Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Kinder des Eros

Laufstege ins Niemandsland: Die Modegruppen “ccd” und “Allerleirauh” stahlen den VEB-Designern den Schneid und glänzten mit bizarren Inszenierungen

“Wir haben immer gesagt, New York ist dort, wo wir sind.”
Sabine von Oettingen
“Geld war egal, weil wir zuviel hatten. Als mein damaliger Freund einen Golf brauchte, habe ich ihm den in einer Woche zusammengenäht.”
Angelika Kroker
“Wir waren alle Anfang 20, mächtig gelangweilt und hatten keinen Bock mehr auf die normalen DDR-Geschichten.”
Katharina Reinwald

Flucht ins Geheimnis aus Notwehr – auf diese Zeile kann man den Sinngehalt des Grimmschen Märchens Allerleirauh vor seinem Happy End reduzieren. Die Rettung vor dem dumpfen Inzesttrieb des königlichen Vaters gelingt der eigenwilligen Tochter durch einen modischen Trick: Sie schwärzt das Gesicht, schlüpft in lederne Kleidung, lebt fortan als Allerleirauh im Untergrund. So widersteht sie dem Schlimmsten, der Einwilligung in die Spielregeln pervertierter Macht. Mode als Hülle der Freiheit, der soziale Abstieg in Kauf genommener Preis des ‘anderen’ Lebens – das klingt beinahe wie eine DDR-Generationsmetapher. Doch jene riesige Fangemeinde, die sich am 27. und 28.12.1989 in der Berliner Gethsemanekirche einfindet, um dort die Performance “Spiel mit Erde, Feuer, Hall und Leder” des Modetheaters Allerleirauh zu sehen, muß nicht mit Hilfe evangelischer Kirchenakustik die Hymne der ostdeutschen Subkultur anstimmen. Weder unbändiger Haß auf spätstalinistische Betonköpfe noch ein ästhetisches Konfrontationsprogramm entäußert sich im theatralischen Spiel der knapp 70 Akteure unterschiedlichster Genres. Im Gegenteil: Mit Schminkmasken und Weihrauchdüften, mit Fotoprojektionen und Oscar-Wilde-Zitaten wirbt Allerleirauh um Toleranz für die alles heilende Religion der Liebe und macht dabei im wahrsten Wortsinne den Altar zur Bühne. Von den kerzenbestückten Emporen der durchaus robuste Töne gewohnten Gethsemanekirche dringen eher gregorianische Sounds von Bob Schunke und Nino Sandow. Eine raffinierte Lichttechnik und kaum gezügelter pyromanischer Eifer schaffen einen stimmungsvollen Hintergrund für die Models, Schauspieler und Tänzer im Dienstauftrag einer neuen Mythologie. Kinder des Eros, allseits rückwärtsgewandt. Fern von realsozialistischer Agonie und neuwestlicher Attitüde projizieren sich die Akteure dank multimedialer Arrangements und den ledernen Kunstkostümen der Modedesignerinnen um Angelika Kroker abwechselnd in biblische und mittelalterliche Zeiten, um dann wieder wie antike Satyrn durch den Bühnenraum zu tollen. Eine Frauenstimme aus dem Off verliest den dramaturgischen Referenztext des Abends: Platons “Exkurs über die Liebe”. Von der Lust auf schöne Körper über die Lust schöner Lebensführung bis hin zur hehren Größe schöner Erkenntnisse geht nach Ansicht des alten Philosophen der schwere Weg der Erfüllung. Allerleirauh läßt es vorerst beim Rausch der Kleider und Körper. Bereits vor dieser Show kann das Hamburger Magazin Stern seine Begeisterung nur schwer verhehlen. Die Phantasie-Kollektionen der Allerleirauh-Designer können, schreibt ein euphorisierter Reporter im Mai 1989, “jeden Vergleich mit westlichen Modemachern aushalten.”(1)

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, daß sich die Hochgelobten auf Botschaftstoiletten und Diplomatenfeten heimlich die neuesten Vogue-Ausgaben einstecken. Begonnen hat alles 1980 mit einer von Langeweile gequälten Clique um Frieda Bergemann, Esther Friedemann, Domenique Windisch, Sabine von Oettingen, Robert und Jenny Paris, Katharina Reinwald, wenig später kommen Sven Marquardt, Frank Schäfer und Jürgen Hohmuth dazu. Wie sie sich getroffen haben, weiß keiner mehr so genau. Schuld daran ist wohl vor allem ein sich stets in gehöriger Drehzahl gehaltenes “Beziehungskarussel”(2), wie Frieda von Wild (damals Bergemann) heute meint. Man hat viel Zeit für labyrinthisch verwickelte Amouren, ist permanent in Partystimmung und sammelt erste Rauscherfahrungen, wobei man den Haschersatz zieht man aus Stieglitzfutter im Hinterhofgarten. “Die Gruppe war mein Lebensinhalt”, gibt Domenique Hollenstein, vormals Windisch, ununwunden zu, “uns hat die ganze Ostkiste schon mächtig genervt.”(3)

Alle Mitglieder der Gruppe sind Anfang der 60er Jahre geboren und haben viel Zeit, Kraft und keine Lust auf ein Leben in Reih und Glied der sozialistischen Wartegemeinschaft. Über Erfahrungen mit der Endzeit-DDR verfügt man in ausreichendem Maße, Illusionen dagegen hat man kaum. Die meisten haben tolerante Elternhäuser – Fotografen, Ärzte, Wissenschaftler, gutsituierter Mittelstand. Aus den vernetzten Erfahrungen wächst ein Weltbild fernab jeglicher Ideologien. In den geräumigen Elternwohnungen, anfangs bei der Fotografin Helga Paris, schlägt man mit “Krabbelarien”, Rotweinfeten und langen Nächten vor dem Fernseher mit ständig laufendem Westprogramm die Zeit tot. Ihre Lehrausbildungen und Studienplätze erscheinen den jungen Leuten als vergebliche Sozialisationsbemühungen. Nach dem letzten Lehrjahr ist endgültig Schluß, für manche schon eher. “Einer nach dem anderen fiel aus dem Berufsleben aus”, erinnert sich die Kostüm- und Bühnenbildnerin Sabine von Oettingen, “was uns dazu trieb, ist schwer zu sagen. Ich glaube, wir hatten alle eine unheimlich Angst, einmal so auszusehen wie die normalen Leute auf der Straße.”(4)

Eine exzessive Lust an der eigenen Inszenierung erwacht. Mit einer Motorradgang kurvt man durch den Prenzlauer Berg oder in den Dorfkrug in Pankow-Rosenthal, wo die rührigen Wirtsleute sogar Tische für die bunte Gesellschaft zusammenschieben, was in der DDR einem Sakrileg gleichkommt. In den wenigen Diskotheken und Szenetreffs zwischen Cafe Nord und dem Cafe Mosaik entert die lebenstolle Gemeinschaft Barhocker und das Tanzparkett. Neue Freunde findet man in den Pankower Diplomatenhäusern, mit aufgemotzten Tatras, den früheren Nobelwagen der DDR-Nomenklatura, demonstriert man Personality und Eigensinn. Die jungen Leute führen ein Leben auf der Überholspur, das die allgegenwärtigen Verbotsschilder gar nicht erst zur Kenntnis nimmt. Angst vor der Staatssicherheit kennt man nicht, und als die ersten Klänge der Punkbands durch die Keller dröhnen, geht das auch am Freundeskreis nicht vorbei: “Wir waren damals ziemlich schräg”, konstatiert Esther Freidemann. “Irgendwo waren wir zwar Punks, aber wir hatten unsere eigenen Vorstellungen von der Punkbewegung. Wir waren sehr modebewußt und wollten uns abgrenzen.”(5)


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