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Die erste photographische Dokumentation Tsingtaus:
Dr. Behme und seine Bilder

von Thomas H. Hahn

In einer Zeit, da bewegte Bilder noch nicht im Kino zu bestaunen waren und unbewegte eher die Wände der Museen und privater Herrenhäuser schmückten, begab es sich, daß ein Deutscher mit Namen Friedrich Behme ins unbekannte China auszog, dem Ruf des Staates folgend, der dort, in den neuen Kolonien, interessante Stellen zu vergeben hatte. Der Zeitraum der hinterlassenen Bilder, angefangen mit Aufnahmen des alten Stadttempels des damals noch verschlafenen Ortes Tsingtau von 1898 bis hin zu kolorierten Schnappschüssen von der Schlacht von Port Arthur 1904 suggeriert einen Aufenthalt von zumindest sechs oder sieben Jahren. In der Tat aber ist nur verbürgt, daß Behme offiziell beim Aufbau des Justizwesens maßgeblich beteiligt war, und zwar als kaiserlich-deutscher Zivilrichter und promovierter Jurist1 von 1903 bis 1904. Vermutlich aber weilte er sogar bis 1906 in Tsingtau. Dies ist schon alles, was über seinen Aufenthalt in der neuen Kolonie im fernen Ostasien bekannt ist, wenn da nicht seine Bilder wären, Photographien von ungewöhnlicher Präzision und Tiefe, in professioneller Manier ausgeführt und vorbereitet. Aber der Reihe nach! Was wissen wir von Behme als Mensch, als Jurist und als Photograph?
Friedrich Behme wurde am 29. Dezember 1870 auf der Pahlandsmühle bei Bredelem (nahe Goslar am Harz) als Sohn des damaligen Besitzers geboren. In Goslar ging er zur Schule, besuchte das Gymnasium, um sich dann an Orten wie Leipzig, Freiburg, Berlin und Göttingen dem Studium der Rechtswissenschaften sowie der Geologie zuzuwenden. Eine seltsame Verquickung von Interessen, mag man von heutiger Warte einwerfen, jedoch eine, die zeit seines Lebens Bestand haben sollte und durchaus fruchtbare Resultate abwarf. Es heißt, von preußisch-kaiserlicher Seite aus habe man sich früh seiner Verdienste in Form von »Sonderaufgaben« versichert, unter anderem beim Auswärtigen Amt. So nimmt es nicht weiter wunder, ihn ab 1903 in China zu finden, einem Land, wo noch Pioniertaten zu vollbringen waren. Der Erste Weltkrieg führt ihn als Kriegsgerichtsrat erst nach Westen und abschließend nach Rumänien, wo ihn Feldmarschall Mackensen ob seiner dort durchgeführten Forschungen zu Erdöllagerstätten ins Hauptquartier berief.2 Nach 1918 ließ sich Behme erst in der Nähe von Bremen nieder, um dann für eine lange Zeitspanne ans Amtsgericht in Hannover zu wechseln. Nachdem er dort noch in den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges - genauer: am 28. März 1945 - ausgebombt worden war, übersiedelte er zurück in seine Heimatstadt Goslar, wo er im hohen Alter verstarb. Friedrich Behme war wahrscheinlich nie verheiratet. Er wurde überlebt von seiner sieben Jahre jüngeren Schwester Theda Behme, einer in Goslar zumindest stadtbekannten Persönlichkeit, die wie ihr Bruder (und möglicherweise beeinflußt durch diesen) die Liebe zur Photographie entwickelte und lange Jahre publizistisch tätig war. Auch Theda Behme, der die »Goslarsche Zeitung« mehrere Artikel widmete,3 hatte nie geheiratet und nach dem Tode des Bruders dessen photographischen Nachlaß verwaltet, welcher glücklicherweise bei der Bombennacht des 28. März 1945 nicht vernichtet wurde. Sie verstarb 1962. Dies ist wichtig festzuhalten, da sich im bisher wenig erschlossenen photographischen Nachlaß Behme mehrere geschlossene Themenkreise finden, die nicht Friedrich, sondern dessen Schwester zuzuschreiben sind.4 Wir wollen an diesem Punkt jedoch den Exkurs wieder zur Ausgangsstelle der Überlegungen zurückführen: Friedrich Behme war engagierter Photograph, zugleich aber auch Heimatforscher, Heimatkundler und passionierter Geologe. Bereits 1894 - im Jahr seiner juristischen Prüfung - fand er Zeit, einen Band photographischer Skizzen herauszugeben, den er »Bilder aus Goslars Umgebung« nannte und der immerhin mindestens drei Auflagen erreichte. Es handelte sich hierbei um 24 eingeklebte Originalaufnahmen, die zur Vermittlung geologischer Information ebenso wie zur »Erbauung« in einem Band zusammengestellt wurden. Überhaupt ist ein großer Teil der hinterlassenen Aufnahmen als komplementär zu seinen geologischen Studien seiner unmittelbaren Heimat zu betrachten. Dieser widmete er im Laufe der Zeit eine Fülle von Studien, so zum Beispiel »Geologische Führer« zu Goslar, (heute Bad) Harzburg, Blankenberg sowie der Lüneburger Heide.5 Behme war demnach ein bekannter Regionalforscher, dessen juristisches Standbein ihm ein komfortables Auskommen sicherte, der jedoch mit dem Herzen der Formationskunde und der Erkundung der diversen erdgeschichtlichen Prozesse seiner Heimat zugetan war. Sein Abstecher nach Tsingtau, wenn man dieses berufliche Engagement einmal so nennen will, nimmt biographisch wie auch im kreativen Sinne eine besondere Stellung ein. Es resultiert aus diesem immerhin doch begrenzten Aufenthalt der einzige und autoritative »Führer zu Tsingtau und Umgebung«, der regulär in Druck ging. Er erreichte mehrere Auflagen und wurde sogar ins Englische übersetzt. So wird die drucktechnische Historie des Tsingtau-Führers in der das Werk einleitenden »Notiz« zur dritten Auflage minutiös festgehalten: »Die erste Auflage dieses ersten Führers durch ein deutsches Schutzgebiet erschien im Jahre 1904 mit 139 Seiten Text und 69 Abbildungen, die zweite im Jahre 1905 mit 168 Seiten Text und 82 Abbildungen. Der Führer ist auch in englischer Sprache in gleicher Ausstattung durch jede Buchhandlung zu beziehen. Chinesische und japanische Übersetzung in Vorbereitung.« Es sei hier angemerkt, daß die dritte Auflage (Wolfenbüttel 1906) insgesamt 222 Seiten Text umfaßte und über 100 eigene Abbildungen enthielt. Eine letzte, vierte Auflage erschien noch 1910 in englischer Sprache. Dabei traf Behme anscheinend eine rigorose Auswahl. Denn von über 600 Aufnahmen ist nur ein Fünftel publiziert worden, die meisten also sind und beschreiben terra incognita. Inhaltlich gesehen bilden seine photographischen Aufzeichnungen eine Dokumentation der Entstehung der modernen Infrastruktur Tsingtaus. Dabei benutzte er Plattenkameras, die guter Standard waren, damit er jederzeit über Ersatzteile und weitere Materialien verfügen konnte. Folgerichtig befinden sich im Anzeigenteil seines Reiseführers auch Privatanzeigen von Erzeugern photographischer Mittel, unter anderen auch der bereits 1866 gegründeten »Trockenplatten- u. Filmfabrik von Johannes Herzog & Co.«, von der Behme vermutlich seine »Extrarapid«-Platten mit »Tropen-Emulsion« sowie haltbare Orthochromatisch-Lichthoffreie »Momentplatten« in tropensicherer Packung bezog.6 Etwa die Hälfte der Platten liegt als Diapositiv (8,3 x 9,8 cm) vor, die andere Hälfte ist als Glasnegativ (8,8 x 11,9 cm) erhalten. Die Qualität beider Medien - im Sinne von Schärfe und Kontrastreichtum - ist zum großen Teil auch heute noch überragend, vergleichbar etwa mit modernen Mittelformataufnahmen (6 x 6 cm). Dabei fällt auf, daß die Behmeschen Photographien, da auf einer anderen chemischen Formel basierend, praktisch keine Körnung aufweisen und dementsprechend auch beliebig vergrößerbar sind. Alle Aufnahmen sind in Schwarzweiß, mit Ausnahme einer kuriosen, handkolorierten kleinen Serie von oben bereits erwähnten Schnappschüssen zur japanisch-russischen Seeschlacht vor Port Arthur aus dem Sommer 1905.
Die Fotosammlung läßt sich grob in zwei Teile gliedern. Da ist zum einen die bereits angesprochene Dokumentation des Aufbaus der Stadt, wie sie sich reißbretthaft von einer kleinen chinesischen Siedlung zu einer im damaligen Sinne modernen Handels- und Hafenstadt entwickelte. Das Prinz-Heinrich-Hotel am Kaiser-Wilhelm-Ufer bildet eines der stolzesten Motive. Unser Photograph hat sich dabei gleich selbst mit ins Bild gerückt. Das Gouvernementsgebäude, der Bahnhof, welcher auch einer deutschen Kleinstadt gut zu Gesicht gestanden hätte, die Kirche, das Schulgebäude, die Brauerei, das Lazarett, die Promenade am Strand mit den Umkleidekabinen - all dies hätte so auch architektonisch und stilistisch ins Bild einer deutschen Kleinstadt an der Ostsee gepaßt. Das Gesicht der Städte aber, so lehren uns die Stadtplaner, wird nicht nur durch ihre Fassaden beherrscht. Es fehlt die Landschaft, in welche die Siedlung eingebettet ist, und es fehlt letztlich der Mensch, der einer Ansammlung von Baulichkeiten Leben einzuhauchen vermag. Behme hat in diesem Sinne jedoch keineswegs eingleisig gearbeitet. Seine Bilder können gewissermaßen als Sozialdokumentation des kolonialen Alltags verstanden werden, die alle Aspekte des Aufbaus mit einbezog. Dazu gehörten das gesellschaftliche Leben auf der Rennbahn, der staatsmännische Empfang des Grafen von Waldersee oder des Prinzen Heinrich von Preußen. Ebenso aber - und dies ist einer der verblüffenden Aspekte seines Schaffens - ging Behme in die neu errichteten Fabrikhallen und vermittelte Bilder zur Arbeitswelt chinesischer Lehrlinge an deutschen Drehbänken. Dazu gehörte aber auch (und man denke an Behme als den Geologen und Heimatforscher) die natürliche Umgebung, so zum Beispiel der Laushan, der nicht nur Berg, sondern gleichzeitig heiliger Ort der Taoisten war. Vergnügliche Landpartien zeigen bärtige Herrschaften westlicher Herkunft freundschaftlich vereint mit bärtigen Mönchen chinesischer Herkunft. Dabei zeugt in den Blicken der Taoisten ein gewisses Mißtrauen im Sinne von Sich-Überfallen-Fühlen von der Authentizität und Lebendigkeit der letztlich doch immer gestellten Pose. Zum ersten Teil muß auch noch das Militär gezählt werden. Es nimmt breiten Raum ein mit Landungsmanövern, Kasernen und Lagern, Uniformen und Pickelhauben. All dies zeigt der Photograph dem völlig unvoreingenommenen Betrachter. Behme hatte vollständige Bewegungsfreiheit. Diese nutzte er, um sich dem «chinesischen Leben« zu nähern, wie es sich im zweiten Teil der Sammlung darstellt. Wenn auch in seinem Tsingtau-Führer der Chinese »als solcher« nicht vorkommt, es vielmehr um Entfernungen zum nächsten Landschaftsmerkmal, um Hotelpreise und die Jagd und Fischerei geht, so sprechen die Bilder des zweiten Teiles inhaltlich für sich: Grabhügel, Tempel, traditionelle chinesische Straßenzüge mit heute allenthalben abgetragenen Ehrenbögen, Marktszenen und Märkte vor den gewaltigen Stadtmauern von Weihsien beweisen nur zu deutlich, daß Behme durchaus offen war für die andere Kultur, in der sich gerade zu seiner Zeit das deutsche Kaiserreich einzunisten begann. Seine Porträts sind mit Abstand aufgenommen, bekunden Respekt und Achtung für die andere, die fremde Person. Eine ethnographisch-anthropologische Version von Photographie, wie wir sie aus Afrika, dem Pazifik oder Südamerika kennen, liegt Behme fern. Parks und Pavillons werden selten aus unmöglichen Winkeln exotistisch dargestellt, für ihn sind es vielmehr geglückte Überarbeitungen einer in diesen Breiten gesegneten Natur. Er hat diesem Glauben und Denken übrigens Rechnung getragen. Die im Reiseführer veröffentlichten Aufnahmen umspannen beide Welten, die deutsche wie auch die chinesische. Seine Kamera und seine Bilder dienten ihm somit nicht als Medium zur Konfrontation, sondern zur Annäherung der Kulturen.



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