Zeughauskino

 

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  DAS JAHR 1989

 

DAS JAHR 1989

Ausreisewillige, die über Ungarn die DDR verlassen oder die Botschaften in Prag und Warschau besetzen; Massendemonstrationen in Leipzig, Dresden und Berlin; Grenzübergänge, die am 9. November 1989 überraschend geöffnet werden und durch die Tausende jubelnder Menschen strömen. Die Bilder der friedlichen Revolution in der DDR sind um die Welt gegangen und haben auch 20 Jahre nach den sich überstürzenden Ereignissen nur wenig von ihrer emotionalen Wucht verloren. Die Filmreihe DAS JAHR 1989 versammelt Dokumentarfilme vor allem ostdeutscher Filmemacher, die Ende der 1980er oder Anfang der 1990er Jahr entstanden sind und die den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umbruch einer Zeitenwende dokumentieren. Es handelt sich um frühe Versuche des Innehaltens, der Trauerarbeit, Reflexion und Neuorientierung, getragen von dem Wunsch, der Berichterstattung des Fernsehens das langsamere Zeitmaß des Dokumentarfilms und dessen Interesse an Menschen und Zusammenhängen entgegenzustellen. Die Filmreihe DAS JAHR 1989 begleitet die gleichnamige Fotoausstellung des Deutschen Historischen Museums und ergänzt die im Mai auf dem Geschichtsforum 1989 | 2009 präsentierte Filmreihe SCHEIDEN TUT WEH.

 

DAS JAHR 1989
Ein schmales Stück Deutschland
D 1991, R: Joachim Tschirner, Lew Hohmann, Klaus Salge, K: Claus Deubel, Frank Reinhold, 93’

Ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen reflektieren drei Filmemacher, zwei aus dem Osten, einer aus dem Westen, über die Mauer und das Leben mit ihr. Drei Episoden fächern die Schicksale von Tätern und Opfern, Mitläufern und Mitwissern auf, berichten von Ratlosigkeit und Resignation, Anpassung und Gewöhnung. Ein Major der DDR-Grenztruppen erläutert die Größe der Mauerteile, von denen allein in Berlin rund 29 000 standen: „Jedes Element ist 3 Meter 60 hoch, in der Breite 1 Meter 20, besteht aus Stahlbeton und Moniereisen. Ein Element kostet 856 Mark.“ Als seine eigene Schwester über Ungarn in den Westen fliehen will, sagt er sich von ihr los. Ein Stasioberst, jetzt bei einer großen Versicherungsgesellschaft tätig, möchte beim Interview vor laufender Kamera lieber im Halbdunkel bleiben und besteht auf einer akustischen Verzerrung seiner Stimme. Auch Karin Gueffroy, deren Sohn Chris das vorletzte Opfer der Mauer war, erzählt ihre Geschichte. „Ein Film über die Arroganz unkontrollierter Macht, über die Anmaßung des Staates, Totschlag zu legalisieren. Ein schmales Stück Deutschland fragt nach unserem Schmerzempfinden. Auf beiden Seiten der Mauer“ (Produktionsmitteilung). Nach der Uraufführung während der Berlinale 1991 urteilt das tip-Magazin, der Film werfe „Schlaglichter, die einen Anfang machen beim Versuch, die Psychologie des SED-Regimes und ihrer Mitläufer nachzuvollziehen. (...) Pauschalurteile sind hiernach unzulässig. Denn nie geahnte Konstellationen brechen in den Köpfen der Zuschauer zementierte Meinungen auf, geben Stoff zum Nachdenken“ (Thomas Steiger).

am 10.6.2009 um 20.00 Uhr

 

 

 

DAS JAHR 1989
Streng vertraulich oder Die innere Verfassung
D 1990, R: Ralf Marschalleck, K: Frank Reinhold, 96’

Am 15. Januar 1990 wird die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Ost-Berlin gestürmt: ein Komplex aus rund fünfzig Gebäuden, Tausenden Räumen, Bunkern, einem eigenen Gefängnis. Noch in derselben Nacht gründet sich ein Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi, dem auch der Regisseur Ralf Marschalleck angehört. Er beschließt, einen Dokumentarfilm zu diesem Thema zu drehen, um „meine Betroffenheit über das Vergangene weiterzugeben und dazu beizutragen, den Verdrängungsprozess für einen Moment aufzuhalten“.
In Streng vertraulich oder Die innere Verfassung geben Mitglieder des Bürgerkomitees Auskünfte über Begegnungen und Gespräche mit Mitarbeitern des MfS. Eine Studentin erzählt von „Sumpf, Morast und unheimlich viel Dreck“, der plötzlich nach oben gespült wurde. Auch drei ehemalige Abteilungsleiter des Ministeriums, die als einzige bereit waren, vor der Kamera auszusagen, kommen zu Wort, changieren zwischen Bekenntnis, Rechtfertigung und Resignation. Darüber hinaus enthält der Film Dokumente aus Bild- und Tonarchiven des Ministeriums: Observationen, die zu Lehrzwecken nachgestellt wurden; der Geburtstag des Ministers Mielke; Reden voller Phrasen und Dümmlichkeiten. Am Schluss zieht ein Mitglied des Bürgerkomitees seine ganz persönliche Bilanz: „Wenn die Menschen nicht endlich zum Nachdenken kommen, sich die Zeit nehmen, über ihre Vergangenheit zu reden und zu trauern, dann war letztendlich alles für die Katz. Was hier passiert ist, das ist in uns allen drin. Und das können wir auch nur aus uns selbst heraus wirklich kaputt machen.“

am 13.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

DAS JAHR 1989
Letztes Jahr Titanic
DDR/D 1989–91, R: Andreas Voigt, K: Sebastian Richter, 111’

Der dritte Leipzig-Film des Regisseurs, nach Alfred (1987) und Leipzig im Herbst (1989), aufgenommen zwischen Dezember 1989 und Dezember 1990. Was erlebten die Leipziger in diesen aufregenden Monaten? Den Kampf um die Macht, der erstmals seit langem in freien Wahlen entschieden wird. Die Währungsunion und die Reisefreiheit. Den rasanten wirtschaftlichen Niedergang der DDR und die deutsche Einheit. Zu den Protagonisten des Films gehört der Eisengießer Wolfgang, der zu DDR-Zeiten mehrfach in den Westen fliehen wollte und nun immer noch in Leipzig ist, trotz Kurzarbeit. Dagegen schließt die Wirtin Sylvia ihre Kneipe und folgt ihrem Mann nach Bayern. Die Journalistin Renate spricht über Schuld, die sie empfindet, weil sie sich zur Mitarbeit bei der Stasi verpflichtete. Der Hausbesetzer John wehrt sich mit Gewalt gegen rechtsradikale Jugendliche und hilft einem behinderten Mann. Und die Schülerin Isabel, die im Herbst '89 voller euphorischer Hoffnung war, kauft sich ein Jahr später eine Pistole, um sich gegen zunehmende Gewalt zu schützen.
In ihrer Begründung für den Adolf-Grimme-Preis, den Letztes Jahr Titanic 1992 erhielt, lobte die Jury: „Der Film erzählt von Hoffnungen und Perspektiven, von Verlusten und Befürchtungen, von Einsichten und Illusionen. Aus den Interviewteilen entsteht ein vielschichtiges Bild, grundiert mit einer zarten Trauerschicht über die ineinander verknäulten Stränge von ehemaligem Aufbruch und jetzigem Scheitern, von Wut und Resignation, von quälender Einsicht und erzwungenem Alltagspragmatismus, aber auch von neuer Auflehnung und frischem Trotz.“

am 14.6.2009 um 18.30 Uhr

 

 

 

DAS JAHR 1989
Im Durchgang – Protokoll für das Gedächtnis
DDR/D 1990, R: Kurt Tetzlaff, K: Andreas Bergmann, Achim Sommer, Jürgen Voigt, 90’

Als Regisseur Kurt Tetzlaff im März 1989 begann, sein Filmprojekt Im Durchgang zu realisieren, konnte er noch nicht darauf hoffen, dass die Zensur diesen Film auch genehmigen würde. Immerhin ging es um eine Dokumentation über die Schüler einer Potsdamer Schule, die mit Hilfe ihrer Lehrerin und geschützt von der Evangelischen Kirche ein Perestroika-Stück des sowjetischen Dramatikers Michail Schatrow aufführen wollten. Aus diesem Vorhaben schälte sich bald das Porträt des 18jährigen Abiturienten und Pfarrersohnes Alexander heraus. Offen und unverblümt fordert er „Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit in allen Lebensbereichen“ und postuliert: „Es ist an uns, den Sozialismus durchzusetzen, um höchste Menschlichkeit zu erlangen.“ Im Herbst 1989 steht er nicht abseits, wird verhaftet und wieder freigelassen, engagiert sich leidenschaftlich für einen demokratischen Sozialismus. Doch am Ende der Dreharbeiten, im Frühjahr 1990, sind Alexanders Hoffnungen zerstoben: „Wir verkaufen uns für D-Mark, Mallorca und Marlboro. Man kann nicht mehr stolz sein als DDR-Bürger, was man eine Zeitlang konnte.“
Die Kritik bezeichnet Im Durchgang als „den ersten und gleichzeitig letzten ungeschminkt systemkritischen Film in der alten DDR“ (Elke Schieber, Schwarzweiß und Farbe). Und konstatiert: „Diese Revolution frisst ihre Kinder nicht, sie lässt sie achtlos am Wegesrand liegen“ (Heidemarie Hecht, ebd.).

am 14.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

DAS JAHR 1989
Katrins Hütte
DDR/D 1986–91, R: Joachim Tschirner K: Heinz Richter, Rainer Schulz (1986), 91’            Digi Beta

Schon 1986 hatte Regisseur Joachim Tschirner die Arbeiterin Katrin Wenzel aus dem thüringischen Unterwellenborn in seinem Kurzfilm Katrin porträtiert. Damals interessierte er sich für das junge Mädchen vom Lande, das eine schwere Tätigkeit als Blockwalzerin im alten Walzwerk der Maxhütte verrichtete. Wochen nach den Dreharbeiten erfuhr der Regisseur, dass Katrin neben ihrem Beruf auch als Abgeordnete der DDR-Volkskammer kandidiert. Dieser Umstand war für ihn ein Argument, um im DEFA-Studio für Dokumentarfilme die Genehmigung für ein Langzeitprojekt durchzusetzen, das bis ins Jahr 1991 reichen sollte. Katrin wurde mit der Kamera begleitet – bis sie es selbst nicht mehr wollte.
Katrins Hütte ist einer der interessantesten Produktionsfilme aus der Nachwende-Zeit. Erzählt wird aus der Perspektive einer aktiven Frau, die sich nicht von ihrem Engagement für den Sozialismus distanziert, obwohl sie Fragwürdigkeiten sieht, bereits vor der Wende gesehen und vor allem auch artikuliert hat. Der Film verlässt sich in jeder Phase auf die starke Persönlichkeit dieser Frau, zupackend, einfach, ungeheuer sensibel. Eine Frau, die etwas bewirken wollte. Im neuen Deutschland gelingt es ihr zwar, sich fachlich zu behaupten, für Engagement findet sie keinen Platz und keine Motivation mehr“ (Heidemarie Hecht, Schwarzweiß und Farbe).
Als Motto für Katrins Hütte verwendet der Regisseur ein Zitat von Wolfgang Thierse: „Erzählen wir, Ostdeutsche und Westdeutsche, uns doch wechselseitig unsere Biografien. Dann wird sich herausstellen, dass die im Westen nicht nur Heldengeschichten hinter sich haben und wir nicht nur Schurkengeschichten.“

am 20.6.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

DAS JAHR 1989
Material
D 2009, R: Thomas Heise, K: Sebastian Richter, Peter Badel, Thomas Heise, Jutta Tränkle, Börres Weiffenbach, 166’  Digi Beta

Thomas Heise verknüpft bislang unveröffentlichte Szenen, die er „rechts und links der Filme“ zwischen 1988 und 2008 gedreht hat, und verdichtet sie zu einer Reflexion über deutsche Brüche und Umbrüche. Dabei entfaltet er Situationen und Atmosphären, stülpt Vergessenes, Verdrängtes oder nie Gewusstes nach oben. Die störrische Besessenheit, mit der Regisseur Fritz Marquardt am Berliner Ensemble bei der Inszenierung von Heiner Müllers Germania Tod in Berlin (1988) um ein einziges Wort ringt. Die gespannte Nervosität von Rednern, Fotografen oder Zuhörern am 4.11.1989, als auf dem Alexanderplatz die erste große freie Demonstration des DDR-Volks stattfindet. Wärter und Gefangene des Zuchthauses Brandenburg, die im Dezember 1989 so offen wie nie über ihre Arbeit und Lebensbedingungen sprechen. Ein Abgeordneter der Volkskammer, der sich in den letzten Tagen der DDR vor versammeltem Plenum als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit outet und die Gründe für diese Mitarbeit darlegt. Geschichte wird dabei nicht auf ein bequemes Schwarz und Weiß reduziert. Vielmehr eröffnet sich ein Universum der Zwischentöne, der Vernetzungen und Verstrickungen. Der Zuschauer bekommt eine Ahnung davon, wie weit das Feld zwischen Unschuld und Schuld, Anpassung und Widerstand, politischer Identifikation und systemkritischer Ablehnung sein kann. Nicht zuletzt beschwört Material jenes Gefühl von Freiheit, das in der DDR zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 für ein paar Wochen von einem utopischen Traum zur greifbaren Realität geworden zu sein schien. „Bilder bleiben in Bewegung. Sie werden Geschichte“ (Thomas Heise). Ein Film, der Gedankenarbeit im Brechtschen Sinne herausfordert. Großes, dialektisches Kino.

am 24.6.2009 um 20.00 Uhr

 

 

 
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