Deutsches Historisches Museum - Verf�hrung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945 - Blog

19.11.2012
14:15

"Zeigen, was wirklich eine Bedeutung hat": Co-Kurator Henry Meyric Hughes

Henry Meyric Hughes lebt in London. Der erste Kontakt mit ihm findet deshalb via Email statt. Schon nach kurzer Zeit steht fest: Henry ist der schnellste Mail-Beantworter bei „Verführung Freiheit“. Und schreibt wundervolle Emails. Das Projektteam ist begeistert von britischer Höflichkeit und Understatement. Kurz vor der Ausstellungseröffnung lernen wir ihn zum ersten Mal in persona kennen. Der "digitale" Eindruck verfestigt sich. Dabei ist sein Lebenslauf recht respekteinflößend (Understatement): Leiter der Hayward Gallery in London, Gründungsmitglied und Präsident der „Manifesta“, Präsident des Internationalen Kunstkritikerverbands AICA, Bundesverdienstkreuz der BRD 2002. Und er spricht fließend Deutsch. 

Henry Meyric Hughes während des Interviews

 

F: Lieber Henry, könntest Du Dich und Deine Rolle als einer der Kuratoren dieser Ausstellung kurz vorstellen.

„Ich bin einer der drei Kuratoren. Monika Flacke und ich arbeiten schon seit zwei Jahren zusammen, auch schon früher bei der Ausstellung „Kunst und Macht“, die 1995 in London eröffnet wurde. Und dann mussten wir eine Idee ausarbeiten und überlegen, wie man das alles unter ein Dach bringen könnte. Und alles konnte man natürlich nicht unter ein Dach bringen. Das war das Schlimmste, dass man immer etwas weglassen musste. Dabei hängt alles miteinander zusammen. Wenn man eine solche Zeitspanne nimmt, von 1945 bis heute, gibt es eine Konsistenz, eine Kohärenz. Aber wenn man in die Ausstellung tritt, dann sieht man hoffentlich, dass das Konzept mitwirkt. Und dass die Objekte, die Bilder zusammenwirken, miteinander wirken und etwas zu erzählen haben.“

F: Um die Ausstellungsobjekte zu finden, seid Ihr durch ganz Europa gereist. Hast Du Anekdoten, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

„Wir sind zusammen in etwa 20 Länder gereist. Vielleicht war das Dramatischste als wir in Sarajewo angekommen sind. Wir hatten eine Verabredung mit den zwei Kuratorinnen am Museum für Zeitgenössische Kunst und als wir ankamen, haben sie sofort gesagt, dass das Museum am nächsten Tag schließen würde. Und wir haben gefragt warum? Und dann ist das natürlich eine komplizierte politische Geschichte. Aber letzten Endes, es war im August glaube ich, wurden sie seit Januar nicht mehr bezahlt. Das Publikum kam nicht, sie hatten keinen einzigen Pfennig und arbeiteten umsonst. Wir dachten, am besten wäre es wahrscheinlich einen öffentlichen Protest zu machen, anstatt weiter dran zu leiden und leider ist diese Situation in Sarajewo noch schlimmer geworden. Letzten Monat haben wir erfahren, dass auch das Nationalmuseum schließt und es ist keine Lösung in Sicht. Ich weiß nicht, was da herauskommt, aber wir hoffen immer noch mit Sarajewo zusammenarbeiten zu können.“

F: Was war das Schwierigste und was war das Leichteste bei der Planung und Umsetzung dieser Ausstellung?

„Das Schwierigste ist natürlich die Selbstdisziplin, wenn man eine solche breite Übersicht über die Kunst in Europa hat. Es sind beinahe 40 Länder. Dann muss man sich ein bisschen disziplinieren und darüber nachdenken, was wirklich eine Bedeutung hat. Nicht nur für uns, sondern auch für das Publikum. Und immer am Konzept hängen bleiben und an dem, was möglich ist. Das konnten wir uns auch nicht leisten, auch wenn die Leihgeber sehr großzügig gewesen sind. Aber das war das Schwierigste. Und das Leichteste waren die Gespräche, die wir unter Kollegen geführt haben. Die Kollegen sind sehr freundlich und zugeneigt gewesen, was uns erstaunt hat, da wir auch schwierige Fragen an sie als Leihgeber hatten!“

F: Was ist für Dich am Konzept die Besonderheit?

„Dass es nicht chronologisch vorgeht und alles durcheinander bringt. Es geht nicht nach Schulen, es geht nicht nach formellen Fragen, es geht auch nicht nur nach inhaltlichen Fragen. Irgendwie musste man einen inneren Sinn rauslocken. Und das ist nicht, wie man gewöhnlich bei Ausstellungen vorgeht. Gewöhnlich zeigt man solch einen Maler, solch eine Schule, eine Entwicklung aus einem bestimmten Land. Aber wir wollten wirklich eine innere Idee entwickeln, damit die Ausstellungsobjekte zueinander sprechen, wenn sie hier im Deutschen Historischen Museum gezeigt werden.“

F: Hast Du ein Lieblingsobjekt in der Ausstellung oder einen Lieblingsraum?

„Lieblingsobjekt ist vielleicht ein bisschen schwer, aber ich könnte vielleicht das kleine Häuschen von Donald Rodney nehmen. Das ist ein armer Mensch, der im Alter von 37 Jahren (glaube ich) gestorben ist an einer Blutkrankheit. Und der hat daraus seine Kunst gemacht: Die Abbildung eines kleinen Häuschens, das er in der Hand hält. Und das Haus hat er aus seiner eigenen Haut gebaut. Das ist so rührend und auch emblematisch für das, was wir in dem Raum „Lebenswelten“ oder „Der andere Ort“ aussagen möchten. Es ist nicht einfach eine direkte Aussage, sondern es ist eine allgemeingültige Idee – das menschliche Sein und die Möglichkeit der Existenz. Rodneys Haus ist solch ein fragiles Objekt, was auf der Fahne flattert, wenn man vorbeigeht. Und irgendwie ist das menschlich und sehr rührend.“

Donald Rodney
Donald Rodney In the House of My Father / In meines Vaters Haus, 1996/1997 London // Tate, Großbritannien © The estate of Donald Rodney / © Tate, London 2012 Foto: Andra Nelki

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Was wir nicht gefragt haben:

Um welches Objekt, welches weggelassen werden musste, es ihm am meisten leid getan hat.

Wo er am DHM arbeitet:

Er arbeitet von London aus.

Wann er sich am Freiesten fühlt:

„Im Warteraum mit einem Buch – anonym.“

Das ganze Interview (weil wir Euch den wunderbaren britischen Akzent nicht vorenthalten wollen):

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Wiebke Hauschildt(hauschildt[at]dhm.de)Trackback-Link
Tags: die macher, kurator, fotos, video, london, donald rodney
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