Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Verpurzelter Wurzelträumer

Magier, Mixer, Melangeur: Der Leipziger Theatermacher und Sprachakrobat Wolfgang Krause Zwieback als Enfant terrible der Boheme

Die Mixtur hat viele Namen. Sie heißt Eintopf, Mischmasch, Potpourri und ist für formbewußte Operngänger und veritable Vier-Sterne-Gourmets nicht gerade ein gesellschaftlicher Ehrentitel. Für den Theatermacher Wolfgang Krause Zwieback ist diese allgemeine Herablassung vor der bizarren Welt des Vermischten geradezu eine kulturelle Katastrophe, auch wenn sich der Leipziger in ihr mittlerweile ganz passabel ein- oder besser noch ausgerichtet hat. Mhm, wird er dazu sagen, mhm, mhm und nochmals mhm. Und seine sonore Baßstimme wird sich entweder wie der Synkopen-Auftakt zu Beethovens “Fünfter” oder wie das finale Verglucksen eines Ozeandampfers anhören. Das schlechte Image des unreinen Konglomerats kann der sächsische Bühnenderwisch so gar nicht verstehen. Kein Wunder: Gerade das exzellent abgestimmte “Mischungsverhältnis”, wie der subversive Bühnenkoch sein Erfolgsrezept umschreibt, macht Zwiebacks “Kabasurdes Abrett Theater” seit nun fast 20 Jahren zum originären Erlebnis – zubereitet aus dadaistischen Wortspielen, inszenierten Traumbildern und szenischen Monologen und gewürzt mit einer Art avantgardistischem Rempeltanz, den der nicht gerade schmächtige Protagonist schweißtreibend unter den verrücktesten Verkleidungen zelebriert. In seinem Programm mit dem sinnstiftenden Titel “Und nun: aufgehört!” bringt es Zwieback in 90 Minuten immerhin auf 27 verschiedene Kostümierungem, zählte ein Rezensent ungläubig mit. Sein Theater ist eine auf groteske Weise schmackhafte Melange aus Zwieback-Krümeln, deren chaotische Struktur eher mit der Brownschen Molekularbewegung als mit einem überlieferten Strickmuster darstellender Bühnenkunst zu vergleichen ist. Was Zwiebacks zahlreiche Fangemeinde aber wohl vor allem fasziniert, sind die funkelnden Sprachtrümmer, die der im Alltag eher zurückhaltende Melancholiker produziert. In den Kneipen und Probepausen sieht man ihn unentwegt verbale Konstellationen notieren, deren philosophischen Hinterwitz man sonst im schnellen Lachen vergißt. Auf der Bühne verdichtet und verkettet er jene Notate zu neuen Bedeutungskernen – und Publikum und Bühnenmagier hüpfen gemeinsam über die schweren Tatsachen dieser Welt. Vertraute Worte, Sprüche und Zeilen werden einem semantischen Recyclingverfahren unterworfen. Ein schier unergründlicher Fundus wild wuchernder Sprachfindungen tut sich auf: Aus Staatsratsvorsitzender wird schlicht ein Staatsvorratsvorsitzender, aus der abgesagten Alpenfahrt des mißvergnügten Ehepaars nur eine in die Alben, was auch stimmt, wenn die Reise wirklich stattgefunden hätte. Zwiebacks optimistisches Motto, das er seinem Publikum um die verstopften Sinne schlägt: Nochmal von vorn anfangen und sich dann ganz langsam nach hinten durcharbeiten!

Dabei trägt der agile Sprach-Mixer die neu gefundene Bedeutung eines Wortes nicht pathetisch wie eine Sprachflagge vor sich her – etwa so, wie das die ambitionierten Adepten des Sprachspiels à la Ernst Jandl im Prenzlauer Berg seit langen Jahren tun. Der Leipziger ist kein Spielverderber, von selbst hält er das Karussel nicht an. Er bricht nicht Reime, übermalt nicht Zeichen, zerrt nicht Silben, nur um den einen Sinn gegen den anderen auszutauschen. “Wenn ich eine Bedeutung herausarbeite”, sagt er, “sterben die anderen. Stelle ich sie nebeneinander, hat der offene Zuschauer die Chance zum Genuß.”(1) In seinen Programmen, die schon mal “Gunst als Waffel im Stangeneis der Geselligkeit” oder “Der Aufstand der Aluminiumlöffel” heißen, wird eine verborgene Dimension sichtbar, in der sich Verdrängtes und Gewußtes kurzzeitig zu neuer Einsicht ballen. Die Welt der Unterzeilen, Vexierbilder und Obertöne: Zwiebacks Soloabende, begleitet von bizarren Klängen wechselnder Musikanten, sind radikale Werbeshows für die widerständige Phantasie. Sie entfalten in der normierten Welt der Diktatur ihre befreiende Wirkung und erhalten ihre schillernde Einzigartigkeit auch im pluralistischen Wechselspiel des Marktes. Eine sinnliche Revolte gegen die Tortur vereinnahmender Fakten, so könnte man sein Credo beschreiben, wenn mit einem spröden Halbsatz überhaupt beschreibbar ist, was dieser hanebüchene Komödiant vornehmlich auf ostdeutschen Bühnen so alles treibt. Wie ein Holzwurm frißt sich Wolfgang Krause Zwieback mit seinen künstlerischen Projekten im Zickzack-Kurs durch die Schubladen der U- und E-Kultur. Labyrinthische Lebensgänge zwischen Kunstakademie und Hinterhofparty, bemerkenswerten Gastspielen an Staatstheatern und gesamtdeutschem Kleinkunstpreis. Das bringt ihm die Erfahrung, daß die “Schubladen immer enger und die darumgebauten Schränke immer unverschämter” werden. “Da ich nicht ins Theater passe, mache ich kein Schauspiel”, sagt der 1951 in Kamenz geborene Sprachmagier, “da ich Theater mache, passe ich nicht ins Schauspiel.”(2)

Gegen falsche Etikettierungen kämpft Zwieback vor und seit der Wende erfolglos. “Bin ich Schriftsteller, bin ich Schriftnachsteller, bin ich Schauspieler oder bin ich Schausteller? Bin ich Performer oder was bin ich denn? Ich bin eben ein Konglomerat.”(3) Und das ist, wie gesagt, heutzutage nicht immer gefragt. Da wird er wegen des Kleinkunstpreises, den er 1992 erhält, als Kabarettist verkauft und trotz seines eher elitären Humors auch schon mal zum massengeschmäcklerischen Comedy-Festival geladen, was zur Folge hat, daß die Zuschauer für ihr Geld kein banal-kulinarisches Pointenprogramm kosumieren können. “In Frankfurt wurde ich in der Presse danach als 1.000mal schlechter als Helge Schneider und 500mal einfallsloser als Didi Hallervorden niedergemacht”, erzählt er, “das tut schon weh.”(4)


Leipzig: Schubsen am Trog           Seitenanfang           Nächste Seite