied und Anfang” begonnen hatte.

Christoph Stölzl


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