Deutsches Historisches Museum - Verf�hrung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945 - Blog

12.12.2012
16:09

Von Hörführungen, Erkenntnissen und Kakophonien: Kristian Petschko

Kristian und ich treffen uns für das Interview im sogenannten Tonnengewölbe des Verwaltungsgebäudes – ein Raum, der vor allem aus Holzpanelen und einem Tisch besteht, dafür aber einen tollen Ausblick auf den Berliner Dom gewährt. Und sich im Gegensatz zum eher lauten Projektbüro bestens für ein Interview eignet. Am Ende des spannenden Gesprächs finde ich sogar Zugang zu dem mir unzugänglichsten Bild der Ausstellung: Emil Schumachers „Eruption“.  

Die für mich abstrakten Farbkleckse und Linien sind für Kristian das Bild, welches symbolisch für die gesamte Ausstellung stehen könnte. Schumacher malte dieses Bild 1956 aus dem Grund, weil er es malen durfte – unter den Nationalsozialisten wurde das abstrakte Malen als „entartete“ Kunst definiert.  Manchmal bedarf es als Besucher eben nur eines bestimmten Anknüpfungspunkts, um ein Werk mit völlig anderen Augen zu sehen.

„Ich heiße Kristian Petschko, bin Historiker und Museumspädagoge. Aktuell schreibe ich gerade die dritte Hörführung für das Deutsche Historische Museum.“

  • Kristian Petschko
  • "Tonnengewölbe"
  • Ausblick auf den Dom

Du bekommst den Auftrag für eine Ausstellung eine Hörführung zu erstellen. Wie gehst Du vor?

A: „Der erste Schritt ist, dass man sich mit den Kuratoren zusammensetzt und wirklich bis ins kleinste Detail die Ausstellung versteht. Man darf keine gegenteiligen Aussagen in der Hörführung machen oder Zusammenhänge erzwingen, wo gar keine sind und der Besucher diese selber herstellen soll. Ich sage immer, eine Hörführung muss sich an die Ausstellung „anschmiegen“.

Dann kommt das Konzept der Hörführung: Es gibt zwei große Stile – linear oder punktuell. Du kannst versuchen in einer bestimmten Zeit eine Geschichte zu erzählen. Das wäre der lineare Stil: Eins baut auf dem anderen auf. Beim punktuellen Stil nimmst du den Besucher nicht so sehr an die Hand und führst ihn in einer bestimmten Zeit durch, sondern gibst ihm die Freiheit zu entscheiden: Wo setzt er seine eigenen Schwerpunkte? Das ist zum Beispiel bei Verführung Freiheit so.“

Was muss man bei der Konzeption beachten und wie geht es dann ganz handwerklich weiter?

A: „Ganz wichtig ist bei einer Audioführung immer: An wen richtet sie sich? Wir sind Vermittler zwischen dem, was die Aussteller machen wollen und dem, was der Besucher vielleicht wissen sollte und möchte. Wir müssen uns schon in den Besucher hineinversetzen und ihn uns vorstellen. Wenn ich persönlich eine Führung mache, sehe ich: Schauen die Leute woanders hin? Interessiert die vielleicht etwas ganz anderes? Das kann ich beim Audioguide nicht. Deshalb muss man sich vorstellen, was den Besucher interessieren könnte.

Also ziehe ich das heraus, was für jemanden relevant ist, der zwar interessiert, aber kein Kunsthistoriker ist. Ich schreibe die Texte, schicke sie den Kuratoren zur Freigabe, um sie dann übersetzen zu lassen. Danach geht es mit den deutschen und englischen Sprechern ins Studio, um dann zusammen mit der Tonmeisterin alles durchzuhören. Zu dem Zeitpunkt ist schon die Musik dabei, sind die O-Töne integriert ebenso wie die Ein- und Ausblenden. Die Tracks werden zusammengeschnitten und dann ist die nächste Station der Ausstellungsgestalter oder Architekt, mit dem entschieden wird, wo die Hörführungssymbole angebracht werden müssen.“

Wo bekommst Du O-Töne und Material zu bestimmten Themen her?

A: „Beim letzten Mal habe ich sehr viel aus dem Deutschen Rundfunkarchiv geholt zu der „Fokus DDR“ Ausstellung.  Die Originaltöne vom DDR-Rundfunk waren aus einer Reportage, in der Besucher des Palasts der Republik gefragt wurden, wie denn das Essen war und wie sie den gastronomischen Service finden. In der Hörführung für die Ausstellung habe ich diese O-Töne mit der Vitrine verbunden, in der das Service vom Palast der Republik ausgestellt war.

Dann haben wir selber, das DHM zusammen mit dem Deutschen Rundfunkarchiv eine CD herausgebracht – Stimmen des 20. Jahrhunderts – mit tollen O-Tönen aus ganz unterschiedlichen Zeiten. Bei Verführung Freiheit fand ich wichtig, die Künstler in vielen Fällen selber sprechen zu lassen. Da suche ich gezielt nach Zitaten der einzelnen Künstler zu den Kunstwerken oder zu ihrem Gesamtkonzept. Das ist aber auch immer das Interessante: Jede Audioführung ist anders, weil jede Ausstellung anders ist.“

Was ist beim Schreiben der Texte einer Hörführung zu beachten?

A: „Den Text schreibt man zwar, aber den liest niemand anders außer mir und dem Team – ich habe das ja mit drei Kollegen zusammen geschrieben. Das heißt, du hast eine bestimmte Textsituation: Man kann nicht zurückblättern, man kann den Track zwar noch mal hören, aber es muss eigentlich alles ganz klar und logisch sein. Jeder Satz muss auf dem anderen aufbauen.

Eine Studie aus den achtziger Jahren hat festgestellt, dass bei erwachsenen Hörern, wenn nur eine Stimme spricht, die Aufmerksamkeit nach dem 14. Wort nachlässt. Egal, ob das Gehörte eine Rede oder ein Audioguide ist. Zusätzlich muss man die deutsche Sprache auch oft mal austricksen, damit das Verb nicht am Ende kommt. Man muss sehr viel umbauen. Wenn man den Text nur liest, liest es sich mit den Wiederholungen oft komisch. Man muss Stilmittel rein bauen, damit das Gehörte einen schönen Rhythmus hat. Ich habe zum Beispiel häufig Alliterationen benutzt. Der Text ist nicht da, um gelesen, sondern um gehört zu werden.

Und um herauszufinden, ob mir der Text gelungen ist, lasse ihn mir vom Computer vorlesen oder ich lese ihn mir laut vor, nehme das auf und höre es mir dann an. Wenn man etwas schreibt, erscheint es einem total logisch, was danach kommt. Wenn man es hört, fragt man sich plötzlich: Wieso kommt denn jetzt dieses Thema?“

Was soll eine Hörführung im Optimalfall erreichen?

A: „Es gibt ja viele Vorbehalte gegenüber Audioguides. Im Deutschlandradio gab es einen Beitrag, in dem Meinungen zitiert wurden, die behaupteten, dass  Audioguides in Kunstausstellungen nichts zu suchen hätten, weil sie das Gefühl für das Bild beeinflussen würden und so verhindern, dass wir Fragen stellen. Man sollte diese Vorbehalte annehmen, aber dann auch entkräften, weil ich finde, dass die auditive Wahrnehmung eine ganz besondere Wahrnehmung ist.

Wenn ich eine historische Quelle von jemandem, der in der Ausstellung ist, original höre, berührt mich das ganz anders. Das bemängeln aber auch viele: Dass diese Emotionalität den Zugang verhindert. Wir machen mit der Audioführung hier aber nichts, was die Ausstellung nicht selbst macht. Wir versuchen nicht zu dekodieren.

Oft denkt man, Maler würden uns vor Rätsel stellen, die wir nicht lösen können bis jemand kommt und uns das Rätsel erklärt. Es gibt aber Bezüge in Bildern, die diejenigen verstehen, die zu dem Zeitpunkt als es gemalt wurde, gelebt haben: ein berühmtes Bild oder ein berühmtes Zitat. Aber schon vierzig, fünfzig Jahre später kennt jemand, der da nicht gelebt hat, diese Bezüge nicht mehr. Da setze ich an. Ich möchte jemandem, der Interesse hat, einen Anknüpfungspunkt geben, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und er soll aber immer noch so viel Freiheit haben, selbst zu interpretieren und Bezüge herzustellen.“

Hast Du einen Lieblingstrack?

A: „Ja, das wechselt übrigens auch ständig. Aber Oskar Hansen „Die Straße“ und Anselm Kiefer die „Besetzungen“. Bei den Kiefer-Bildern habe ich mir eine Klangcollage ausgedacht, die von der Tonmeisterin umgesetzt wurde. Kiefer erzählte, dass er auf dem Dachboden Schallplatten gefunden hatte mit den Reden von Hitler und Goebbels und er erzählt dann auch in einem Interview, wie sehr ihn das gepackt hat. Das war dann auch der Anfang von dem Projekt, dessen Ergebnis diese Bilder sind. Das wollte ich in der Ausstellung nachvollziehbar machen, weshalb Original-Reden von Hitler und Goebbels übereinandergelegt wurden und in einer Kakophonie münden und dann kommen Zitate von Kiefer selber. Darüber, was er da gefühlt hat – also ist auch ein Hörspielelement drin. “

Flash is required!
Audio Anselm Kiefer "Besetzungen"
Flash is required!
Audio Oskar Hansen "Die Straße"

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Was wir nicht gefragt haben:

Für welche Ausstellung er gerne eine Hörführung schreiben würde, wenn er es sich aussuchen könnte.

Wo er am DHM arbeitet:

Im Zeughaus, Dachgeschoss.

Was er noch erzählt hat:

Dass er es spannend findet, dass eine neue junge Disziplin der Geschichtswissenschaft am Entstehen ist: die Sound History, die sich mit historischen Geräuschen beschäftigt und dass Gerhard Paul darüber gerade ein Buch schreibt. Und so wie man in einer Ausstellung einen Text liest oder ein Foto sieht, so kann man im Audioguide die Stimme hören und bekommt dadurch einen emotionalen Zugang zu dem Thema.

Wann er sich am freiesten fühlt:

„Ich glaube, wenn man sich ein bisschen mit Geschichte beschäftigt... wenn ich da so Sachen lese, fühle ich mich eigentlich die ganze Zeit frei. Da muss ich nicht irgendwo sein oder irgendetwas Besonderes tun. Jetzt fühle ich mich zum Beispiel frei, hier mit Dir zu sitzen und das Interview hier zu machen. Aber nein, keine bestimmte Situation.“

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