DAS GEHEIMNIS DES GANZEN-

Mythos, Geschichte und Politik

HANS WILDEROTTER

Selbstbildnis
Walther Rathenau,
um 1895,
Bleistift/Kohle
Walther Rathenau hat der schwedischen Ausgabe seines Buches Von kommenden Dingen einen biographischen Abriß vorangestellt, in dem es unter »Berufswahl« heißt: »Schwanken zwischen Malerei, Literatur und Naturwissenschaft. Entscheidung für Physik, Mathematik und Chemie als Grundlagen neuzeitlicher Wissenschaft und Technik.«1 Sieht man davon ab, daß dem Leser ganz nebenbei die Breite der Interessen und die Vielfalt der Begabungen vor Augen geführt werden sollten, bleibt der wohl gar nicht beabsichtigte Hinweis auf ein Problem, von dem das Leben Walther Rathenaus lange Zeit bestimmt werden sollte und dessen theoretischer Bewältigung ein nicht geringer Teil seines schriftstellerischen Werks gewidmet war.

Denn was er hier so leichthin als Schwanken bezeichnete, als vorübergehende Unentschlossenheit, war in Wirklichkeit ein jahrelanger und häufig wiederkehrender Konflikt. Briefe, die er aus München, wo er sich zum Studium auflhielt, aus Neuhausen in der Schweiz, wo er seiner ersten beruflichen Tätigkeit nachging, an den Bruder und die Mutter schrieb, vor allem aber die Tatsache, daß er während seines Studienaufenthalts in Straßburg 1886/87 ein Theaterstück verfaßte, das er drucken ließ und dem Stadttheater in Frankfurt am Main zur Aufführung anbot, wo es allerdings nicht angenommen wurde, legen nicht nur Zeugnis ab von einem fortbestehenden Interesse an Kunst und Literatur, sondern auch von einem nicht geringen Widerwillen gegen »Physik, Mathematik und Chemie als Grundlagen neuzeitlicher Wissenschaft und Technik«.

Die Entscheidung dafür scheint nicht aus freien Stücken erfolgt zu sein. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß Emil Rathenau seinen ältesten Sohn, dessen künstlerischen Neigungen er wohl ablehnend gegenüberstand, in die Zukunftsplanung der AEG einbezogen hatte, und Walther Rathenau hat sich gegen diesen Wunsch nicht etwa aufgelehnt, sondern ist ihm bereitwillig gefolgt. Zwar läßt der Berufsweg, den er im Anschluß an diese Entscheidung einschlug und der hier nicht dargestellt zu werden braucht, von außen betrachtet eine stetige Aufwärtsbewegung erkennen; er war jedoch nicht frei von Mißerfolgen, Rückschlägen und Selbstzweifeln.

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Fußnoten