Barbara Hille
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Ehe und Familie in den Lebensperspektiven der Jugendlichen in der DDR
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Deutschland um 1900

DDR
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Barbara Hille


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Ehescheidungen, Mehrfachehen, Stieffamilien

Aus diesen unterschiedlichen Rollenerwartungen und deren Realisierung resultierten vielfach Belastungen für die jungen Ehen und Familien.

Risikohaft war aber auch die hohe Zahl der unehelichen Geburten von sehr jungen Müttern unter 18 Jahren. Oft war bereits bei Eheschließung ein Kind vorhanden, oder ein Teil der Jugendlichen mündete aufgrund einer Schwangerschaft zu früh und ungeprüft in eine Ehe ein, die häufig mit einer Scheidung nach kurzer Ehedauer endete. In der DDR kam im Jahresdurchschnitt auf zwei Eheschließungen jeweils eine Ehescheidung (in der Bundesrepublik betrug die Relation 3:1). Die meisten Ehescheidungen erfolgten in den ersten Ehejahren.

Generell zeichnet sich angesichts der Reduzierung familiärer Aufgaben u.a. durch die geringe Kinderzahl eine Überforderung der Paarbeziehung hinsichtlich Emotionalität und Sexualität ab. Die emotionale Dimension erweist sich oftmals zerbrechlich und labil, wenn sie nicht in Aufgaben eingebunden ist, die über die Zweierbeziehung und den familiären Bereich langfristig hinausgehen (z.B. in beruflichen, gesellschaftlichen Funktionen). Das wurde in der DDR vielfältig versucht, ohne daß dadurch jedoch die Dauerhaftigkeit von Ehen erhöht werden konnte.

Als Folge der hohen Zahl von Ehescheidungen in der DDR war nach J. Gysi sowohl eine Zunahme von außerehelichen Lebensgemeinschaften geschiedener Ehepartner, von Mehrfachehen und schließlich von unvollständigen Familien zu verzeichnen. Der Prozeß der Auflösung von Ehe und Familie weitete sich aus.

 

Kinder tragen die Folgen

Das Schicksal der Kinder wurde nur selten thematisiert. In der DDR waren zahlreiche Kinder durch Ehescheidungen betroffen: jährlich waren es ca. 75.000 Kinder. Viele von ihnen kamen durch Wiederverheiratung der Eltern in neue Familien, zumal ein großer Teil der neuen Ehepartner ebenfalls eigene Kinder in die neue Ehe mitbrachte. Somit bildete sich in der DDR eine neue Familienform, die sogenannte "Stieffamilie" heraus. Nach vorliegenden Schätzungen werden voraussichtlich zwischen einem Drittel und der Hälfte der seit Mitte der achtziger Jahre Neugeborenen nicht in der Familie aufwachsen, in die sie hineingeboren wurden. Das ist um so gravierender, als 40 Prozent der geschiedenen Ehen nicht länger als fünf Jahre hielten. Noch schwieriger gestaltete sich das Schicksal der Kinder, die von sehr jungen alleinstehenden Müttern zur Welt gebracht wurden, die oft selbst noch "unfertig" waren. Die daraus resultierenden vielfältigen sozialen und emotionalen Defizite ließen sich durch die umfassende außerfamiliale Betreuung und Erziehung nur teilweise kompensieren. Die psychischen Folgen, z.B. aus den ungeklärten Beziehungen zwischen den getrennten Eltern, durch Verweigerung des außerhalb der Familie lebenden Elternteils, Verunsicherung des Stiefelternteils, Loyalitätskonflikte der Kinder bzw. Stiefkinder, wurden bislang nur unzureichend untersucht. Immerhin wurde von wenigen Sozialwissenschaftlern in der DDR auch kritisch gefragt, ob alles Machbare im Sozialismus auch wünschenswert sei. Offensichtlich hätten die jungen Paare Anpassung und Verzicht zugunsten der Partnerschaft nicht gelernt, werde Selbstverwirklichung nur auf Kosten der Selbstlosigkeit erreicht. Die Leidtragenden seien die Kinder. Die Zerstörung einer gewachsenen Beziehung bringe die Kinder um die Möglichkeit, ihre elementaren Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Das sei nur in einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung möglich. Es sei an der Zeit, einen für manche altmodisch klingenden Begriff ins Bewußtsein der jungen Eltern zurückzurufen: die Treue.

Zukunftsperspektiven

In den Wunschvorstellungen Jugendlicher zu Ehe und Familie ließen sich im Vergleich beider deutscher Staaten zahlreiche Ähnlichkeiten feststellen. Sie waren offensichtlich stärker geprägt durch die Rahmenbedingungen moderner Industriegesellschaften als durch die systemspezifisch differenten Ideologien und Normen. Unterschiede ließen sich jedoch in der Realisierung der Wunschvorstellungen sowie im Lebensalltag von jungen Paaren und Familien erkennen, der in der DDR durch die Priorität der Arbeit für Mann und Frau bestimmt wurde. Außerdem wurden durch die konsequenten und frühzeitigen Einflüsse der außerfamilialen Instanzen auf die Kindererziehung die Spielräume für individuelle Entwicklungen und unterschiedliche Ausgestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Die Versuche, das generative Verhalten von Paaren sozialpolitisch zu steuern, sind im Rückblick eher skeptisch zu beurteilen. Wenn man von den Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen und jungen Paare ausgeht, so werden die künftigen jungen Familien voraussichtlich ebenfalls nicht mehr als durchschnittlich ein bis zwei Kinder haben. Das wird auch im vereinten Deutschland gelten. Ehe und Familie werden jedoch weiterhin eine Chance haben, da die Mehrheit der Jugendlichen diese Lebensformen wünscht und zu verwirklichen sucht.

© Barbara Hille, 1993

 
           
 
 
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