Der Begriff Postindustrialisierung verweist auf ein verändertes Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, zwischen Kultur und technischer Produktionsweise. Digitalisierung und wachsende internationale Vernetzung deuten auf einen Übergang in eine neue Epoche.

Um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, leiten vor allem internationale Konzerne in vielen Ländern Konzentrationsbewegungen in Form von Fusionen ein. Perioden geringen oder stagnierenden Wirtschaftswachstums sollen überwunden, neue Absatzmärkte erschlossen werden.

Das globale Ausmaß der voranschreitenden Mechanisierung und Technisierung der Welt macht es zugleich notwendig, die teils stark ausgebeutete Natur zu rekultivieren. Dadurch ändert sich auch die Wahrnehmung der Landschaft. Anders als im 19. Jahrhundert widmen sich die Künstler der Darstellung des schleichenden Rückzugs der Industrie. Kritisiert werden vor allem die negativen Folgen der Industrialisierung, insbesondere ökologische Schäden.

 

 

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kündigt sich in der industriellen Wirtschaft ein Paradigmenwechsel an. Die Erkenntnis, daß systematische Ressourcennutzung und Naturausbeutung zwar Wohlstandsmehrung ermöglichen, der zunehmende Rohstoff- und Energieverbrauch und die problematischen Reststoffe industriellen Wirtschaftens aber die materiellen Bedingungen und die natürlichen Lebensgrundlagen in Gefahr bringen, führt zu der Notwendigkeit, freiwillige Grenzen des Verbrauchs zu setzen und das Verhältnis von Industrie und Natur neu zu begründen.

Alexander Kierdorf und Uta Hassler,
Perspektiven: Deindustrialisierung und das Ideal ressourcenschonenden Wirtschaftens,
in: Denkmale des Industriezeitalters, 2000

 

 

 

 

 

 

Helga Budde-Engelke (* Oberhausen 1950)
Zechenarkaden, 1989
Acryl und Graphit auf Papier, 106 x 78
Essen, Helga Budde-Engelke

"Mir liegt nichts an naturalistischen Ansichten. Ich verarbeite auch innere Bilder, Erinnerungen ... Ich male das subjektive Erlebnis und will keine dokumentarische Bestandsaufnahme." Mit dieser Einschätzung reflektiert Budde-Engelke den ihren Arbeiten zugrunde liegenden künstlerischen Gestaltungsansatz. Im Zentrum der Darstellungen stehen vor allem aktuelle Veränderungsprozesse in altindustriell dominierten Regionen, speziell dem Ruhrgebiet mit seinen stillgelegten oder bereits demontierten Kohle- und Stahlstandorten, abgeräumten Produktionsgeländen oder dem Abriss preisgegebenen Fabrikgebäuden.
Die oft abstrahierenden Bilder sind - wie das Werk Zechenarkaden zeigt - in ihrer Tiefenräumlichkeit streng gestaffelt, auf konstruktive Architekturelemente reduziert und sowohl in ihrer gebrochenen Farbigkeit als auch in der strengen, nahezu monumental angelegten Formensprache eigentümlich spröde, sachlich, graphisch.

Um diese bildimmanente Spannung zu erhöhen, erscheinen größere Bereiche zugunsten einer stärkeren Flächenwirkung schemenhaft zusammengezogen; auch wirken Vorder- und Hintergrund des eng gefassten Bildausschnittes durch die verkürzende Perspektive und eine die Gebäudekomplexe scharfkantig differenzierende Lichtregie miteinander verspannt. Der Blick auf die abweisende Fassade des pfeilerumstellten Bogenganges signalisiert den schleichenden Rückzug der Industrie aus der Landschaft. Verstärkt wird dieses gestalterische Moment durch den weitgehenden Verzicht auf reale Architekturversatzstücke; die Erinnerung an die bauliche Hinterlassenschaft der Industrialisierung an Rhein und Ruhr ist somit bereits bildnerisch verwischt. JM

Jordan 1991; Schmidt 1991, S. 11 (Zitat); Fischer 1992; Türk 2000, S. 363.
Bibliographie

 

Klaus Ritterbusch (* Bodenwerder 1947)
La Poubelle, 1991/92
Öl auf Leinwand, 280 x 360
Düsseldorf, Klaus Ritterbusch

Abgebildet ist die riesige Sortierstation der Müllverbrennungsanlage in Düsseldorf-Flingern. Das Bild thematisiert die brisante Problematik moderner Müllentsorgung - ein Sujet, das im Unterschied zum traditionellen Industriebild nicht sehr häufig zur Darstellung gelangt.
Seit mehr als 20 Jahren steht für Ritterbusch die Skepsis gegenüber der zeitgenössischen Entwicklung moderner Industriegesellschaften und deren Konsumverhalten im Mittelpunkt seiner künstlerischer Auseinandersetzung. Auch in diesem Werk kommentiert der Maler ausschnitthaft den heutigen Zustand unserer Zivilisation: Kaskadenartig erheben sich im rechten Bildteil die über den Beckenrand bordenden Abfälle der Wohlstandsgesellschaft vor dem Abgrund eines tiefer liegenden Grabens.

Die Düsternis des Themas unterstützend, gibt die Komposition den Blick frei auf die apokalyptisch gestimmte Szenerie der technischen Großanlage: In perspektivischer Verkürzung suggerieren Pfeiler, Schachtwände und Auffangbecken einen starken Sog in die Tiefe des menschenleeren Raums, welcher in den gleißenden Lichteinfall des zentralen Hintergrundes mündet. Kontrastiert wird jene Dynamik, die sich entlang der Diagonalen entfaltet, durch die waagerechten Unterzüge der Deckenkonstruktion sowie durch die roten und gelben Farbakzente der aufgereihten Müllcontainer. Jenseits allen künstlerischen Formenvokabulars und individueller Bildauffassungen gelingt es dem Maler, den Gegensatz zwischen mystisch-ästhetisierender Gestaltung und der massenhaften Abfallbeseitigung industrialisierter Lebenswelten sowohl augenfällig als auch hintergründig zur Anschauung zu bringen. JM

Flemming 1994; Ausst. Kat. Herne 2000; Ausst. Kat. Aachen 2000; Türk 2000, S. 357.
Bibliographie

 

Alexander Calvelli (* Frankfurt/Main 1963)
Saugzug, Brikettfabrik Ville-Berrenrath, Hürth, 1996
Acryl auf Leinwand, 59 x 83
Köln, Alexander Calvelli

Calvelli zählt zu jener relativ kleinen Künstlergruppe, die auch in der Gegenwart die Traditionslinie der deutschen Industriemalerei fortsetzen. In seinen sachlichen, altmeisterlich ausgeführten Darstellungen, die dem ›Hyperrealismus‹ zuzurechnen sind, orientiert sich der Maler an selbst erstellten Fotos, ohne sich indes von der Vorlage positivistisch binden zu lassen.
Seine Komposition stellt ein anschauliches Beispiel für eine derartige Ambivalenz zwischen Form und Inhalt dar. Es handelt sich um ein stillgelegtes Fabrikensemble, bei dem in nahsichtiger Perspektive eine grotesk anmutende, insektenförmige Produktionsstätte aus den 1940er Jahren im Bildzentrum steht.

Festgehalten im Zustand der Stillegung (seit 1994) strahlt sie - unterstützt durch die Wahl des zentralen Betrachterstandpunktes und die ästhetisierenden Zeichen des technischen Verfalls - eine museale Ruhe aus. Als historische Quelle dokumentiert das Werk überdies ein Stück Industriearchäologie, da es die Historizität ehemaliger Fabrikationsstandorte selbst zum Thema der Darstellung erhebt: Vergleichbar einem Ruinenbild schildert Calvelli ohne Pathos den aktuellen Rückzug traditioneller Industrien aus der Welt der Moderne. Dabei setzt der Künstler Alt und Neu nicht gegeneinander, vielmehr können die technischen Apparaturen hinsichtlich ihrer rationellen Formbestimmtheit und maschinellen Struktur im Sinne einer Kontinuitätsthese interpretiert werden: Auch sie illustrieren in ihrer Gesamtheit im jeweils Besonderen etwas Allgemeines, nämlich Leitprinzipien der industriellen Produktion. JM

Dückershoff 1999; Türk 2000, S. 356.
Bibliographie

 

Robert Schneider (* Buchheim 1944)
Baku, Nr. 35, 2000
Acryl auf Leinwand, 135 x 100
Hamburg, Robert Schneider

Der in Hamburg lebende Künstler beschäftigt sich in über Jahre hinweg zyklisch angelegten Werkgruppen mit der Darstellung apokalyptischer Visionen, die er aus der unmittelbaren Zeitgeschichte ableitet. Seine Acrylbilder lassen sich als ein (ideologie-)kritischer Kommentar zum aktuellen Verhältnis zwischen großindustriellen Produktionsweisen und den davon jeweils beeinflussten gesellschaftlichen Lebensformen interpretieren. Die Zyklen Bitterfeld, Slask/Oberschlesien sowie Baku - Apokalyptische Visionen bringen dies anschaulich zum Ausdruck. Letzterer entstand nach einem Aufenthalt in den Ölfeldern Aserbaidschans und thematisiert die ökologischen Folgen des Rückzugs der Industrie sowie die Haltung der menschlichen Zivilisation gegenüber den scheinbar bezwungenen Naturgewalten, der ›ersten Schöpfung‹.
In zahlreichen der insgesamt 39 Ölgemälde und 80 Gouachen, die diesem Zyklus angehören, erzeugt der Künstler allein durch die Wahl des Bildausschnittes und die changierende Farbgebung eine stark verfremdende Wirkung: Vorbereitet in zahlreichen

Einzelstudien, kontrastiert er in Baku, Nr. 35 das Bedrohlich-Spektakuläre ölverseuchter Wasserpfützen mit der Vergänglichkeit technischer Apparaturen, wie sie das geborstene Leitungsrohr in der Diagonalen oder das Spiegelbild der Industrieruine in der oberen rechten Bildecke suggerieren. Unterstützt wird jener Eindruck durch das Fehlen einer Horizontlinie, die dem Betrachter ein relatives Größenverhältnis der dargestellten Objekte vermitteln und ihm eine genauere Orientierung innerhalb des Bildes ermöglichen würde. Symbolhaft verdichtet sich hier die düstere Zukunftsperspektive, deren politische Dimension den Bildern eingeschrieben ist. JM

Schneider 1997; Türk 2000, S. 364.
Bibliographie

 

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€