Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Dennoch geht das nicht immer ohne Blessuren ab: Als er etwa im September 1983 das Jubiläumsfest zum 10jährigen Bestehen der Karl-Marx-Städter Galerie oben mit seinem sprachakrobatischen Vortrag verschönt, ziehen sich die Kulturbürokraten gerade an seinen sibyllinischen Sinn-Attacken hoch. “In Form von Gleichnissen und unterschwelligen Anspielungen”, vermerkt eine Lageeinschätzung der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt nach seinem Gastspiel, “wurden zum Teil die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR verächtlich gemacht. Diese Beiträge wurden durch die Anwesenden in der Mehrheit mit Beifall aufgenommen.”(8)

Zwiebacks verrätselte Schachtelsätze bringen die zahlreichen IM-Berichterstatter in interpretatorische Zugzwänge, was ohne Überstunden beim Verfassen der Spitzeltexte nicht abgeht. Mancher rächt sich, indem er seine Lesart dem Vortragskünstler als Intention unterschiebt. Doch Mielkes Arbeitsbeschaffungsbehörde hat mittlerweile andere Sorgen, als artifizielle Sprachrätsel mit Postenketten zu umstellen. Das bringt Zwieback Freiräume, die andere “freie” Theatergruppen vergeblich suchen. Inzwischen hat sich sein Name herumgesprochen, “was damals noch sehr viel schneller als heute ging”, bemerkt er augenzwinkernd. In den staatlichen Galerien, Klubs und Kulturhäusern, die im letzten DDR-Jahrzehnt zunehmend die Auftrittsmöglichkeiten in Kirchen und Ateliers ergänzen, werden seine Programme zu bejubelten Selbstläufern.

Mit dem Solo “Und nun: aufgehört!” gastiert er bis zur Wende fast 600 Mal. Dafür kurvt er zigtausende Kilometer im rostenden Lada durchs Land. Die Autobahnfahrten sind für den Eigenbrötler zugleich melancholische Erholungspausen. Endlich ist Zeit für mäandernde Gedankenspiele, verdrängte Traumrätsel und hypochondrische Schicksals-Szenarien. Sein durchgezogenes Powerprogramm schlaucht irgendwann. “Viele haben mich gewarnt, wenn ich weiter so ekstatisch Theater mache, falle ich bald auf der Bühne tot um. Und es war ja dann auch fast so. Ich hab nie tagelang durchgesoffen, hab nie Rauschgift genommen, aber ich bin in meinem Spiel fast immer bis an die Grenze gegangen.”(9) Seinen Ekel vor dem Technik-Fetischismus professioneller Stadtteater-Mimen lernt Zwieback schließlich überwinden – als Mitte der 80er Jahre Stimme und Körper versagen. Er nimmt sogar Sprechunterricht. Aber nur, weil er den älteren Lehrer nicht nur als Wissensvermittler sondern auch als menschliches Phänomen achten kann. Zugleich trainiert er seine Empfindungen, notiert und befragt flüchtige Lebensmomente mit philosphischer Dimension. Ein Nachspüren semantischer Spurenelemente, das für unvorbereitete Zaungäste zur kommunikativen Gesprächsblockade führen kann. Nach der Krise fühlt sich Zwieback wieder fit für den anarchischen Fulltime-Job. Er zügelt seine bisweilen exzessiv ausbrechende Leidenschaft, verordnet sich eine “eigene Ökonomie” und trägt schrillere Sachen als zuvor. Seine zitronengelben Hemden und die grotesk zugeschnittenen Leder-Breeches werden zu echten Markenzeichen. Überhaupt ist er ein selbstverliebter Inszenator seiner eigenen Person: Fotos zeigen ihn als Jo-Jo-spielenden Clown, der auf den Treppen des Leipziger Rathauses döst, als verträumten Melancholiker im Patchwork-Ambiente seiner Wohnung, vollgestopft mit Masken, Bildern, Requisiten oder als geschminkten Stadtindianer, der ein halbes Dutzend Sonnenbrillen spazieren trägt. Ab 1985 verwischen sich auch für ihn die Grenzen zwischen staatsloyaler und alternativer Kultur. Zwieback spricht sich nun auch in offizielleren Kreisen herum. Eine Gastspiele-Serie in der Probebühne des Berliner Ensembles, von Manfred Wekwerth ins Programm gehoben, und in der Akademie der Künste machen ihn kurz vor Zapfenstreich sogar noch zum Reisekader. Sein erster Auftritt im Westen geht 1987 in Ludwigsburg über die Bühne – im großen Kinosaal verlieren sich allerdings die 50 zahlenden Gäste. Die nicht verkauften 650 Eintrittskarten bringt Zwieback wieder mit. Ein Präsent der besonderen Art, an dem der sensible Leipziger noch Wochen kaut und das ihm zugleich die unterschiedlichen Mechanismen der beiden deutschen Kulturräume vor Augen führt.

Nach der Wende brechen neue Zeiten für das “Kabasurde Abrett” an, schwierigere zunächst. Zwieback stellt seine Textfolgen nicht um, unterwirft sich nicht dem Diktat kommerzieller Ettikettierung. Er nimmt keine vordergründige Pointen und modischen Reizwortfolgen in seine Texte auf, auch wenn ihm viele dazu raten. Er bleibt ein Melangeur des vergessenen Geschmacks, ein genialer Rätselproduzent, ein “kichernder Elefant in den Porzellanläden des geistigen Überbaus”, schreibt treffend ein Rezensent. Wenn die Begriffe besetzt sind, muß man eben lernen auf einem Bein zwischen den Hauptsätzen zu stehen. “Was! Ihr wollt?”, ruft er sich trotzig im Melancholesterinspiegel zu. Na dann: “Auf, auf! Nur zu!”(10)


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