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Ätherkrieg über Berlin.
Rundfunk als Instrument politischer Propaganda
(von Wilfried Rogasch)

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Der Rundfunk und
der 17. Juni 1953
"Haus des Rundfunks" nach der Übernahme durch den Westberliner Senat 1957                      

Am 15. Juni um 19.30 Uhr brachte der RIAS dann als einziger westlicher Radiosender eine Meldung, die der Nachrichtenredaktion telephonisch zugegangen war: Es sei auf drei Baustellen im Ostsektor Berlins zu Proteststreiks gekommen. Die westlichen Nachrichtenagenturen übernahmen die Meldung nicht, da sie ihre Richtigkeit bezweifelten. Erst als am nächsten Morgen erneut Berichte über Arbeitsniederlegungen der Bauarbeiter an der Stalinallee nach Westberlin drangen, wurden auch die übrigen Medien hellhörig.

Wieder war es der RIAS, der zuerst und am ausführlichsten über den Protestzug der Demonstranten von der Stalinallee durch das Stadtzentrum zum "Haus der Ministerien" an der Leipziger Straße berichtete. In der von Begeisterung und großer Sympathie für die Demonstranten getragenen Reportage, gesendet um 16.30 Uhr, wurde unterstrichen, daß sich die Forderungen der Demonstranten nicht mehr auf die Rücknahme der Normenerhöhung beschränkten, sondern in dem Ruf nach Rücktritt der SED-Regierung und freien Wahlen gipfelten. Außerdem berichtete der Sender, daß am Nachmittag eine dreiköpfige Delegation, zwei Arbeiter und eine Angestellte, mit der Bitte im Sender erschienen sei, die Forderungen der Demonstranten publik zu machen. Dieser Umstand und die Tatsache, daß der RIAS seit dem Nachmittag des 16. Juni sein ganzes Programm auf die Ereignisse in Ost-Berlin konzentrierte, boten der SED nach der Niederschlagung des Aufstandes die Angriffsfläche für ihre Behauptung, der RIAS sei die Schaltzentrale einer "faschistischen Provokation" gewesen.

                   

Der am Abend des 16. Juni mehrfach gesendete Aufruf von RIAS-Programmdirektor Eberhard Schütz an die DDR-Bevölkerung enthielt die Formulierung: "Macht Euch die Ungewißheit, die Unsicherheit der Funktionäre zunutze. Verlangt das Mögliche - wer von uns in Westberlin wäre bereit, heute zu sagen, daß das, was vor acht Tagen noch unmöglich schien, heute nicht möglich wäre." Aber Schütz gab auch den vorsichtigen Rat: "Jeder einzelne, jeder unserer Hörer muß für sich selbst wissen, ob die Umstände seiner persönlichen Situation in seinem Betrieb es ihm erlauben, den Widerstandswillen der Bevölkerung der Zone auszudrücken, jeder einzelne muß wissen, wie weit er gehen kann."

In der stündlichen Nachrichtensendung formulierte RIAS: "Arbeiter aller Industriezweige forderten in den Abendstunden besonders nachdrücklich, daß die Ostberliner sich am Mittwoch früh um 7 Uhr am Straußberger Platz zu einer gemeinsamen Demonstration versammeln sollen." Außerdem publizierte der Sender zahlreiche Solidaritätserklärungen aus der Bundesrepublik und aus Westberlin, darunter die militanter Gruppen wie der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" und des "Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen" sowie Mitteilungen von Ostberliner Betriebsgruppen, die die Bevölkerung aufriefen, sich den Aktionen anzuschließen. Dadurch konnte bei den Ostberliner Hörern der Eindruck entstehen, daß die Protestkundgebungen auch auf aktive Unterstützung aus dem Westen rechnen könnten.

                 

Die Demonstrationen am 17. Juni in Ostberlin wurden seit dem frühen Morgen von den RIAS-Reportern journalistisch begleitet, die von einer Stimmung wie auf einem Volksfest berichteten. Die Reportagen und Interviews mit Demonstranten wurden um 13.44 Uhr jäh durch die Meldung unterbrochen, daß der Sowjetische Militärkommandant den Ausnahmezustand über Ostberlin verhängt habe. Von jetzt an wiederholte der RIAS den "dringenden Hinweis, sich jeder Handlung gegen die sowjetische Besatzungsmacht zu enthalten." Die weiteren Sendungen am 17. Juni und in den folgenden Tagen spiegelten nur die Ohnmacht, mit der man in Westberlin die gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen durch sowjetische Panzer verfolgen mußte.

                   

Die Frage, wie weit der RIAS die Ereignisse, die zum 17. Juni geführt haben, beeinflußt hatte, war selbst im Westen umstritten. Der Kommentar von Erich Loest steht für die Meinung vieler Zeitgenossen in Ost und West: "Auch das in allen Debatten: Wenn der RIAS nicht vom Nachmittag des 16. Juni an stündlich von den Ereignissen im Ostteil Berlins berichtet hätte, wenn nicht vom bevorstehenden Generalstreik die Rede gewesen wäre und von einem Aufruf, den Arbeiter aller Industriezweige angeblich an die Ostberliner gerichtet haben sollten, sich am 17. Juni um 7 Uhr auf dem Straußberger Platz zu versammeln, wäre die Kunde nicht über die DDR hinausgeflogen. Ohne den RIAS, das war keine Frage, wäre es in Magdeburg und Leipzig, Halle und Görlitz still geblieben." Einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch der Berliner Korrespondent der New York Times, der aber zugleich betonte, daß in dem komplizierten Wechselspiel zwischen Verlauf des Aufstandes und Berichterstattung des RIAS Ursachen und Wirkungen nicht sauber zu trennen seien.

                 

Mit derselben Vehemenz, mit der das SED-Regime den Juni-Aufstand zu einer "Provokation der RIAS-Agenten" umzudeuten versuchte, haben führende RIAS-Mitarbeiter allerdings immer wieder geleugnet, durch Inhalt oder Stil ihrer Berichterstattung den Gang der Ereignisse am 16./17. Juni in irgendeiner Form beeinflußt zu haben - eine für Journalisten, die an die Wirksamkeit politischer Berichterstattung glauben, eigentlich merkwürdige Bescheidenheit. Wäre dem 17. Juni in irgendeiner Weise politischer Erfolg beschieden gewesen, so hätte der RIAS wahrscheinlich jedoch geistige Urheberrechte am Zustandekommen der Demonstrationen angemahnt.

                

Den "Berliner Rundfunk" mobilisierte die SED in den Tagen nach dem Aufstand, um wieder Herr der Lage zu werden. In einer der wenigen zeitgenössischen Reportagen, die als Tonbandmitschnitt erhalten sind, hat eine Reporterin, der der Schreck der Ereignisse vom Vortag noch im Nacken saß, am 18. Juni einen Bauarbeiter der Stalinallee aufgetrieben, der aussagt, sich nicht an der Demonstration beteiligt zu haben und der nun - stellvertretend für seine "fehlgeleiteten" Kollegen - Selbstkritik übt. Die Journalistin legt ihm in den Mund, daß die "Vorkommnisse" des gestrigen Tages sich nicht wiederholen würden. In einem umfangreichen Kommentar vom 19. Juni, der gleichlautend auch im SED-Organ "Neues Deutschland" erschien, wurde dann die Lesart verkündet, die bis zum Untergang der DDR 37 Jahre später Staatsdoktrin bleiben sollte: Daß die "faschistische Provokation" von langer Hand in Westberlin, Bonn und Washington vorbereitet wurde, aber scheitern mußte, da die Bevölkerung der DDR ihr bis auf wenige Ausnahmen die Unterstützung versagte. An dieser Stelle wurde auch angekündigt, daß die Staatsgewalt den wenigen "Fehlgeleiteten" eine Chance zur Rehabilitierung geben würde, daß man die Rädelsführer jedoch mit aller Härte bestrafen würde.

               

Eine ähnlich zentrale und umstrittene Rolle wie im Zusammenhang mit dem Juni-Aufstand 1953 hat der Rundfunk im Kalten Krieg in Berlin und Deutschland nie wieder gespielt. Verglichen mit der direkten Kontaktaufnahme zwischen "Radio Free Europe" und den Aufständischen in Ungarn 1956 übten die Westberliner und westdeutschen Rundfunkanstalten Zurückhaltung in direkten Handlungsanweisungen an die ostdeutsche Bevölkerung. Auch die verschiedenen DDR-Sender, die besonders nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik 1956 von DDR-Territorium aus sendeten, zum Teil aber vorgaben, westdeutsche Geheimsender zu sein, sind nur als kuriose Fußnoten der Geschichte zu bezeichnen. Die Bedeutung der Rundfunkpropaganda im Kalten Krieg allgemein für die historische Entwicklung zu gewichten, bleibt eine Ermessensfrage. Wenn man sie lediglich unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirksamkeit betrachtet, so ist sie eher eine Marginalie. Als mentalitätsgeschichtliches Zeugnis für die Bedrohungsängste der beiden Kontrahenten und für alle nur erdenklichen Arten, dem Gegner die eigene Weltanschauung aufzuzwingen, bleibt sie jedoch von Bedeutung.

                    

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