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23.10.2012
16:43

Zwischen Capital und Ism: Dan Perjovschi

69 Sekunden braucht der rumänische Künstler Dan Perjovschi, um sein Bild an unsere Ausstellungswand zu zeichnen. In 69 Sekunden wird das Wort „Capitalism“ entzwei geteilt und bebildert. Das Capital erhält ein Strichmännchen. Das Ism eine ganze Gruppe. Einmal, zweimal macht der Künstler ein, zwei Schritte zurück. Betrachtet die Zeichnung. Dann wird die Ism-Gruppe um weitere Strichmännchen vergrößert.  

Dan Perjovschi betrachtet seine fertige Zeichnung CAPITAL iSM

„The times we are living in now are not the times for midgets, they are times for giants,” sagt Perjovschi. In seiner Zeichnung wird die Masse zum vielköpfigen Riesen, um dann im Wortende (oder protestierend auf der Straße) zu verschwinden.

Dan Perjovschi lacht, als er uns erzählt, dass er eigentlich ganze Ausstellungshallen mit seinen Zeichnungen füllt. Normalerweise interagieren seine Zeichnungen miteinander. Bei uns in der Ausstellung kommuniziert „CAPITAL iSM“ (1995 – 2012) hingegen mit den benachbarten Werken anderer Künstler. Links befindet sich „Ohne Titel (Plakatabriss)“ (1964) von Raymond Hains, das farbige Plakatabrisse auf Blech zeigt. Die Plakate waren  die einzige Möglichkeit der algerischen Befreiungsbewegung im Frankreich der fünfziger Jahre Öffentlichkeit herzustellen. Heimlich beklebten Aktivisten Pariser Straßenzüge als Protest gegen den Algerienkrieg.

In Perjovschis Zeichnung geht die Masse auf die Straße, um gegen ein Wirtschaftssystem zu protestieren. Auch Hains zeigt den Protest auf der Straße durch den Abriss der Plakate. Ihnen gemein ist dieser öffentlichste aller Räume, den wir haben, um unsere Meinung kundzutun.

Rechts befindet sich „Ohne Titel“ (1987) von Mária Bartuszová. In einer Vitrine sehen wir acht kugelartige Gipsgebilde, die sich in Viererreihen gegenüberstehen. Sie schützen sich gegenseitig durch Schnüre vor dem Umfallen. Bartuszová kommentiert so das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen den sozialistischen Gesellschaften vor dem Fall der Mauer. Ohne zu kommunizieren, stehen sie nebeneinander. Sich gegenüber. Wer die Schnur zerschneidet, wird ebenso wie sein Gegenüber umfallen. Aus der Unmöglichkeit der Kommunikation entsteht der Eindruck vollständiger Einsamkeit dieser Gesellschaften.

Mária Bartuszová aus Tschechien und Dan Perjovschi aus Rumänien haben beide kommunistische Regime erlebt. Bartuszová kommentiert die fehlende Kommunikation, das fehlende Gleichgewicht vor dem Systemwechsel. Perjovschi das danach.

Doch das soll er selbst erzählen (und ab Minute 2:17 zeichnen):

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Was wir nicht gefragt haben:

Welchen öffentlichen Raum er gerne bemalen würde.

Wo er in der Ausstellung ist:

Raum 5, „Realismus des Politischen“, rechte Wand hinten

Was er noch erzählt hat:

Dass das Nationalmuseum für Moderne Kunst in Bukarest im gleichen Gebäude wie das Parlament und eine internationale Zoll- und Polizeiorganisation untergebracht ist. Und dass so etwas in Deutschland nicht möglich wäre.

Wann er sich am Freiesten fühlt:

„Right now.When I work.“

Zugabe!

Weitere Zeichnungen von Dan Perjovschi zeigen wir in der Rotunde des Pei-Baus.

Perjovschis Diashow in Rotunde Pei-Bau
Dan Perjovschi "Drawings 1995-2012" courtesy the artist & gregor podnar gallery berlin
Dan Perjovschi "Drawings 1995-2012" courtesy the artist & gregor podnar gallery berlin
Dan Perjovschi "Drawings 1995-2012" courtesy the artist & gregor podnar gallery berlin
Dan Perjovschi "Drawings 1995-2012" courtesy the artist & gregor podnar gallery berlin
Wiebke Hauschildt(hauschildt[at]dhm.de)Trackback-Link
Tags: kunst, rumänien, raum5, realismus des politischen, video, fotos
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