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Dreimaster am Horizont

Solitäre mit Durchschlagkraft: Die Bohemiens Thomas Roesler und Wolfram Adalbert Scheffler

Der Dirigent ist nicht von dieser Welt. Einen Lampenschirm auf dem Kopf, klobige Winterschuhe an den Füßen, die linke Hand auf einen Skistock gestützt, steht der Maler Wolfram Adalbert Scheffler, 26 Jahre alt, da und gibt mit einer Neonröhre in der rechten Hand Einsätze und Zeichen. Vor ihm sitzt allerdings kein Streichquartett, sondern die Punkformation Klick und Aus, vom befreundeten Dichter, Filmer und Performer Thomas Roesler gerade gegründet. Das Band-Repertoire ist beim Debütkonzert im Jugendklub Schaufenster in der Chaussestraße noch arg beschränkt. Mehr als zwanzig Minuten sind nicht drin. Der intendierten Brachialwirkung, stromverstärkte Musikvariante von Roeslers Credo einer “Poesie der Durchschlagskraft”, tut das indes keinen Abbruch Auch den Eingriff der entsetzten Veranstalter, die schon nach den ersten Titeln die Sicherungen herausdrehen, sind das wilde Orchester und sein stark alkoholisierter Konzertmeister nicht zu stoppen. Mit allen greifbaren Schlagwerkzeugen trommeln die Musiker und ein Teil des Publikum ihren Protest über die musikalische Generalpause heraus. Der kleine Klubraum wird zur klaustrophobischen Dunkelkammer, in der stickigen Luft und der aufgeheizten Atmosphäre bricht eine panische Stimmung aus. “Es war für die Leute derart beängstigend was da passierte”, erinnert sich der damals 23jährige Band-Gründer Thomas Roesler, “daß sie die Sicherungen irgendwann eben wieder reindrehten. Bevor wir erneut an den E-Gitarren und am E-Baß weiter machen konnten, gingen ein paar Leute dazwischen und sagten: Jetzt ist es vorbei. Das war die größte Promotionaktion, die man jemals für uns tun konnte, staatlicherseits. Weil, das Verbot machte uns gerade scharf.”(1)

Die gemeinsame Performance von Wolfram Adalbert Scheffler und Thomas Roesler ist weder typisch noch zufällig. Sie ist eher einem wahlverwandtschaftlichen Magnetismus geschuldet, der zwischen beiden Künstlern mitunter zu Konstellationen führt, in denen aus der gegenseitigen Akzeptanz spontane Aktionen erwachsen. Das eigene Werk tangieren die gemeinsamen Spaßrevolten allerdings kaum. Beide sind in den unangepaßten Milieus des Prenzlauer Bergs auffällige Erscheinungen mit ganz eigener Strahlkraft, die sich nicht in subkulturellen Positionskämpfen und Gruppenbildungen verschleissen lassen. Schon durch ihren Habitus wirken die Bohemiens als provokante Solitäre. Scheffler trägt Gehrock und zeigt ausgiebig das Arsenal edler Spazierstöcke vor. Roesler geht kaum ohne seine Försteruniform auf die Straße und schultert zum Schrecken friedensbewegter Szene-Frauen mitunter demonstrativ sogar ein Holzgewehr. Visitenkarten mit falschen Berufsangaben besitzen beide. Auf der von Wolfram Adalbert Scheffler prangt in raumgreifendem Sütterlin die Bezeichnung Landbriefträger. Auf den beiden Visitenkarten von Thomas Roesler, die er abwechselnd nach Laune und Bedürfnislage zückt, gibt er sich einmal als Gynäkologe, das andere mal als Virtuose aus.

Ein horizonterweiterndes Spiel mit den lähmenden Eindeutigkeiten, ein fröhlicher Totentanz auf den Trümmern vernutzter Ideologien. Spätgeborener Dandy und frühreifer Terrorist, subtiler Clown und radikaler Provokateur. Ein Doppel mit Ereignischarakter, das die im realsozialistischen Fundus angebotenen Rollenspiele genauso haßt wie die bemühten Anarcho-Posen einer in die Sehnsuchtsnischen des Prenzlauer Bergs emigrierten Freizeit-Boheme. Deren Charaktermasken taugen den beiden bestenfalls für ein flottes Satyrspiel.

Was sie suchen, sind die unverstellten Impulse und entgrenzten Lebenswelten, deren Widerhall sie mit ihrer radikal ausgestellten Individualität geradezu provozieren. “Meine Verbündeten sind Menschen, die am Rande oder exterritorial leben”, schreibt Wolfram Adalbert Scheffler, “also jene Phantasten, Bohemiens, Taugenichtse, Dandies, Glücksritter und vielen andere, die ihr Tun und Streben nicht in den Dienst irgendwelcher ‘Systeme’ stellen beziehungsweise an ihrer Karriere im Sinne dieser Systeme arbeiten. Querschläger, Getriebene und Zerrissene zwischen Abenteuer, Magie und Alltag.”(2)

Thomas Roeslers Lebensprinzip wurzelt in frühen Matrosenträumen. Die Freiheit der Meere gegen die beschränkte Welt der thüringischen Bezirksstadt Gera – kein schlechter Tausch, der für den 1960 geborenen Frühentwickler beinahe zustande gekommen wäre. Wegen eines kleinen Sehfehlers – Roesler kann einige Farben nicht nach den Normen der Musterungskommission unterscheiden – fällt die Flottenkarriere jedoch früh ins Wasser. Roesler wechselt daraufhin mit zwei Jahren Verspätung an die Erweiterte Oberschule. Das Abitur, das er als Freibeuter wohl kaum benötigt hätte, scheint plötzlich wichtig zu sein. Nach der ersten Nietzsche- und Schopenhauer-Lektüre faßt er den Plan einer Offizierslaufbahn – ein biografischer Irrweg, von dem nur ein halbes Jahr die Rede ist. Schwieriger wird es schon, sich wieder aus den Fängen der Rekrutierungsinstanzen zu entziehen, da sogenannte “Offiziersbewerber” ihre Sonderstellung in der Abiturstufe mit einer Verpflichtungserklärung erkaufen. Nachdem Roesler diesen Schritt für hinfällig erklärt, bekommt sein Vater Besuch von den aufgebrachten Militärpädagogen. Doch ein Panzerkommandant wird aus Roesler nun mal auf keinen Fall.

Stattdessen schreibt er Gedichte. Eines ist inspiriert von der damals als Schul-Pflichtstoff verhandelten Wirkung der Nato-Neutronenbombe. Als er den pazifistisch geprägten Text an die Schulwandzeitung klebt, unterschreiben fast alle Mitschüler – darunter auch Micha Brendel, der später als Fotograf, Herausgeber der Untergrundzeitschrift “usw” und Mitglied der Dresdner Autoperforationsartisten einen ähnlichen Weg wie der befreundete Klassenkamerad einschlagen wird. Die harmlose Unterschriftenaktion avanciert zur Bekennungsprobe. Der aufgebrachte Staatsbürgerkundelehrer läßt die Unterzeichner öffentlich abschwören – eine kollektive Demütigung, die Roeslers Fluchtimpuls nach Berlin nur noch verstärken hilft. Dabei kommt ihm zugute, daß er den fälligen anderthalbjährigen Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee mit einem psyatrischen Gutachten umgeht. “Es war die kleine Schweyk- oder Felix-Krull-Nummer”, erzählt Roesler. “Es war ein aus der Angst, nicht aus der Tollkühnheit heraus geborenes Reagieren. Aber es war so überzogen und so radikal, daß die mir sagten, sie geben mir lieber keine Waffe in die Hand.”(3)


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