John F. Kennedy Plakatmotiv. © Runaway Technology

John F. Kennedy - Ausstellungstitel
Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums von I. M. Pei, 26. Juni bis 13. Oktober 2003

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusammenarbeit
mit dem John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin

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John. F. Kennedy
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Politische Bildung

Anmerkungen zur Thematisierung des Kennedy-Besuchs in Berlin durch den Rahmenlehrplan "Politische Weltkunde" und Quelleninterpretation der beiden Berliner Kennedy-Reden.

Inhalt:

Didaktische Analyse
Quelle I: Rede am Rathaus Schöneberg
Quelle II: Rede an der Freien Universität
Quelleninterpretation und Einbettung in den Unterricht


Didaktische Analyse
Die Thematisierung des Kennedy-Besuchs in Berlin ist durch den Rahmenplan für Berliner Gymnasien abgedeckt. Für das zweite Semester im Kurs "Politische Weltkunde" fordert der Rahmenplan Kenntnisse im Bereich der "Konfrontations- und Kooperationsfelder nach 1945", z.B. der Berlin-Krisen. Der Rahmenplan für Klasse 10 sieht die Behandlung des Themas "Kalter Krieg" in einem Zeitrahmen von fünfzehn Stunden vor. Als Ergänzung wird die Behandlung des sogenannten "Berlin-Problems" vorgeschlagen. Gerade für Berliner Schüler ist diese Thematik von besonderer Relevanz und sollte in den Unterricht eingebracht werden: Ihre Stadt war als Frontstadt des Kalten Krieges einer ständigen Bedrohung ausgesetzt; was hier geschah, wurde in Washington und Moskau genauestens registriert.
Aber auch aus allgemein historischer und aktueller Sicht ist der Berlin-Besuch Kennedys ein für die Schüler lohnender Unterrichtsgegenstand: Welche Relevanz der Besuch für die Bewertung der Präsidentschaft hat, zeigt die Aufmerksamkeit, die dem 40. Jahrestag dieses Ereignisses zukommt. So sind neben der Ausstellung des DHM und neuer wissenschaftlicher Literatur auch eine Konferenz mit diesem Thema in Berlin zu verzeichnen. Daran wird deutlich, dass Kennedys hochgradig inszenierter Auftritt in Berlin als exemplarisch für seinen Politikstil gesehen werden kann und sich dadurch insbesondere zur Analyse anbietet.
Der Symbolwert dieses Besuches, der in der "Ich bin ein Berliner"- Rede Kennedys vor dem Schöneberger Rathaus gipfelte, ist extrem hoch - er gab den Berlinern knapp zwei Jahre nach dem Mauerbau das Gefühl, nicht ihrem Schicksal überlassen zu werden, sondern den Rückhalt der Supermacht zu besitzen. Die West-Berliner hatten seit dem Mauerbau auf einen Besuch Kennedys gewartet und versprachen sich von ihm Schutz gegenüber weitere Übergriffe der UdSSR. Außerdem neigten vermutlich auch sie zu der weit verbreiteten Überhöhung der Person Kennedys und wollten ihr Idol live sehen und hören.
Kennedy kam im Rahmen seiner Europareise nach Deutschland, um die Deutschen für sich zu gewinnen. Die USA befürchteten nach de Gaulles Deutschlandbesuch und dem Ellysee-Vertrag eine starke Anlehnung Deutschlands an Frankreich. Wie die Presse analysierte, konnte Kennedy nun gerade durch seine unerwartete Emotionalität die Meinungsführerschaft über die Deutschen gewinnen. Den Symbolwert der Stadt Berlin nutzte Kennedy gleichzeitig für deutliche Kritik am politischen Gegner bei gleichzeitiger Bestätigung des Status quo: Er provozierte die UdSSR ohne eine wirkliche Gefahr einzugehen. Kennedy nahm etwas von der Brisanz dieser spontan eingefügten Kalten-Kriegs-Rhetorik vor dem Schöneberger Rathaus, indem er am Nachmittag vor Mitgliedern der Freien Universität versöhnlichere Töne anschlug und u.a. zur Rüstungsbegrenzung aufrief.
Es bietet sich an, die Schöneberg-Rede mit einer zehnten Klasse zu thematisieren und die Rede vor der FU vergleichend oder auch gesondert mit einem PW-Kurs zu untersuchen. Dabei könnte für Klasse zehn der Stundenschwerpunkt auf dem Verhältnis Berlin - USA liegen. Kennedys Einschätzung der Zukunft der Blockbildung in Europa und der Welt bietet sich hingegen als Analyseschwerpunkt für einen PW-Kurs an. Beide Themen laden zu einer Problematisierung ein.
Die Komplexität des Themen der zeitliche Umfang der beiden Reden machen eine Inhaltsreduktion nötig. Die Schöneberg-Rede lässt sich kürzen, ohne wesentliche Aspekte auszublenden. Dies liegt in der Struktur der Rede begründet, die Wiederholungen aufweist, um einzelne Punkte plastischer zu machen. Als entbehrlich zeigen sich auch politische Hintergründe, die nicht Stundenthema sind. Dies gilt für die Motivation Kennedys nach Deutschland zu kommen - die Furcht vor einem Entstehen eines politischen Gegengewicht ins Europa durch die Annäherung der wirtschaftlichen Führungsmächte Deutschland und Frankreich. Die deutsch-französischen Beziehungen sind bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Berlin den USA zu vernachlässigen, ohne die Aussage der Rede zu verfälschen.
Die Rede vor der FU wurde bereits gekürzt. Für die Verwendung im Unterricht ist eine weitere Kürzung angemessen. Je nach den Unterrichtserwartungen können z.B. die Ausführungen zur Entkolonialisierung, zur amerikanischen Innenpolitik oder zu der Verpflichtung des Gelehrten, für die Gesellschaft zu wirken, gestrichen werden. Gerade der letzte Punkt jedoch birgt die Chance, einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler herzustellen: Viele von ihnen werden in naher Zukunft studieren und/oder auf die Gestaltung der Welt von morgen einwirken. Sie können sich deswegen in besonderem Maße mit der Zuhörerschaft Kennedys identifizieren.
Eine kurze Interpretation der beiden Quellen und Ideen für einen Stundenablauf folgen weiter unten.


Rede des Präsidenten John F. Kennedy
vor dem Rathaus Schöneberg
am 26. Juni 1963

Meine Berliner und Berlinerinnen,

ich bin stolz, heute in Ihre Stadt zu kommen als Gast Ihres hervorragenden Regierenden
Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf- und Widerstandsgeist West-Berlins gilt. Ich bin stolz, auf dieser Reise die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihrem hervorragenden Herrn Bundeskanzler besucht zu haben, der während so langer Jahre die Politik der Bundesregierung bestimmt hat nach den Richtlinien der Demokratie, der Freiheit und des Fortschritts.

Ich bin stolz darauf, heute in Ihre Stadt in der Gesellschaft eines amerikanischen Mitbürgers
gekommen zu sein, General Clays, der hier in der Zeit der schwersten Krise tätig war, durch die diese Stadt gegangen ist, und der wieder nach Berlin kommen wird, wenn es notwendig werden sollte. Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner. Ich bin dem Dolmetscher dankbar, daß er mein Deutsch noch besser übersetzt hat.
Wenn es in der Welt Menschen geben sollte, die nicht verstehen oder nicht zu verstehen vorgeben, worum es heute in der Auseinandersetzung zwischen der freien Welt und dem Kommunismus geht, dann können wir ihnen nur sagen, sie sollen nach Berlin kommen.

Es gibt Leute, die sagen, dem Kommunismus gehöre die Zukunft. Sie sollen nach Berlin kommen. Und es gibt wieder andere in Europa und in anderen Teilen der Welt, die behaupten, man könne mit dem Kommunismus zusammenarbeiten. Auch sie sollen nach Berlin kommen. Und es gibt auch einige wenige, die sagen, es treffe zwar zu, daß der Kommunismus ein böses und ein schlechtes System sei, aber er gestatte es ihnen, wirtschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Aber laßt auch sie nach Berlin kommen.

Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie ist nicht vollkommen. Aber wir hatten es nie nötig, eine Mauer aufzubauen, um unsere Leute bei uns zu halten und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen.

Ich möchte Ihnen im Namen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die viele tausend Kilometer von Ihnen entfernt lebt, auf der anderen Seite des Atlantiks, sagen, daß meine amerikanischen Mitbürger stolz, sehr stolz darauf sind, mit Ihnen zusammen selbst aus der Entfernung die Geschichte der letzten 18 Jahre teilen zu können. Denn ich weiß nicht, daß jemals eine Stadt 18 Jahre lang belagert wurde und dennoch lebt in ungebrochener Vitalität, mit unerschütterlicher Hoffnung, mit der gleichen Stärke und mit der gleichen Entschlossenheit wie heute West-Berlin.

Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des
kommunistischen Systems. Die ganze Welt sieht dieses Eingeständnis des Versagens. Wir sind darüber keineswegs glücklich; denn, wie Ihr Regierender Bürgermeister gesagt hat, die Mauer schlägt nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sie schlägt der Menschlichkeit ins Gesicht. Durch die Mauer werden Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester, und Menschen werden mit Gewalt auseinandergehalten, die zusammen leben wollen.

Was von Berlin gilt, gilt von Deutschland: Ein echter Friede in Europa kann nicht gewährleistet werden, solange jedem vierten Deutschen das Grundrecht einer freien Wahl vorenthalten wird. In 18 Jahren Frieden und der erprobten Verläßlichkeit hat diese Generation der Deutschen sich das Recht verdient, frei zu sein, einschließlich des Rechtes, die Familien und die Nation in dauerhaftem Frieden wiedervereinigt zu sehen, in gutem Willen gegen jedermann.

Sie leben auf einer verteidigten Insel der Freiheit. Aber Ihr Leben ist mit dem des Festlandes verbunden, und deshalb fordere ich Sie zum Schluß auf, den Blick über die Gefahren des Heute hinweg auf die Hoffnung des Morgen zu richten, über die Freiheit dieser Stadt Berlin und über die Freiheit Ihres Landes hinweg auf den Vormarsch der Freiheit überall in der Welt, über die Mauer hinweg auf den Tag des Friedens mit Gerechtigkeit. Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht alle frei. Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land wieder vereint sind, wenn Europa geeint ist und Bestandteil eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten Erdteiles, dann, wenn dieser
Tag gekommen sein wird, können Sie mit Befriedigung von sich sagen, daß die Berliner und diese Stadt Berlin 20 Jahre die Front gehalten haben.

Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.

Quelle: Amerika Dienst, June 27, 1963.

 

Rede an der Freien Universität Berlin (Auszug)
am 26. Juni 1963

Herr Bürgermeister, Herr Bundeskanzler, meine Herren Minister, Mitglieder der Fakultät und Studenten dieser Universität:
[...]
Da Bismarck einmal sagte, dass ein Drittel der Studenten an den deutschen Universitäten vor Überarbeitung zusammenbräche, ein weiteres Drittel an den Folgen ihres lustigen Studentenlebens zu leiden hätten, und dass das letzte Drittel Deutschland regiere, weiß ich nicht, welches Drittel der Studenten sich heute hier versammelt hat, aber ich spreche ohne Zweifel zu den Männern, die in Zukunft die Geschicke dieses Landes leiten werden [...].
In den 15 stürmischen Jahren seit Gründung dieses der Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit verschriebenen Instituts hat sich vieles geändert. [...] Aber diese Universität hat jenen drei Idealen ihre Treue bewahrt Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit.

In einer Situation des Wandels und der Herausforderung, in einer Ära dieser Art hat jeder Bewohner West Berlins die Pflicht, seinen Standpunkt zu überdenken und zu überlegen, welches Ziel die Stadt ansteuert und wie sie am besten dorthin gelangt. Der Gelehrte, der Lehrer und der Intellektuelle haben eine höhere Verpflichtung als alle anderen, denn die Gesellschaft hat sie zur Führung ausgebildet, im Denken sowohl als auch im Handeln. Diese Gemeinschaft hat sich diesem Ziel verschrieben und Sie haben die besondere Verpflichtung, zu denken und die Zukunft dieser Stadt mitzugestalten - und zwar im Sinne von Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit.

Erstens nun, was erfordert die Wahrheit? Sie verlangt von uns, dass wir den Tatsachen ins Auge sehen, dass wir uns von Selbsttäuschung frei machen, dass wir uns weigern, in bloßen Schlagworten zu denken. Wenn wir für die Zukunft dieser Stadt arbeiten wollen, dann lassen Sie uns mit den Gegebenheiten fertig werden, so wie sie wirklich sind, nicht so, wie sie hätten sein können und wir sie uns gewünscht hätten. Die Wiedervereinigung wird, wie ich glaube, eines Tages Wirklichkeit werden. Die Lehren der Geschichte stützen diese Annahme, ganz besonders die der Geschichte der letzten 18 Jahre. Die stärkste Kraft in der heutigen Welt ist die Kraft des Staates, der Gedanke des Nationalismus eines Volkes, und in Afrika, Lateinamerika und Asien - auf der ganzen Erde sind neue Staaten geboren worden, die entschlossen sind, ihre Freiheit zu verteidigen. Das ist eine der stärksten Kräfte auf seiten der Freiheit, und es ist mir eine große Befriedigung, dass so viele Länder Westeuropas dies erkannt und sich entschlossen haben, mit diesem Strom zu gehen. Und so hat dieser Strom uns und nicht unseren Feinden gedient.

Aber wir alle wissen, dass dem Osten dieser Stadt und dieses Landes ein Polizeistaatsregime aufoktroyiert worden ist. Die friedliche Wiedervereinigung Berlins und Deutschlands wird daher weder rasch erfolgen noch leicht sein. [...]

Und zweitens, was erfordert die Gerechtigkeit? Letzten Endes erfordert sie Freiheit, und darauf komme ich noch zu sprechen. Aber in der Zwischenzeit verlangt die Gerechtigkeit, dass wir tun, was wir können, um in dieser Übergangsperiode das Schicksal der Menschen auf der anderen Seite zu erleichtern und ihre Hoffnung am Leben zu erhalten. Es ist wichtig, dass für die Menschen in den stillen Straßen östlich von uns die Verbindung mit der westlichen Gesellschaft aufrechterhalten wird - mittels aller Berührungspunkte und Verbindungsmöglichkeiten, die geschaffen werden können, durch das Höchstmaß von Handelsbeziehungen, das unsere Sicherheit erlaubt.

Vor allem aber, ob diese Menschen nun vom Westen viel oder wenig sehen - was sie sehen, muss so hell sein, dass es die Verzerrungen Lügen straft, die tagaus, tagein vom Osten losgelassen werden. Es gibt daher für Sie keine schönere Möglichkeit, als hier in West Berlin zu bleiben, als Ihre Begabung und Ihre Fähigkeiten in den Dienst dieser Stadt zu stellen und Ihren Nachbarn die lebendige Wirksamkeit der Demokratie zu zeigen, eine blühende Stadt voll Schaffenskraft, die all ihren Bewohnern Freiheit und ein besseres Leben für alle bietet. Schon jetzt tragen Sie dazu Ihr Teil bei - durch Ihre Studiumsarbeit und durch Ihre Hingabe an die Sache der Freiheit, und so erwerben Sie sich die Bewunderung Ihrer Kommilitonen, wo immer diese auch herkommen.

Schließlich, was erfordert die Freiheit? Die Antwort liegt auf der Hand: ein geeintes Berlin in einem geeinten Deutschland - geeint durch freie Selbstbestimmung - und in Frieden lebend. Dieses Recht, nach freiem Ermessen zu wählen, ist kein Sondervorrecht, das nur die Deutschen beanspruchen. Es ist ein Grunderfordernis menschlicher Gerechtigkeit. Es ist deshalb ein Ziel, das wir nie aufgeben werden, und es ist ein Ziel, das sehr wohl am besten im Rahmen einer Wiederherstellung des größeren Europa erreicht werden könnte - zu beiden Seiten der harten Trennungslinie, die es jetzt in zwei Teile teilt. [...]

Diese Idee ist im Westen der Nachkriegszeit nicht neu. Außenminister Marshall wurde kurz nach seiner berühmten Rede an der Harvard Universität, in der er auf Hilfe für den europäischen Wiederaufbau drang, gefragt, welches Gebiet sein Vorschlag umfassen solle, und er antwortete ich zitiere ihn wörtlich er bediene sich der "allgemein akzeptierten geographischen Definition Europas westlich von Asien". Die von ihm angebotene Hilfe und Freundschaft wurden zurückgewiesen aber es ist nicht zu spät, um noch einmal in gesamt europäischen Begriffen zu denken. Der Wind der Änderung weht über den eisernen Vorhang und die übrige Welt hinweg. Die Sache der Menschenrechte und Menschenwürde gibt noch 200 Jahre nach ihrer Geburt in Europa und den Vereinigten Staaten Menschen und Nationen zunehmenden Auftrieb. Die farbigen Bürger meines eigenen Landes haben ihre Forderung nach Gleichheit verstärkt - und das amerikanische Volk und die amerikanische Regierung sind dabei, ihre Forderung zu erfüllen. Das Tempo der Entkolonialisierung in Afrika hat sich beschleunigt. Die Völker der sich entwickelnden Länder haben ihr Streben nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit verstärkt. Nach 18 Jahren der Unterdrückung sind selbst die Völker Osteuropas für eine Änderung nicht unempfänglich. Die Wahrheit stirbt nicht. Das Verlangen nach Freiheit lässt sich niemals gänzlich ersticken. Noch nach 45 Jahren Parteidiktatur spürt das Volk der Sowjetunion die Kraft der historischen Evolution. Die strengen Regeln des Stalinismus gelten offiziell als bankrott. Wirtschaftliche und politische Variationen und Abweichungen zeigen sich z. B. in Polen, in Rumänien und der Sowjetunion selbst. Die Betonung wissenschaftlicher und industrieller Errungenschaften war von zunehmender Bildung und geistigen Gärungsprozessen begleitet. Tatsächlich erfordert die Natur der modernen technisierten Gesellschaft menschliche Initiative und Verschiedenheit freien menschlichen Geistes. Die Geschichte selbst steht dem marxistischen Dogma entgegen und geht nicht mit ihm. [...]

Kurz gesagt, diese dogmatischen Polizeistaaten sind ein Anachronismus ebenso wie die Teilung Deutschlands und Europas dem Strom der Geschichte entgegengesetzt ist. Das neue Europa des Westens - ein dynamisches, vielfältiges und demokratisches Europa - muss auf die Völker im Osten eine stetig wachsende Anziehungs kraft ausüben. Und wenn die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung in Erscheinung treten, dann werden wir im Westen es klar machen, dass wir keinem Volk und keinem System feindlich gegenüberstehen, solange diese ihr eigenes Schicksal bestimmen, ohne andere an ihrer freien Wahl zu hindern. Auf beiden Seiten werden Wunden zu heilen sein, wird Misstrauen beseitigt werden müssen. Die Unterschiede des Lebensstandards müssen ausgeglichen werden, aber nach oben, nicht nach unten. Faire und wirksame Abkommen, um dem Wettrüsten ein Ende zumachen, müssen erreicht werden. Diese Änderungen werden nicht heute oder morgen kommen, aber wir müssen in unseren Bemühungen um eine wirkliche Lösung unablässig fortfahren.

Dieser Prozess lässt sich nur durch die wachsende Einheit des Westens fördern, und wir müssen alle auf dieses Ziel hinarbeiten. Einigkeit macht stark, und das ist der Grund, warum ich auf diesen Kontinent komme - die Einigkeit dieses Kontinents. Jegliche Uneinigkeit oder Schwäche erschwert nur unsere Aufgabe. Und der Westen kann nicht aus einer Situation der Uneinigkeit und Ungewissheit und des Wettstreits heraus über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln.

Kurz gesagt, nur wenn sie eine angemessene Zeit lang sehen können, dass wir stark und einig, dass wir wachsam und entschlossen sind, nur dann ist es wahrscheinlich, dass die anderen von ihrem Kurs der bewaffneten Aggression oder der Unterwühlung ablassen werden. Nur dann werden ernstgemeinte für beide Teile annehmbare Vorschläge zur Verminderung der feindseligen Gegensätze eine Erfolgschance haben.

Es ist kein leichter Kurs. Es gibt keinen leichten Kurs zur Wiedervereinigung Deutschlands und Wiederherstellung Europas. Aber das Leben ist niemals leicht. Es gibt Arbeit, die getan werden muss, und Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen - Verpflichtungen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit.

Quelle: Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse und Informationsamtes der Bundesregierung Nrn. 108 109 110, 111, 112, 113/1963.


Quelleninterpretation und Einbettung in den Unterricht

Kennedys Reden sind als politische Reden streng zweckgebunden. Ihre Analyse sollte die Frage "Wer teilt wem wann zu welchem Zweck was wie mit?" beantworten. Das "wie" kann jedoch im Geschichtsunterricht, ganz im Gegensatz zum Deutschunterricht, nicht primär über die Analyse der rhetorischen Mittel, mit denen der Inhalt der Rede verknüpft ist, beantwortet werden. Es ist hingegen anzustreben, die Wirkung und Bedeutung der Rede aus anderen Faktoren heraus zu erklären: Dem speziellen historischen Kontext, den politischen Absichten des Sprechers und den Erwartungen des Publikums und ihrer Haltung zum Redner. Dieses ist mit dem methodischem Instrumentarium des Geschichtsunterrichts zu leisten: Die Schüler können Kernpunkte der Rede nennen und erläutern. Das Medium CD/Tonbandaufzeichnung ermöglich es ihnen (im Fall der Schöneberg-Rede), die Wirkung der Rede zu bewerten; die Diskussion kann sie dazu veranlassen, die Redeabsicht und -wirkung kritisch zu hinterfragen.
Zu untersuchen ist zuerst die Redesituation. Die Rede vor dem Schöneberger Rathaus wurde vor einer nicht gezählten, dichten Menschenmenge per Lautsprecher übertragen. Die Berliner kamen somit unmittelbar mit dem populären amerikanischen Präsidenten zusammen und konnten direkt auf seine Rede reagieren. An denen vom Sprecher erwarteten Stellen wurde gejubelt oder auch gelacht, was erstens die positive Wirkung seiner Rede demonstriert, und zweitens aber auch schlicht die Tatsache, dass die Berliner die Rede verstanden haben. Waren so viele Zuhörer des Amerikanischen mächtig? Die Antwort ist zweigeteilt. Zum einen wurde die Rede simultan ins Deutsche übersetzt, was aber aus den Tonbandaufzeichnungen später herausgeschnitten wurde. Das ist auch der Grund dafür, dass Kennedy viele Sprechpausen macht. Zum anderen konnte ein Teil des Publikums Kennedys Rede auch ohne Übersetzung folgen, wie Zeitzeugen berichten. Dies erklärt auch den gestaffelten Applaus. Wenn im Unterricht diese Tonbandaufnahme verwendet wird, sollte der Hinweis auf die Übersetzung nicht fehlen, um den historischen Kontext nicht zu verfälschen.
Der Inhalt der Rede gibt der engen Verbindung zwischen den USA und den Berlinern eine stark emotionale Komponente. Kennedy erreicht dies durch die Beschwörung gemeinsamer Erlebnisse (Luftbrücke) und dem Einsatz diverser rhetorischer Mittel. Besonders wirksam waren die deutschen Sätze, welche die Verbundenheit zu den Berlinern unterstreichen sollen ("Ich bin ein Berliner." "Lasst sie nach Berlin kommen."). Kennedy hatte sie erst kurz vor der Rede eingeflochten, um die Wirkung der Rede zu erhöhen.
Die Struktur der Rede spiegelt die Entwicklung der Stadt Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg wider. Kennedy verweist auf die erste und zweite Berlin-Krise (Luftbrücke und Mauerbau, und geht dann auf die Gegenwart (Berlin als Frontstadt des Kalten Krieges) ein. Am Beispiel dieser Stadt zeigt er "das Versagen des kommunistischen Systems" auf. Er bestärkt die Berliner, der Belagerung auch weiter standzuhalten. Am Schluss seiner Rede zeichnet er ein Bild von einer friedlichen Zukunft - die Berliner leben in einem wiedervereinigten Deutschland, Europa ist nicht mehr zweigeteilt; das westlichen System hat den Kommunismus überwunden. Kennedy benennt weder Zeitpunkt noch Mittel, um diesen Zustand zu erreichen. Mit Blick auf diese Zukunft beschwört er die Berliner mit Stolz in dieser geschichtsträchtigen Stadt zu leben und identifiziert sich schließlich mit ihrem Schicksal: "Ich bin ein Berliner". Kennedy unterstreicht somit noch einmal die Schutzgarantie für Berlin, unternimmt jedoch keine konkreten Schritte, um die Teilung der Stadt und Europas aufzuheben.
Kennedys Rede vor der FU bietet sich in zweifacher Weise für den Einsatz im Unterricht an: Zum einen verweist sie auf internationale politische Entwicklungen der Nachkriegszeit, welche die Schüler erläutern sollten. Zum anderen bietet sich die Struktur der Rede zum Vergleich mit der Schöneberg-Rede an.
Die Rede in der Freien Universität wurde vor Studenten, Mitarbeitern und Professoren der Universität gehalten. Kennedy richtete seine Rede wiederum stark auf sein Publikum aus. Er verwendet die Leitwerte der FU "Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit" als Strukturelemente für seine Rede und rät den Studenten, ihr Handeln nach ihnen auszurichten. Er bettet seine Ratschläge in die Geschichte und eine Analyse der aktuellen weltpolitischen Lage ein. Um diese zu verstehen, ist eine umfassende Allgemeinbildung und Kenntnis der internationalen Politikfelder nötig.
Kennedy verweist auf die Staatsbildungen in Afrika, Südamerika und Asien, um das Voranschreiten der Freiheit zu belegen, welches seiner Ansicht nach eines Tages auch Deutschland erfassen wird. Bis dahin fordert er jedoch, die Gegebenheiten zu akzeptieren und damit dem Leitwert "Wahrheit" gerecht zu werden.
"Gerechtigkeit" sieht er verwirklicht, wenn die innerdeutschen Beziehungen erhalten und intensiviert werden, um das "Schicksal der Menschen auf der anderen Seite zu erleichtern".
"Freiheit" wird sich schließlich ihren Weg bahnen. Kennedy belegt dies mit den bereits existenten Bewegungen in den USA (Bürgerrechte) und in Afrika (Entkolonialisierung) sowie mit den Ermüdungserscheinungen in den sozialistischen Ländern Osteuropas.
Diese Bestandsaufnahme ist für Kennedy Grund zur Annahme, dass Westeuropa auf die "Völker im Osten" eine "stetig wachsende Anziehungskraft ausüben kann und muss. Er fordert die Führer der Sowjetunion auf, sich um eine "wirkliche Lösung" zu bemühen und lädt sie zu Gesprächen zur Rüstungsbegrenzung ein.
Auch in dieser Rede gibt Kennedy keine weitergehenden politischen Versprechungen, sondern setzt auf die Überlegenheit des westlichen Systems. Er fordert die Studenten auf, ihr Schaffen in den Dienst der Demokratie zu stellen, um den "Nachbarn die lebendige Wirksamkeit der Demokratie zu zeigen" und beschwört abschließend die Einigkeit Westeuropas, um die Aggressionen der Gegenseite abzuwehren.

 
Adresse: Unter den Linden 2, 10117 Berlin, Tel: ++49 (30) 20 30 4 - 0, Fax: ++49 (30) 20 30 4 - 543, Wechselausstellungen in der Ausstellungshalle von I.M.Pei Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin, Öffnungszeiten: Täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt 2 Euro, Lageplan: www.berlin.de, Link: Verkehrsverbindungen und weitere Besucherinformationen
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