Gudrun Leidecker
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Kinder und Jugendliche erleben die "Wende"
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Katalog

Vorwort
Einführung

Deutschland um 1900

DDR
BRD


Aufsätze

Gudrun Leidecker


Ausstellungsarchitektur



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Virtueller Spaziergang



Ausstellungsgrundriss



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Ein wesentliches Problem ist weiterhin der Unterschied zwischen der Integration von Ausländern in der Bundesrepublik, einem Leben in einem vereinigten Europa und der Selbstisolation, Ummauerung der DDR, in der "antiimperialistische Solidarität, Freundschaft mit der Sowjetunion und allen Bruderländern" per Briefkontakt und Beitragszahlung gepflegt wurde, die reale Lebenssituation ausländischer Menschen aber kaum bekannt war.

 

Für all die neuen Lebensmuster und -anforderungen (und die genannten sind bei weitem nicht alle, denkt man an Medien, Konsum, Autoverkehr) fehlen Bewertungsmaßstäbe, Erfahrungen und Bewältigungsstrategien. Auch so ist es heute, 1992, zu erklären, warum nur 4,2 Prozent der Jugendlichen in der eingangs zitierten Studie ohne Einschränkung und nur 15,7 Prozent mit geringen Einschränkungen der Auffassung sind, daß das Leben für die Jugend seit dem Beitritt der DDR zur BRD alles in allem besser geworden sei.

Die Mehrheit hat soziale Sicherheit, berufliche Perspektive, Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung als für sich bedeutsam erfahren. Mit welcher Garantie, gemessen an der ökonomischen Situation der ehemaligen DDR, soll hier nicht diskutiert werden, spielt auch im Denken der heute Sechzehn- bis Siebzehnjährigen kaum eine Rolle.

Am wenigsten aber sind die Jugendlichen eingestellt auf die Arbeitslosigkeit. Noch immer haben arbeitsbezogene Wertvorstellungen einen außerordentlich hohen Stellenwert, kann diese hohe Wertschätzung der Arbeit zu Konflikten zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zu Frustration führen, aber auch eine Basis für wirtschaftliche Entwicklung sein. Noch sind die Jugendlichen nicht resigniert, wie häufig ihre Eltern, sehen mehr als zwei Drittel ihr eigenes Leben eher zuversichtlich, wenn auch nahezu die Hälfte die Zukunft der Gesellschaft eher düster sieht. Sie hoffen auf eine Arbeit, die ihnen Freude macht, Erfolg im Beruf, Glück in der Liebe, viele Freunde, eine dauerhafte Partnerschaft, die Möglichkeit, die Welt zu bereisen, und sind bereit, sich für den Frieden einzusetzen. Vergleicht man gegenwärtige soziologische Untersuchungen mit den Wünschen und Träumen der Mädchen und Jungen aus dem Jahre 1990, so ist es noch immer das Bedürfnis nach einer Welt, in der es Toleranz, Freundschaft und Hilfsbereitschaft gibt, nach einer gesunden Umwelt, nach sicheren Orientierungen.

Inwiefern die Hoffnungen in Enttäuschungen, Resignation oder Gewaltausbrüche umschlagen, hat die Gesellschaft wesentlich in der Hand. Noch übertragen sich Orientierungsprobleme der Eltern auf die Jugendlichen. So sagte einer der Jugendlichen, die im September 1992 Steine auf ein Asylbewerberheim in Eisenhüttenstadt warfen: "Die Eltern haben früher gemeckert, und meckern heute wieder. Wie die sich das hier bieten lassen, wie sie belogen und betrogen werden ...".

Inwieweit die Brüche in den Biographien zu zerbrochenen Lebensbahnen werden, darf nicht abgewartet werden, sondern bedarf der Unterstützung und Aufmerksamkeit aller. Kinder und Jugendliche brauchen eine Lobby. Einen Beitrag dazu sollte unsere Dokumentation leisten, der nachfolgende Auszüge entnommen sind.

Kinder in der Leipziger Demo

Ich war 13mal auf der Montagsdemo. Zuerst waren wir wie in einer Familie, jetzt sind die Menschen dort aggressiver und hören nicht mehr aufeinander.
Mädchen, 10 Jahre

Ich war immer auf der Demo. Ich forderte: Nieder SED, Freie Wahlen und Aufdeckung der Verbrechen.
Mädchen, 11 Jahre

Ich war auf der Demo und habe (was ich vorher nie gemacht habe) die Aktuelle Kamera angeguckt.
Mädchen, 10 Jahre

Ich finde es sehr gut, daß wir mit unseren Demos eine Wende hervorbringen konnten. Auch finde ich es gut, daß die Polizei nicht sehr viel (außer 7. Oktober) eingriff. Ich hatte nicht gedacht, daß die Demos so friedlich ausgingen, so daß kein Blutbad wie in Rumänien entstand.
Mädchen, 12 Jahre

Als die Demo bei uns in Leipzig begann, ging ich oft mit meinem Vater demonstrieren. Warum ich das tat, das weiß ich gar nicht, vielleicht weil meine Klassenkameraden viel von der Montagsdemo erzählten. Sie haben das so spannend erzählt, daß es mich anregte, dort einmal hinzugehen. Es hat mir auch gefallen, wie die Menschen laut auf die Stasi schimpften. Dann ging ich jedesmal und rief mit, über das, was ich gar nicht richtig verstand.
Mädchen, 13 Jahre

 
           
 
 
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