Barbara Hille
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Ehe und Familie in den Lebensperspektiven der Jugendlichen in der DDR
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Deutschland um 1900

DDR
BRD


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Barbara Hille


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Sexualität, Schwangerschaft, Geburt

In beiden deutschen Staaten hatte sich im Zuge säkularer Veränderungen eine beträchtliche altersmäßige Vorverlagerung in der sexuellen Entwicklung vollzogen. Demgegenüber hatte sich die Schul- und Berufsausbildungsphase verlängert, so daß sich der zeitliche Abstand zwischen biopsychischer Entwicklung und der Verwirklichung von Sexualität und Partnerschaft im Rahmen einer Ehe bzw. Familie immer mehr vergrößert hatte. Diese Tendenz ließ sich auch in der DDR trotz des frühen Erstheiratsalters und der vergleichsweise kürzeren Dauer der schulischen und beruflichen Ausbildung feststellen. Die pädagogische Zielsetzung eines Aufschubs sexueller Bedürfnisse möglichst bis zum Abschluß der Schulzeit bzw. Berufsausbildung hat sich als nicht realistisch erwiesen. Liebe und Sexualität hatten dementsprechend bei Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Im Alter von 15 bis 18 Jahren hatten die meisten Jugendlichen erste sexuelle Beziehungen aufgenommen; das galt für Mädchen wie Jungen gleichermaßen.

Als wichtige Voraussetzung für eine harmonische Sexualbeziehung und ebenso für eine geplante Elternschaft sind ausreichende Kenntnisse erforderlich. Sie waren bei den meisten Jugendlichen in der DDR jedoch nur unzureichend vorhanden, was sowohl Fragen des Sexualverhaltens, der Zeugung, Schwangerschaft, Geburt wie der Empfängnisverhütung betraf. Anstelle einer rechtzeitigen Verhütung zogen viele Jugendliche sogar den Schwangerschaftsabbruch (s. Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 09.03.1980) als Möglichkeit der (nachträglichen) "Verhütung" ins Kalkül. Ungewollte Empfängnis und zahlreiche Schwangerschaften in sehr jungem Lebensalter waren die unerwünschten Folgen. Etwa jedes fünfte Mädchen wurde vor Erreichen der Volljährigkeit schwanger. Davon waren die meisten (zwei Drittel) unter 16 Jahre alt. Nur 28 Prozent der Schwangerschaften vor dem 18. Lebensjahr wurden ausgetragen; die meisten wurden abgetrieben bzw. endeten als Fehlgeburten. Der Anteil der außerehelichen Geburten war insgesamt mit 34 Prozent außerordentlich hoch; in der Bundesrepublik betrug er zum gleichen Zeitpunkt knapp 10 Prozent. Diese unerwünschten Entwicklungen wurden in der DDR mehrfach zum Anlaß genommen, um die Notwendigkeit einer rechtzeitigen schulischen Kenntnisvermittlung und moralischen Vorbereitung der jungen Generation auf Ehe und Familie zu unterstreichen. Versäumnisse wurden sowohl den Lehrern als auch den Eltern der Jugendlichen angelastet. Außerdem hatten die umfassenden Hilfen für junge alleinstehende Mütter offensichtlich einen unerwünschten Verstärkereffekt auf die Risikofreudigkeit der Jugendlichen. Die positiv gemeinte umfassende soziale Absicherung wirkte teilweise in negativer Richtung zu Lasten von Eigenverantwortung gegenüber dem Partner und den aus der ungeplanten Schwangerschaft resultierenden Kindern.

Eheschließung oder außereheliche Lebensgemeinschaft

Eine Schwangerschaft wurde von den meisten Jugendlichen nicht mehr als zwingender Grund für eine Eheschließung angesehen. Allein wegen eines zur erwartenden Kindes würden (z.B. nach der bereits genannten Studie von Borrmann und Schille) nicht heiraten: 75 Prozent der befragten Mädchen und 56 Prozent der Jungen.

Die Anzahl der jungen Paare, die zunächst in einer außerehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, hat insgesamt zugenommen. Häufig handelt es sich dabei um eine Erprobungs- bzw. Vorphase mit festem Partner, die in den meisten Fällen in eine rechtlich legitimierte Ehe einmündet. Der Anspruch der Jugendlichen auf Ausschließlichkeit, Dauerhaftigkeit und Treue in der Paarbeziehung gilt für beide Konstellationen.

Trotz analoger Tendenzen ließen sich im Vergleich beider deutscher Staaten einige typische Differenzen feststellen. Bei den jungen Paaren in der Bundesrepublik war der Kinderwunsch meist das Motiv für eine Eheschließung. Somit erfolgte die Legalisierung der bereits erprobten Paarbeziehung zumeist zugunsten eines gewünschten gemeinsamen Kindes. Diese Tendenz zur bewußten Elternschaft zeichnete sich als ein typisches, positives Merkmal junger Paare in der Bundesrepublik ab.

In der DDR nahmen die außerehelichen Lebensgemeinschaften eher einen anderen Verlauf. Infolge der großen Zahl unehelicher Geburten bei sehr jungen Mädchen erfolgten Empfängnis und Geburt teilweise vor einer festen Partnerbindung. Eine außereheliche Lebensgemeinschaft begann somit häufiger bereits mit einem Kind. Auch sie mündete jedoch meist zu einem späteren Zeitpunkt in eine Ehe ein. Diese Reihenfolge entsprach im Grunde nicht den Normvorstellungen. Einen Verstärkereffekt hatte dabei die begünstigte Stellung und Förderung der alleinstehenden Mütter. Teils wurde der Status der "alleinstehenden" Mutter im Rahmen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft mit Kind in den ersten Lebensjahren bis zur Einschulung des Kindes ausgenutzt, um die zusätzlichen Vorteile für alleinstehende Mütter in Anspruch nehmen zu können. Allerdings waren die Lebensbedingungen insgesamt für außereheliche Lebensgemeinschaften in der DDR vor allem im Hinblick auf die Wohnsituation wenig günstig. Angesichts des Wohnraummangels hatten unverheiratete Paare nur geringe Chancen, eine Wohnung zu erhalten. So war die Zuteilung einer eigenen Wohnung anderseits bei der Mehrzahl der jungen Paare einer der Hauptgründe für die frühzeitige Heirat.
 
           
 
 
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