Das Lichtgebet, das Fidus in immer neuen Variationen gestaltete, war die Ikone der Lebensreformbewegung. Als Postkarte, Kohledruck oder großformatiger Farbdruck hing es in zahlreichen Wohnzimmern von ›Wandervögeln‹ oder sonstigen Jugendbewegten. Voller Inbrunst reckt sich der nackte, ›reine‹ Jüngling dem segenspendenden Licht entgegen – eins mit dem Kosmos. Der Felsen ähnelt denen vom Moldefjord und verstärkt die nordische Stimmung. Das quasi-religiöse Motiv entsprach außerdem den Bestrebungen der religiösen Erneuerungsbewegungen, eine ›arteigene Religion nordisch-germanischen Ursprungs‹ als Ersatz für das ›jüdisch-undeutsche Christentum‹ zu begründen.
Kat.-Nr. 638: Hugo Höppener, genannt Fidus, Lichtgebet, 1894 oder 1824, Öl auf Leinwand, 150 x 100 cm (Berlin, Deutsches Historisches Museum)

Vom 12. bis 14. Oktober 1912 fand in Hamburg der Kongreß für Biologische Hygiene statt, auf dem zum ersten Mal in einem akademischen Rahmen und vor einem breiten Publikum über die wissenschaftlichen Resultate lebensreformerischer Studien berichtet wurde. Die Vorträge wurden im Zusammenhang mit rassenhygienischen Forderungen nach Stärkung der deutschen ›Volkskraft‹ präsentiert. Fidus selbst begeisterte die Teilnehmer mit einem Lichtbildvortrag über seine Kunst im Dienste des ›aufsteigenden Lebens‹. Ein erster Plakatentwurf mit erwachender Psyche kam nicht zur Ausführung. Statt der Figur aus der griechischen Mythologie wurde der blonde und helläugige, ›nordische‹ Mensch genommen, der im Begriff ist, seine Fesseln zu lösen und sich zu den Sternen, also dem mystisch verklärten höheren Leben, zu erheben.
Kat.-Nr. 637: Hugo Höppener, genannt Fidus, Kongreß für Biologische Hygiene zu Hamburg 1912, Plakat, auf Pappe aufgezogen, 64 x 46 cm (Berlin, Berlinische Galerie – Künstlerarchive)