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Aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums

Deutschsprachiger Erstdruck der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4.Juli 1776

 

 

Willi Paul Adams

Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (Teil 6)

 
Erstdruck von Dunlap

VI. Folgen und Tradition

Mit militärischer Hilfe Frankreichs, Spaniens und der Niederlande gewannen die Rebellen den Krieg, und die Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung wurden nicht als Hochverräter hingerichtet, sondern als Gründerväter verehrt. Der 4. Juli wurde erst allmählich zum Nationalfeiertag, wie wir ihn kennen. Der geschichtsbewusste Delegierte John Adams hatte bereits am Abend des 2. Juli die freudig-patriotische Stimmung des späteren Volksfestes vorausgesehen, als er seiner Frau schrieb, er hoffe, dieser Tag werde von den kommenden Generationen festlich begangen werden "als Tag der Erlösung, mit ernster Danksagung an Gott und mit Umzügen, Spielen, Freudenböllern, Glockenleuten und Feuerwerk von einem Ende des Kontinents zum anderen."

Der Text der Unabhängigkeitserklärung wurde erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur sakrosankten Schrift des amerikanischen Nationalismus. Jefferson war Zeit seines Lebens stolz auf seine literarische Leistung und bestimmte kurz vor seinem Tod 1826, sein Grabstein solle die Unabhängigkeitserklärung als die erste seiner Lebensleistungen nennen. In seinem letzten Brief, in dem er die Einladung zur Fünfzigjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1826 in Washington wegen schwacher Gesundheit absagte, verkündete der alte Kämpfer noch einmal seinen ungebrochenen Glauben an die Ideale der Aufklärung, die sich über die ganze Welt ausbreiten und früher oder später die Ketten von Unwissenheit und Aberglauben sprengen würden. Dann würden die Menschen Selbstregierung fordern. Deren amerikanische Variante verlange das Recht auf den unbeschränkten Gebrauch der Vernunft und die Meinungsfreiheit. Überall habe man begonnen, die Menschenrechte zu erkennen und anzuerkennen. Die Ausbreitung des Lichts der Wissenschaft habe für jedermann die Wahrheit sichtbar gemacht, dass "die Mehrheit der Menschen ebensowenig mit einem Sattel auf dem Rücken geboren worden ist, wie eine bevorzugte Minderheit mit Stiefeln und Sporen, bereit und von Gottes Gnaden berechtigt, auf ihnen zu reiten." Jefferson schöpfte aus dieser Beobachtung Hoffnung für die Welt. Für die Zukunft Amerikas erwartete er, dass der Unabhängigkeitstag immer wieder an die Grundrechte erinnern und immer wieder ihre volle Achtung einfordern sollte.

Die meisten Amerikaner, die ihre Landeshauptstadt als Tourist besucht haben, können erzählen, wo die Unabhängigkeitserklärung zu besichtigen ist. In einem Seitenflügel des Nationalarchivs an der Constitution Avenue, auf halbem Weg zwischen Kapitolshügel und Weißem Haus, hinter einem schweren Bronzeportal, in einer kirchenartigen zwanzig Meter hohen Rotunde mit Dämmerlicht steht man zwischen roten Kordeln Schlange bis man an einer Wache vorbei drei Stufen hoch vor eine altarähnliche Vitrine tritt. Unter Panzerglas liegen matt beleuchtet die erste und letzte Pergamentseite der Bundesverfassung von 1787, rechts daneben das Blatt mit den 1791 hinzugefügten Grundrechten und aufrecht in der Mitte dahinter mit Flügeltüren, die den Eindruck des Altarbildes vervollkommnen, die Unhabhängigkeitserklärung. Zum Lesen ist keine Zeit. Die Schlange schiebt sich in kleinen Schritten weiter, man vergleicht schnell: ja, so sah auch das Bild im Geschichtsbuch aus, John Hancocks und Washingtons Unterschriften sind die größten; schon geht es die Stufen wieder hinunter an einer Wache vorbei zu den greller beleuchteten Verkaufsständen. Im Faksimiledruck auf gebräuntem Pergament gibt es die drei Dokumente in der Tüte für neun Dollar.

Die unterschiedliche Behandlung des sicher archivierten Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland hat historische Gründe. Die amerikanischen Touristen zelebrieren unbeschwert, was es in Deutschland in dieser Form nicht gibt: den positiven Gründungsmythos ihrer Nation und ihre insgesamt als Erfolgsgeschichte empfundene zweihundertjährige Entwicklung. Die auch sich selbst gerne als immer noch jung und unfertig beschreibende amerikanische Gesellschaft ist stolz auf das Alter und die ungebrochene Tradition ihres Staates, ihrer nationalen Institutionen und Symbole. Unabhängigkeitserklärung und Verfassung verkünden wie die heiligen Schriften einer nationalen Religion Generation um Generation amerikanischer Bürger und der Welt die Idealvorstellung von legitimer Regierungsgewalt in einer Gesellschaft freier Gleicher. Generation um Generation amerikanischer Politiker, Publizisten und aktiver Bürger hat seither die Werte von 1776 und die Bundesverfassung von 1787/91 beschworen, um bestimmte politische Forderungen zu begründen. Wie groß auch immer momentane Missstände sind und wie heftig der politische Meinungsstreit auch tobt, die Ideale von 1776 werden bis heute als der Leuchtturm anerkannt, der den Weg zum sicheren Hafen einer gerechteren gesellschaftlichen Ordnung weist. Wegen ihrer fortdauernden Bedeutung ist die Interpretation der Signale von 1776 eine kontinuierliche Aufgabe amerikanischer Historiker und historisch argumentierender Politikwissenschaftler, Juristen, Philosophen, Publizisten und Erzieher. Dem Strom der Touristen zum Verfassungsschrein entspricht daher ein Strom wissenschaftlicher Texte, Schulbuchdarstellungen und kritisch-mahnender oder journalistisch-erbaulicher Rhetorik insbesondere zum Nationalfeiertag am 4. Juli. Sie alle tragen dazu bei, den positiven Gründungsmythos der Nation dem Funktionieren des demokratischen Prozesses nutzbar zu machen.

 

 
nach dem Frieden von Paris

Columbian Magazine 1787

Flagge und Wimpel 1783

WILLI PAUL ADAMS, Professor der Geschichte Nordamerikas am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin, ist u. a. Herausgeber des Fischer Weltgeschichtsbandes Die Vereinigten Staaten von Amerika (1977), des dtv-Bandes Die Amerikanische Revolution und die Verfassung (1987) und, zusammen mit Angela Adams, Übersetzer des UTB-Bandes Die Federalist-Artikel von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay (1994).

 

 

[ Teil 5 ]