Deutsches Historisches Museum - Verf�hrung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945 - Blog

30.01.2013
17:50

Führungsreferent Philippe Carasco: „Innerhalb der Ausstellung geht jeder seinen eigenen Weg“

Wie bereitet man sich auf immer neue Ausstellungen vor? Vor welchen Herausforderungen steht man als Referent bei Führungen? Und welches ist sein Lieblingsbild? Diese und viele weitere Fragen haben wir unserem Referenten Philippe Carasco gestellt, der übrigens auch durch unser #MuseUp führt! 

„Mein Name ist Philippe Carasco. Ich bin im Fachbereich Bildung und Vermittlung tätig und meine Aufgabe ist es, den Besuchern die Ausstellung nahe zu bringen.“

Philippe Carasco

F: An welchem Zeitpunkt des Ausstellungsprojekts wird die Museumspädagogik involviert?

„Das ist sehr unterschiedlich und hängt von den Kuratorinnen und Kuratoren ab. Bei uns ist immer sehr viel Zeitdruck mit dabei, da wir bevor die Ausstellung beginnt, sehr viele andere Ausstellungen haben, die wir auch betreuen müssen. Es ist also immer zweigeteilt: Einerseits arbeiten wir in den Ausstellungen, die gerade laufen und andererseits müssen wir schon die nächsten Ausstellungen im Kopf haben. Das ist die Schwierigkeit, die wir haben. Teilweise sind wir zeitgleich mit bis zu vier Ausstellungen beschäftigt.“

F: Was ist Dir besonders wichtig an der museumspädagogischen Arbeit? Was war Dir wichtig bei der Arbeit zu „Verführung Freiheit“?

„Es ist mir wichtig, den Besuchern das Museum als Ort des Lernens, als Ort des Entdeckens attraktiv zu machen. Das kann nicht funktionieren, wenn wir alles vorschreiben, gerade auch Interpretationen vorschreiben. Bei „Verführung Freiheit“ wollten wir den Besuchern die Freiheit lassen, die Bilder selbst zu entdecken.

Bei dieser Ausstellung sehe ich meine Aufgabe darin, die historischen Hintergründe der Bilder zu erläutern, den Kontext, in dem sie entstanden sind und zu zeigen, was der Künstler darstellt. Zum Beispiel das Gemälde von Equipo Crónica. Da kann ich aus dem Vollen schöpfen.

Zum einen kann ich erklären, was im Mai 1968 in Paris passiert ist, denn darum geht es ja letztendlich in dem Gemälde. Dann kann ich auf die spanischen Wurzeln der Künstler hinweisen und erklären, was für ein politisches System Spanien bei der Entstehung des Bildes hatte. Außerdem kann ich noch auf die ganzen Zitate aus der Kunstgeschichte eingehen. Das finden Besucher auch immer spannend. Manche Sachen erkennen die allermeisten, zum Beispiel die Sonnenblumen von Van Gogh, aber viele Dinge sind eher unbekannt und dann ist es spannend das aufzulösen.“

Equipo Cronica
Equipo Crónica (Rafael Solbes/Manolo Valdés) Escuela de Paris/Die Schule von Paris, 1971 Valencia//Excma. Diputación de Valencia, Spanien © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

F: Was waren die Schwierigkeiten bei Verführung Freiheit?

„Schwierig fand ich es, mir diese ganze Vielzahl an Werken in kurzer Zeit einzuprägen und sie auch zu verstehen und erklären zu können. Natürlich hat man gewisse Kunstwerke, die man während einer Führung zeigt, aber das heißt ja nicht, dass die Gruppe oder der Besucher nicht trotzdem Fragen zu anderen Kunstwerken in der Ausstellung stellen, an denen man am liebsten vorbeigehen würde.“

F: Wie läuft so eine Führung ab? Welche Räume oder welche Bilder werden besprochen?

„Wir haben zwei Arten von Führungen. Wir haben Führungen, die vorab gebucht werden. Da wissen wir, wie viele Personen kommen, ob es eine Schulklasse ist oder eine private Gruppe. Die anderen Führungen, die wir haben, sind öffentliche Führungen. Da ist es dann sehr unterschiedlich, wer kommt. Das können Kunststudenten sein, das kann jemand sein, der zufällig ins Museum reingeschneit ist, weil das Wetter draußen schlecht war, es kann aber auch sein, dass es ein Kunstexperte ist, der eigentlich nur seine eigene Meinung zu den Werken bestätigt haben will. Das ist dann die Herausforderung, diese Personen zusammenbringen, da unterschiedliche Interessen vertreten sind und die Führung für alle interessant sein soll. 

Es gibt dann auch Diskussionen unter den Teilnehmern, vor allem wenn ein Kunstwerk verschiedene Deutungen zulässt. Diese Diskussionen versuchen wir anzuregen. Es gibt Kunstwerke in „Verführung Freiheit“ über die sehr intensiv diskutiert wird. Dan Perjovschi zum Beispiel. Oder „Das Heim“ von Gormley: „Ist er eigentlich frei, wenn er da auf dem Boden mit dem Haus über dem Kopf liegt?“ Ich glaube, zwei Drittel der Besucher sagen, er sei nicht frei. Das andere Drittel argumentiert, dass er ganz entspannt da liegt, dass die Hände in einer entspannten Haltung sind, dass sie geöffnet sind und dass er in seinen Gedanken frei ist. Der Kopf ist in seinem „Heim“, was ja ein positiver Begriff ist. Man hätte das Kunstwerk auch Gefängnis nennen können. Aber es heißt eben „Heim“.

Dan Perjovschi vor "Capital ism"
Dan Perjovschi vor "Capital ism"
Geschichtswerkstatt bei Gormleys "Heim"
Geschichtswerkstatt bei Gormleys "Heim"

F: Nach welchen Kriterien hast Du die Bilder, die in Deiner Führung vorkommen, ausgesucht?

„Es muss einen roten Faden geben bei einer Führung. Und da passt dann nicht jedes Bild rein. Zum Beispiel lasse ich persönlich Damien Hirsts „Dead End Jobs“ weg. Mein roter Faden ist dabei der Kreislauf von Kritik und Krise. Ich gehe von dem Raum „Die Revolution sind wir“ zu dem Raum „Reise ins Wunderland“ und da geht es mir sehr stark um die Kritik an der Geschichtsschreibung. In dem Raum konzentriere ich mich auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. des Nationalsozialismus und da fällt dieses Kunstwerk raus.

Bei meinen Kollegen ist Hirst dann vielleicht dabei. Das kommt daher, dass es kein allgemeingültiges Führungskonzept gibt, sondern jeder hat sein eigenes Konzept entwickelt. Innerhalb der Ausstellung geht jeder seinen eigenen Weg.“

F: Was für ein Feedback bekommst Du von den Besuchern?

„Bei den Führungen merken wir das eigentlich schon währenddessen. Wenn jemand nicht mehr zuhört, dann weiß man, dass man was falsch gemacht hat. Man merkt das an der Aufmerksamkeit, ob eine Führung interessant ist oder nicht. Wenn die Leute anfangen woanders hinzugehen und nicht mehr zuhören, dann war man nicht gut genug.“

F: Was sind denn die Fragen, die danach am häufigsten gestellt werden?

„Eine Frage, die relativ häufig kommt, ist der Bezug von Kunstwerken zu Freiheit. Das wird relativ häufig gefragt, gerade am Ende der Führung: Warum denn so viele Kunstwerke dabei sind, die aus Sicht der Besucher nichts mit Freiheit zu tun haben. Und da kann man eigentlich nur wieder mit Freiheit argumentieren. Was für den einen nichts mit Freiheit zu hat, hat für den anderen sehr viel mit Freiheit zu tun. Und letztlich haben Kunstwerke, die sich mit Unfreiheit beschäftigen, natürlich auch damit zu tun.

Ein Kunstwerk, welches häufig genannt wird, ist zum Beispiel Maria Lassnigs „Du oder ich“. Oder auch Opalkas Zahlenreihen. Da sehen die meisten zwar ein, dass der Künstler frei war zu malen, was er möchte, aber sie sehen den Bezug zum Ausstellungstitel nicht. Und ich würde bei Opalka sagen, dass er eine Form der Darstellung nutzt sich selbst zu erfahren. Auch, dass er bei jedem neuen Gemälde ein Prozent mehr weiß in die Farbe gibt, ist für mich ein Hinweis darauf, dass es um Erkenntnis und Geistesfreiheit geht. Ich argumentiere aber nicht gegen den Besucher. Es ist jedem freigestellt, ob er ein Gemälde als passend oder unpassend empfindet.“

Maria Lassnig "Du oder Ich"
Maria Lassnig, „Du oder Ich“, 2005 Friedrich Christian Flick Collection © Maria Lassnig, Foto: Stephan Altenburger, Zürich
Roman Opalka, Gemälde aus „1965/1 - ∞“
Roman Opalka, Gemälde aus „1965/1 - ∞“ Berlin//Staatliche Museen zu Berlin, Hamburger Bahnhof, Deutschland 1965/1 – ∞: Detail 2 269 683 – 2 289 861, 1977 © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Foto: Jörg P. Anders

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Was wir nicht gefragt haben:

Welche Ausstellung ihm am DHM am besten gefallen hat.

Wo er am DHM arbeitet:

Im Zeughaus, Dachgeschoss und in den Ausstellungsräumen

Lieblingsraum und Lieblingsbild bei Verführung Freiheit :

„Ja, einen Lieblingsraum. „99 Cent“. Da mache ich sehr viele Bilder, weil ich sehr viele davon sehr spannend und aktuell finde. Mein Lieblingsgemälde ist das von Equipo Crónica.“

Wann er sich am freiesten fühlt:

„Ich würde sagen, es ist sehr banal und auch eine Antwort, die ich nicht unbedingt bei einer Führung geben würde, aber de facto ist es so, dass ich mich bei Reisen sehr frei fühle. Wenn ich neues entdecke, neue Länder.“

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