In zahlreichen Publikationen engagierte sich Richard Ungewitter für die Verbreitung der ›Nacktkultur‹, die er als Allheilmittel gegen den körperlichen und seelischen ›Niedergang‹ des modernen Großstadtmenschen propagierte. Gleichzeitig trat er für eine bewußte ›Rassenzüchtung‹ ein, da durch die christliche und sozialistische Verbrüderung eine gefährliche Mischung der Rassen entstanden sei. Die Skandinavier stellte er als einzige noch ›reine Rasse‹ als Vorbild dar, die außerdem auch das ›Nacktbaden‹ kultivierten. Schon die Mischehen zwischen dem ›nordischen‹ und dem ›alpinen‹ Menschen hätten zum körperlichen ›Niedergang‹ geführt. »Aus Gründen der gesunden Zuchtwahl fordere ich deshalb die Nacktkultur, damit Starke und Gesunde sich paaren, Schwächlinge aber nicht zur Vermehrung kommen«, – so sei es laut Ungewitter schließlich schon bei den alten Germanen gewesen, die »neben ihrem Waffen- und Jagdhandwerk gleich den Hellenen das Nackttanzen zwischen Schwertern und Spießen« geübt hätten.
Kat.-Nr. 634: Richard Ungewitter (Hrsg.), Die Nacktheit in entwicklungsgeschichtlicher, gesundheitlicher, moralischer und künstlerischer Beleuchtung, Stuttgart 1909 (Berlin, Uwe Puschner)
Die mit der Lebensreform verbundene Kleiderreform propagierte ein dauerndes ›Freiluftgefühl‹ des Körpers und damit das Ablegen geschnürter Kleidungsstücke. Besonders gegen das Korsett, das bei extremer Anwendung zu anatomischen Deformationen führen konnte, richteten sich die Einwände. In der Auffassung des für die lebens-reformerische Nacktkultur werbenden Heinrich Pudor war das Korsett für die Prostituierten erfunden worden und kein »anständiges Weib« sollte ein Korsett tragen. Mit dem ›schwedischen Busenheber‹, dem Vorläufer des heutigen Büstenhalters, vermochte man nun die Forderung nach einer zwangsloseren Kleidung zu realisieren.
Kat.-Nr. 623: Schwedischer Busenheber, in: Anna Fischer-Dünckelmann, Die Frau als Hausärztin, Stuttgart 1913, S. 158 (Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin)