Die verdeckten Spuren des Kalten Krieges
im deutschen Unterhaltungsfilm

 

Das Ende des Kalten Krieges, der nach 1945 die Zweiteilung der Welt verfestigte, wurde schon mehrfach beschworen: zunächst auf internationaler Ebene nach der Kuba- Krise von 1962, als die beiden Supermächte angesichts der möglichen atomaren Vernichtung der Welt die Entspannungspolitik einleiteten; dann auf deutscher Ebene mit der diesen Prozeß nachholenden Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Mit dem Zerfall der Sowjetunion in ihrer alten Form und der Abschaffung der Mauer, die Europa und die beiden deutschen Staaten trennte, wurde der Kalte Krieg als endgültig beendet erklärt.
Im Bewußtsein der Mehrheit der Bevölkerung, auch der deutschen, war dies lange vorher der Fall. Die Destabilisierung der Blöcke in den 60er Jahren und der Vietnamkrieg ließen die klaren Feindbilder und Schwarz- Weiß- Zeichnungen zerbröckeln. Im Film sind Spuren des Kalten Krieges nur soweit zu erwarten, wie er auch im kollektiven Bewußtsein eine Rolle spielte. Aus deutscher Sicht heißt das: zwischen Berliner Blockade 1948 und etwa Mitte der 60er Jahre. Nicht zufällig wenden sich Filmproduktionen in DDR und BRD 1965/66 den Fragen der jeweils eigenen Gesellschaft zu, so Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich und Alexander Kluges Abschied von gestern.
Kalter Krieg im Film weckt Assoziationen vor allem an die zahlreichen amerikanischen Spionagefilme, in denen die »böse« Seite von Russen vertreten wird, die als sowjetische Agenten oder im Dienst einer dubiosen Geheimorganisation die Welt zu zerstören drohen, was dann von den Agenten der »guten« Seite verhindert wird. Da der Kalte Krieg seine Wirkungen hauptsächlich im Innern der jeweiligen Gesellschaften entfaltete und als Systemstabilisierung funktionierte, konnten sich seine Spuren auch weniger direkt als im amerikanischen Fall zeigen. In den deutschen Produktionen während der Besatzungszeit spielt der Kalte Krieg noch keine Rolle. Grund dafür waren nicht nur die mit der Lizenzvergabe verbundenen Auflagen, die eine negative Darstellung eines der Alliierten verhindert hätten, sondern vor allem die kollektiven Hoffnungen, die Spaltung sei trotz Währungsreform und Berlinblockade doch noch vermeidbar. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten und dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz 1950 waren diese Hoffnungen zunächst zu Ende.
Der Rat der Götter, 1950 von Kurt Maetzig auf der Grundlage von Akten aus dem Nürnberger Prozeß gegen die IG-Farben realisiert, gilt als der erste DEFA-Film, der ideologische Grundmuster des Kalten Krieges zeigt. Quelle Angeklagt wird die westdeutsche chemische Industrie, die in Zusammenarbeit mit amerikanischen Tochtergesellschaften am Zweiten Weltkrieg verdiente und die schon wieder in die Kriegsproduktion einsteige. Der Rat der Götter ist der erste deutschsprachige Nachkriegsfilm, der den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus in Form eines Lehrstückes darzustellen versucht und dabei größtmögliche Authentizität anstrebt. Die Schwierigkeit, einen komplexen theoretischen Zusammenhang (die damals in der DDR allein gültige »Agententheorie« zur Erklärung von Faschismus) filmisch darzustellen, war Maetzig durchaus klar.

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Die Gerichtsverhandlung gegen die IG Farben in Rat der Götter (1950)
In einem Brief an den DEFA- Vorstand vom 22.2.1950 schrieb er:
»Ich darf noch einmal daran erinnern, daß ich von Anfang an gegenüber dem Filmstoff Der Rat der Götter gewisse Bedenken geäußert habe und daß allseitige Übereinkunft darüber bestand, daß dieser Film nur zum Erfolg geführt werden kann, wenn er groß inszeniert wird und wenn alle Wirkungsmöglichkeiten, die das Buch bietet, durch die Inszenierung, den Bau und die Fotografie voll erschöpft werden . . .«
.Quelle
Zuvor wies Maetzig auf die intensive Arbeit hin, die das Zusammenschneiden von acht Dokumentarteilen aus Tausenden von Metern Dokumentarmaterial erfordere. Die Verwendung dokumentarischen Materials ist für Maetzigs Intention von zentraler Bedeutung. Das Lehrstück braucht die größtmögliche Authentizität, damit die Warnung ernst genommen wird. Zugunsten dieser Wirkung werden auch ästhetische Mittel benutzt, die fragwürdig sind. So erscheint der Held des Films deutlich erkennbar am Filmschluß in den Aufnahmen der Friedensdemonstrationen vom 1. Mai 1950
Quelle, während die Filmhandlung 1948 (Explosion in Ludwigshafen) endet. Maetzig selbst sah im Rückblick seinen Film so nahe der Realität und damit im Sinn von Authentizität gelungen, daß der Schluß von der realen Entwicklung diktiert zu sein schien:
»Die Dokumente, die beweisen, daß die IG-Farben und die Standart Oil sich den Gewinn von dem Flugzeugbenzin während des ganzen Krieges, den sie gegeneinander führten, teilen, das war ganz neu und verblüffend, die Ergebnisse des 11. Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses waren ganz frisch, und während wir noch am Drehbuch schrieben, passierte die Raketentreibstoffexplosion in Ludwigshafen, die kam dann auch als absolut authentisches Faktum dazu, und wieder änderten wir den Schluß des Films und Friedrich Wolf schrieb mir in einem Brief: >Hier schicke ich Dir nun den letzten Schluß, den endgültigen Schluß, hoffe ich, wenn uns nicht die Geschichte noch einen letzten diktiert<«.
Quelle
Der Rat der Götter entsprach genau dem DDR-Erklärungsansatz für Faschismus: da die kapitalistische Großindustrie, die den Faschismus erst ermöglicht hatte, in Westdeutschland und den USA weiterbestand, waren Gefahren faschistischer Rückfälle dauernd gegeben, während die eigene Gesellschaftsform den Frieden garantierte. Ein Großteil der Produktion der 50er Jahre zum Antifaschismus folgte diesem Muster.
Es wäre zu grob, den Kalten Krieg im Film nur auf der Ebene der großen Politik festzumachen. Vielmehr gab es - auch schon vor 1950 - Typisierungen und Verhaltensformen, die auf Stereotype des Kalten Krieges verweisen. In Slatan Dudows Unser täglich Brot (1949) wird modellhaft an einer Familie im Nachkriegsdeutschland und am Aufbau eines volkseigenen Betriebes entwickelt, daß die Zukunft dem Sozialismus gehöre und daß diejenigen, die sich ihr verweigern, keine Chance haben:

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Der bessere Teil der Familie freut sich:
Unser täglich Brot (1949)
so wird Sohn Harry bei seinen Schwarzmarktgeschäften mit dem Westen zum Kriminellen, Nichte Mary vom Ami-Liebchen zur Prostituierten. Die positiv gezeichneten Familienmitglieder und die zu ihnen stoßenden Fremden entscheiden sich für den sozialistischen Aufbau. Vater Webers, Prototyp des kleinbürgerlichen Angestellten, erfährt nach anfänglicher Uneinsichtigkeit, daß er im neu entstandenen volkseigenen Betrieb als Buchhalter gebraucht wird. Die modellhafte Konstruktion der Rollen, im Film bewußt als Lehrstück aufgebaut, wird zukunftsweisend für spätere Ost- West- Typisierungen, wie sie z. B. in den Berlin- Filmen seit Mitte der 50er Jahre auftauchen.

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Auf dem Weg ins Abseits:
Unser täglich Brot
In ihnen - der bekannteste und differenzierteste von Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhase 1957 gedrehte Berlin- Ecke Schönhauser - sind Jugendliche in Berlins Westsektoren durch soziale Unsicherheit und Kriminalität gefährdet und finden Sicherheit und Halt in Ostberlin.

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Berlin- Ecke Schönhauser (1957)
Das Negativbild Westdeutschlands wird durch die Verbindung mit amerikanischem Einfluß noch verstärkt, besonders deutlich in Martin Hellbergs Das verurteilte Dorf (1952). Gezeigt wird ein westdeutsches Dorf, dessen Bauern sich gegen den Bau einer amerikanischen Militärbasis auf ihrem Gelände wehren und dabei von Arbeitern unterstützt werden.
Auch die reale »Republikflucht« ist Thema im DEFA- Film. Der geteilte Himmel von Konrad Wolf (1963/64) nach einer Novelle von Christa Wolf zeigt, wie eine Liebesbeziehung zwischen einer Studentin und einem jungen Chemiker zerbricht, als dieser bei ersten beruflichen Schwierigkeiten nach Westberlin geht. Seine Freundin besucht ihn dort. An ihrem (Nicht-)Dialog in westlicher Umgebung wird deutlich, daß jede Möglichkeit der Kommunikation zerstört ist, er hat sich verändert. Seine Freundin geht in die DDR zurück.
Sogar eine umgekehrte Flucht von West nach Ost gibt es im DEFA-Film, allerdings unter Extrembedingungen: in For Eyes Only (Streng geheim, 1962/63 von Janos Veiczi) flüchtet ein als Westagent getarnter Agent der Staatsicherheit mit geheimen militärischen Unterlagen nach Ostberlin und durchbricht mit einem zukünftigen hoffnungsvollen Genossen die Grenzsperren Richtung Ost, verfolgt von unfähigen dekadenten Westagenten.

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Noch einmal bedrohliche Amerikaner, die den Weg versperren.
For Eyes Only (1962/63)
Die Aufreihung von Themen und Motiven einiger Filme aus dem Kalten Krieg und über ihn kann den Eindruck wecken, als hätte der DEFA-Film gleichförmig eine politische Linie verfolgt, was aber so nicht zutrifft. Zum einen gibt es vielfältigere Formen und Stile; vom Lehrstück (Unser täglich Brot, Der Rat der Götter) über das Melodram (Der geteilte Himmel), den Abenteuerfilm/Krimi (For Eyes Only) zu Formen des Realismus (Berlin-Filme). Zum andern wechselten Phasen verschärfter politischer Anweisung mit solchen größerer künstlerischer Unabhängigkeit entsprechend der inneren Stabilität bzw. Instablität der DDR. Gerade die mehrfachen Anweisungen an die Filmemacher zeigen, daß diese sich immer wieder der Kontrolle zu entziehen versuchten. Auf der Filmkonferenz vom September 1952, der der Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 22. Juli 1952 zugrunde lag, wurden Schwächen und Fehler der DEFA- Produktion konstatiert:
»Die entscheidende Schwäche besteht in der ungenügenden Zahl von Spielfilmen, die den Aufgaben des Kampfes um den Frieden und die nationale Einheit Deutschlands gewidmet sind. Es ist ein ernster Mangel, daß nicht genügend die Probleme der deutschen Arbeiterbewegung behandelt wurden. . . Viele DEFA- Filme zeigen, daß sie sowohl dem Inhalt wie der Form nach vom Standpunkt des kritischen Realismus entwickelt und gestaltet wurden, das heißt, die meisten Filme erschöpfen sich im wesentlichen in der gesellschaftlichen Analyse und der gesellschaftlichen Kritik, aber erfüllen kaum oder nur sehr ungenügend die Aufgabe der >ideellen Umgestaltung, der Erziehung der arbeitenden Massen im Geiste des Sozialismus<. . .«
.Quelle
Nach Stalins Tod 1953 und der beginnenden Entstalinisierung in der UdSSR mit dem XX. Parteitag gab es auch Lockerungen in der Filmproduktion, aber auf der Konferenz des Ministeriums für Kultur und des DEFA-Studios für Spielfilme zur Entwicklung des sozialistischen Filmschaffens vom 3. bis 5. Juli 1958 wurde die DEFA erneut auf die Parteilinie verpflichtet. In dem im Neuen Deutschland vom 3.7.1958 abgedruckten Auszug wird der »sozialistische Realismus im künstlerischen Schaffensprozeß« vermißt. Nach dem Mauerbau, der zunächst zu innerer Stabilisierung und damit begrenzter kulturpolitischer Liberalisierung führte, gab es einen erneuten künstlerischen Aufschwung in der Filmproduktion, der aber im Dezember 1965 auf dem 11. ZK-Plenum der SED zu einem abrupten Ende kam
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In der westdeutschen Filmproduktion während des Kalten Krieges ist - als Gegenstück zum Antikapitalismus der DDR - eine antikommunistische Grundhaltung zu erwarten, wie sie aus der Innenpolitik und der Justiz der 50er Jahre auch bekannt ist. Es gibt diesen Antikommunismus auch, aber überwiegend in latenter Form. Klare Feindbilder sind selten, und anders als in der DDR - die deutsche Teilung ist kein zentrales Filmthema. Der Westberliner Kritiker Friedrich Luft schrieb 1950 mit Befremden:
». . . Der Film sieht weg, wo es um das heute Wichtigste geht. Er rührt das Grundthema der deutschen Gegenwart nicht an. Es ist, als läge ein Tabu über diesem ganzen Bereich. Seit der Spaltung sind, sage und schreibe, drei ganze Filme gemacht worden, in die dies Thema hineinspielt. Postlagernd Turteltaube, Weg ohne Umkehr, Himmel ohne Sterne. Und der letzte von ihnen ist auch schon wieder an die fünf Jahre alt ... Wo in dieser Zeit, von der absurdesten Groteske bis hin zur wirklichen heroischen Tragödie, Lebens- und Filmstoff sich stapelt, ist der Film doch sonst so hurtig im Aufgreifen jeder Tageserscheinung - da ist er auf eine fahrlässige Weise uninteressiert, da paßt er. . .«
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Zu Lufts genannten drei Beispielen kamen noch einige hinzu, wie Menschen im Netz (1959), Flucht nach Berlin (Tremper 1959/60), Zwei unter Millionen (Vicas/Liebsky 1961), Tunnel 28 (Siodmak 1962) oder Durchbruch LOK 234 (1963), aber der Anteil dieser Filme an der westlichen Gesamtproduktion war sehr niedrig. Ob man deshalb wie F. Luft von der deutschen Teilung als einem Tabuthema sprechen muß, ist fraglich; vermutlich gibt es eine eher pragmatische Erklärung. Das offizielle Ziel westdeutscher Politik in den 50er Jahren blieb die Wiedervereinigung mit den »Brüdern und Schwestern« in Ostdeutschland. So konnten diese nicht als Kommunisten dargestellt werden, sondern als - von der Sowjetunion - zum Kommunismus zwangsweise Bekehrte. Eine negative Darstellung der Sowjetunion konnte aber angesichts der komplizierten Situation Berlins fatale Konsequenzen haben. Es war viel einfacher, der schwierigen außenpolitischen Lage bei eingeschränkter Souveränität in einer diplomatischen Rede gerecht zu werden, als einen Film zu machen, der sich nicht in Bebilderung des offiziellen Antikommunismus erschöpfen konnte. Eine differenzierte Beschäftigung mit der geteilten Gesellschaft und dem damit verbundenen individuellen Leid hätte die Schwarz- Weiß- Zeichnung durchbrechen müssen. Das wäre aber politisch und wegen der benötigten finanziellen Förderung ökonomisch riskant gewesen. Vermutlich war der latente Antikommunismus im gängigen Unterhaltungsfilm für die unterschwellige Stabilisierung von Bewußtseinslagen im Kalten Krieg wirksamer als die Fluchtfilme, in denen die DDR als großes Gefängnis erschien.
Das erfolgreichste Genre bis in die 60er Jahre hinein- am Publikums- und Kassenerfolg gemessen- war der Heimatfilm mit 24% der westdeutschen Gesamtproduktion zwischen 1949 und 1964.
Quelle  Prototyp für das Genre war Grün ist die Heide (Hans Deppe, 1951).

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Getrübte Festtagsstimmung in Grün ist die Heide (1951)
Der charakteristische Unterschied zu Vorformen des Heimatfilms etwa in Louis Trenkers Bergfilmen oder Hans Steinhoffs Die Geierwally von 1940 besteht in der Einführung des Flüchtlingsmotivs. Mit dem immer ähnlichen Muster der Flüchtlingsintegration wurde im Film die zeitgenössische Geschichte uminterpretiert: die »Ostflüchtlinge«, die ihre Heimat verloren haben, sind Opfer, die nicht näher bekannten Täter konnte jeder assoziieren, zumal wenn in den Filmen die Flüchtlinge in heimischer Tracht und mit den Symbolen Schlesiens oder Pommerns auftraten. Die Einheimischen in einem Bergdorf, im Schwarzwald oder in der Lüneburger Heide haben im Film das Verdienst, die Heimatlosen nach Verwicklungen mit meist kriminellen Fremden bei sich aufzunehmen. Diese Interpretation hat mit der extrem schwierigen tatsächlichen Aufnahme der Flüchtlinge, die von den Einheimischen häufig als »Polacken« beschimpft wurden, nichts zu tun. Der Zusammenhang zwischen der historischen Situation und den Bildern besteht darin, daß das Opferbewußtsein der Flüchtlinge übernommen werden konnte und zugleich die Täter mit der Unterdrückungsmacht im Osten assoziiert wurden, während die Einheimischen das Verdienst der selbstlosen Hilfe hatten. So gesehen war der Heimatfilm für die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre funktional im Sinn von Stabilisierung.

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Die Auflösung der Konflikte, die Festnahme des Bösewichts:
Grün ist die Heide
Das zweite erfolgreiche Genre bildeten mit gut 7% der westdeutschen Produktion zwischen 1949 und 1964 die Kriegsfilme. Nachdem amerikanische Produktionen vor allem über die Kämpfe in Ostasien den Krieg als Unterhaltung wieder konsumierbar gemacht hatte, entstanden im Vorfeld der »Wiederbewaffnung« die Bilder, die die Wehrmacht entlasteten und moralisch das neue Militär vorbereiteten.
Selbst ein Ausnahmefilm wie Kinder, Mütter und ein General, 1954 von dem Emigranten Pommer produziert, Regie führte der Emigrant Laszlo Benedek, erfüllte diese Funktion, obwohl die Zeitgenossen den Film als Antikriegsfilm wahrnahmen. Es ist die Geschichte einer Gruppe von Jungen, die heimlich ihre Schule verlassen, um an der Ostfront zu kämpfen. Ihre Mütter holen die Überlebenden nach großen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen mit hohen Militärs zurück. In diesem Film sind alle Opfer: die Kinder, die Mütter, die Offiziere und selbst der General, der in aussichtsloser Situation am Prinzip des militärischen Gehorsams festhält. Opfer sind auch die Filmgestalten der großen Erfinder und Unternehmer (z.B. Carl Zeiss in Made in Germany - ein Leben für Zeiss, W. Schleif, 1956). Sie opfern sich selbst, ihre Gesundheit und damit ihr Leben der Arbeit und der Gemeinschaft, und ihre Mitmenschen, besonders die Frauen, opfern sich wiederum für sie. Opfer in diesem Sinn sind auch die Ärzte und Krankenschwestern im Melodram.
Als letztes Beispiel, in dem sich die Opferstilisierung mit einem selten klaren antikommunistischen Feindbild verbindet, sei auf Geza von Radvanyis Der Arzt von Stalingrad (1958) verwiesen. Die Geschichte beginnt in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad 1949. Geistiger und moralischer »Führer« der Gefangenen ist der Gehirnchirurg Böhler aus Würzburg (O. E. Hasse). Er rettet durch eine schwierige Operation dem Kind des Lagerkommandanten das Leben, danach werden die ersten Gefangenen entlassen. An ihrem LKW hängt ein Spruchband »Nie wieder Krieg! « Unter Hinweis darauf ermahnt Böhler die Sowjets, daran zu denken, wenn es wieder so weit ist. Der Zuschauer muß annehmen, daß die UdSSR den zweiten Weltkrieg begonnen habe.

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Die Entlassung als Propaganda- Tour
Die Russen, besonders die stummen Wachmannschaften, entsprechen dem Typus des Asiaten mit mongolischen Gesichtszügen. Neu an diesem an sich alten, auch im Faschismus benutzten Bild, ist die Verbindung mit einer Projektion: das Lager bei Stalingrad erinnert mit Stacheldraht, Hunden und Wachtürmen, mit der Beschreibung von Krankheitsquoten und »Vernichtung durch Arbeit« an deutsche Konzentrationslager. Die Assoziation wird dadurch verstärkt, daß die russische Ärztin sie ausdrücklich zurückweist.

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Eine hübsche Gefangene zwischen ihren Bewachern.
Der Film führt die umfassende Überlegenheit der Deutschen vor. Der deutsche Arzt operiert, und der russische assistiert ihm. Danach sagt der Russe zu dem Deutschen: wenn uns jemand hier so sähe, würde niemand wissen, wer den Krieg gewonnen und wer ihn verloren hat. Die Deutschen in diesem Film, die Opfer und zugleich Helden sind, gewinnen den Krieg sozusagen nachträglich kraft moralischer Überlegenheit über eine »Kultura«, die mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht wird. Der Film war ein großer Publikumserfolg.

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Die Übergabe der Instrumente
Beim Vergleich von Ost- und Westproduktionen der Zeit fallen hauptsächlich zwei Aspekte auf. Erstens: der Bezug auf die geteilte Gesellschaft ist in den DEFA- Produktionen eindeutig stärker als in den westdeutschen Filmen. Gründe dafür auf westdeutscher Seite sind schon genannt worden. Für die DDR gab es einerseits taktische Gründe, bei der Darstellung der Teilung Versagen und Schuld des Westens herauszustreichen, während an der Einheit als Ziel der eigenen Politik festgehalten wurde. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß bei den DDR- Bürgern bis in die Gegenwart hinein das Interesse an der politischen Einheit größer war als in Westdeutschland, so daß Filme mit dieser Thematik dort eine andere Akzeptanz hatten als in der BRD. Zweitens: der latente Antikommunismus in den westdeutschen Produktionen war vermutlich nicht weniger wirksam bei der Systemstabilisierung als die direkte Feindbildkonstruktion, zumal die durchgängige Verbindung mit der Opferperspektive eine effektive Entlastung und damit Freisetzung von Energien für den Aufbau bot. Den Opferstilisierungen im westdeutschen Film stehen die Helden der Arbeiterbewegung gegenüber, die sich gegen alle Widerstände durchsetzen. Zwischen Helden und Opfern gibt es Täter immer nur auf der Seite der jeweils anderen. Die »Vergangenheitsbewältigung« funktionierte im Kalten Krieg weitgehend mit komplementären Ausblendungen - in besonderer Weise gesamtdeutsch.

Irmgard Wilharm
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