Marta Mierendorff und die Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH in Wriezen/Oder

Swantje Greve | 10. November 2021

Als Stenotypistin wurde Marta Mierendorff 1944 in die Steinbildhauerwerkstätten des „gottbegnadeten“ Künstlers Arno Breker in Wriezen/Oder dienstverpflichtet, in denen während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeitskräfte an der Fertigung von Brekers monumentalen Werken mitwirken mussten. Nach Kriegsende versuchte sie, die Öffentlichkeit über die Geschehnisse in den Werkstätten aufzuklären und eine kritische Berichterstattung über Arno Breker anzuregen – mit wenig Erfolg, wie Dr. Swantje Greve, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ erläutert.

Marta Mierendorff wurde 1911 in Berlin-Charlottenburg in einer Arbeiterfamilie geboren. Nach einer Lehre als Verkäuferin begann sie Stenographie und Maschineschreiben zu lernen und erhielt verschiedene Bürojobs. 1932 lernte sie den Jurastudenten Gottfried Salomon kennen, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zwangsexmatrikuliert wurde. Marta Mierendorff wurde Ende der 1930er Jahre vorübergehend als Stenotypistin in einem Rüstungsbetrieb dienstverpflichtet. Nachdem sie aus der Dienstverpflichtung freigekommen war, nutzte sie den allgemeinen Mangel an Stenotypistinnen und gründete eine eigene „Schreibstube“. Diese diente auch dazu, ihren jüdischen Verlobten – 1939 hatten Marta Mierendorff und Gottfried Salomon sich verlobt – zu schützen, da der rege Besucher*innenverkehr in ihrem kleinen Unternehmen die Anwesenheit Salomons verschleiern sollte. Doch gab er diesen Schutz 1943 auf: Als seine Mutter nach Theresienstadt deportiert wurde, begleitete er diese freiwillig. Salomon wurde 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, was Marta Mierendorff erst nach dem Krieg erfuhr. Seine Mutter überlebte die Haft und wurde nach dem Krieg von Marta Mierendorff aufgenommen.

Angeregt von ihrem Verlobten hatte Marta Mierendorff ein Begabtenexamen abgelegt und im Oktober 1943 ein Studium begonnen. Doch schon Anfang 1944 musste sie es wieder abbrechen, als sie zu den Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH im Oderbruch bei Wriezen dienstverpflichtet wurde. Hier war sie bis Februar 1945, kurz bevor die sowjetische Armee die Werkstätten erreichte, als Stenotypistin tätig. Das Kriegsende erlebte sie in Berlin.[1]

Die Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH waren ab Sommer 1941 errichtet worden, ab Juli 1942 wurde dort mit der Arbeit begonnen. In Wriezen sollte der monumental-heroische Skulpturenschmuck Arno Brekers für die geplante Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin gefertigt werden, ebenso wie Bildhauerarbeiten für das Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Riesige Marmor- und Granitblöcke wurden per Schiff über die Oder herangeschafft, ein eigener Hafen, eine Gleis- sowie eine Krananlage, riesige Werk- und Lagerhallen und Baracken für die Mitarbeiter gehörten zu der Anlage, die geradezu industrielle Ausmaße annahm. Hier war die Produktion der überlebensgroßen Plastiken und der gigantischen Reliefs möglich, die den nationalsozialistischen Größenwahn demonstrierten.[2]

Der Mitarbeitendenstab der Steinbildhauerwerkstätten wuchs rasant an. Hatten Ende 1942 zunächst 16 Mitarbeitende in Wriezen gewirkt – darunter deutsche, italienische und französische Bildhauer*innen – stieg diese Zahl bis 1944 auf 180 an.[3] Mit diesem immensen Stab sowie modernsten technischen Hilfsmitteln hatte Arno Breker wie kein anderer Bildhauer seiner Zeit die Möglichkeit, seine Werke fertigen zu lassen – und das während des Krieges und trotz vorherrschender Materialknappheit. Breker konnte dabei horrende Einnahmen verzeichnen: Zwischen Dezember 1940 und Oktober 1943 erhielt er allein für die Bildhauerarbeiten für die Reichshauptstadt Berlin fast 3,5 Millionen Reichsmark.[4]

Als Marta Mierendorff 1944 als Bürokraft in die Steinbildhauerwerkstätten in Wriezen dienstverpflichtet wurde, waren die Arbeiten dort bereits in vollem Gang. In einem Erinnerungsbericht aus der Nachkriegszeit beschreibt sie die Zustände in den Werken, in denen französische und italienische Kriegsgefangene arbeiten mussten, später auch polnische und ukrainische Zwangsarbeiter*innen. Die Franzosen wurden von dem frankophilen Breker bevorzugt behandelt, während alle anderen unter harten Arbeitsbedingungen und schlechter Ernährung zu leiden hatten. Seit dem Sommer 1944 veranstaltete Breker Kino- und Theateraufführungen, allerdings nur für die Deutschen und die Franzosen. Alle anderen Mitarbeitenden waren von solchen Vergnügungen ausgegrenzt. Bis zuletzt, d.h. noch im Januar 1945, als die russischen Truppen bereits kurz vor Wriezen standen, gab Breker zudem Feste, bei denen herrschaftlich gespeist wurde, mitsamt den wegen des Bombenkrieges nach Wriezen ausquartieren Frauen und Kindern prominenter Nationalsozialisten aus Berlin. Ende Januar 1945 brachte sich Breker mit seiner Frau in Bayern in Sicherheit, seine Mitarbeitenden überließ er ohne Vorwarnung sich selbst.[5]

In ihrem Bericht beschrieb sich Mierendorff selbst als „Zeugin des Untergangs der Werke“. Während sie sich 1947, in unmittelbarer Nachkriegszeit, noch entlastend gegenüber Breker äußerte und sogar einen „Persilschein“ für ihn verfasste, der im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens Verwendung fand,[6] änderte sich ihr Vorgehen bald darauf. Möglicherweise hing dies mit der Selbstdarstellung Brekers und seiner Beschreibung der Zustände in Wriezen im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens zusammen. 1947 schrieb er in seinem Lebenslauf: „Die Werkstätten in Wriezen galten weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als ein Musterbeispiel sozialer Betreuung und vorbildlicher europäischer Zusammenarbeit fremder Staatsangehöriger.“[7] Weiter schrieb Breker von guter Verpflegung, hohen Löhnen und „geschmackvoll möblierten“ Zimmern für die Beschäftigten – geradezu einer „Friedensinsel inmitten der Kriegswirren“.[8]

Artikel „Steinblock für einen Heldenpenis“ von Marta Mierendorff, 3.4.1971, Frankfurter Rundschau © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Ob diese verfälschende Darstellung, die den wahren Verhältnissen in Wriezen in keiner Weise entsprach, der Anlass war oder nicht: Seit den 1960er Jahren versuchte Marta Mierendorff, ihr Wissen über die Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH in der Öffentlichkeit publik zu machen und auf die dort herrschenden Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Sie wandte sich an Zeitungen und Zeitschriften, Obwohl die Redakteure ihr bei der ersten Kontaktaufnahme meist Interesse entgegenbrachten, verlief sich ihr Engagement stets im Sande. Ebenso versuchte sie die Jüdische Gemeinde Berlin, den Bund der Verfolgten des Naziregimes oder die Akademie der Künste in Berlin über die Geschehnisse in den letzten Kriegsjahren in Wriezen aufzuklären, doch auch hieraus ergab sich keine kritische Aufarbeitung.[9] Auch ein von Marta Mierendorff verfasster ganzseitiger Artikel über die Steinbildhauerwerkstätten in Wriezen in der Frankfurter Rundschau vom 3. April 1971 verhallte ohne jedes Echo.[10] Insbesondere Anfang der 1980er Jahre verstärkte sie ihr Engagement noch einmal: Anlässlich einer Ausstellung Arno Brekers in der West-Berliner Galerie Club d’Art im Jahr 1981, in der auch Werke des Bildhauers aus der NS-Zeit gezeigt wurden, kam es in Berlin zu heftigen Protesten, öffentlichen Kundgebungen, Mahnwachen und einer Unterschriftenaktion im Tagesspiegel. In diesem Zusammenhang entstand sogar ein eigener 15-minütiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Breker oder Nichts gelernt“, der die Proteste wiederspiegelte und Brekers Karriereweg kritisch hinterfragte.[11] Doch selbst in diesem kulturpolitisch aufgeheizten Klima konnte Marta Mierendorff kein Interesse für ihren Erlebnisbericht wecken. Der Spiegel antwortete ihr, dass kein Interesse an einer Reportage bestehe, da ihr Bericht ein „allzu marginales Ereignis der Zeitgeschichte zum Gegenstand“ habe.[12]

Marta Mierendorff blieb nach Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst in Berlin und promovierte 1949 an der Humboldt-Universität zu Berlin. In den folgenden Jahren engagierte sie sich bei der Gewerkschaftsbewegung und gründete 1954 gemeinsam mit dem abstrakten Maler Heinrich Tost das „Institut für Kunstsoziologie“ in Berlin, mit dem Ziel, in der Kunsterziehung den Folgen der nationalsozialistischen Kunstlehre entgegenzuwirken und damit zu einer Demokratisierung des Kunst- und Kulturlebens beizutragen. Auch engagierte sie sich für die Anerkennung von Ehen, die während der NS-Zeit im Untergrund geschlossen worden waren und erreichte deren nachträgliche Legitimierung – und damit auch die Anerkennung ihrer eigenen Ehe mit Gottfried Salomon, die sie im August 1939 geschlossen hatten. Mitte der 1960er Jahre übersiedelte Marta Mierendorff nach Los Angeles und wandte sich verstärkt der Exilforschung zu, sie recherchierte insbesondere in den Bereichen Literatur, Theater und Film. Für ihre Exilforschung erhielt sie 1970 eine Professur an der University of Southern California in Los Angeles. Mierendorff, die 1978 die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb und 1980 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet wurde, kann zweifelsohne als eine Pionierin der Exilforschung bezeichnet werden.[13]

Literatur

[1] Zur Biografie Marta Mierendorffs vgl. Ursula D. Nienhaus: Vita Activa – 80 Jahre Marta Mierendorff, in: Helmut G. Asper (Hg.): Wenn wir von gestern reden, sprechen wir über heute und morgen: Festschrift für Marta Mierendorff zum 80. Geburtstag, Berlin 1991, S. 341-353; Angela Martin und Claudia Schoppmann (Hg.): „Ich fürchte die Menschen mehr als die Bomben“. Aus den Tagebüchern von drei Berliner Frauen 1938–1946, Berlin 1996, S. 97-100; Findbuch zur Sammlung Martha Mierendorff (E Rep. 200-51, Nr. 21) im Landesarchiv Berlin, S. II-VI.
[2] Vgl. Magdalena Bushart: Arno Breker (geb. 1900) – Kunstproduzent im Dienst der Macht, in: Skulptur und Macht. Figurative Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre, Katalog zu einer Ausstellung der Akademie der Künste, Berlin 1983, S. 157f.
[3] Vgl. Detlef Mallwitz: Künstlerkolonie Wriezen. Gründung – Untergang – Abwicklung 1940–1950, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hrsg. von der Stadt Wriezen, 2021, S. 51, S. 56 sowie Bundesarchiv, R 4606/4579.
[4] Vgl. Bundesarchiv, R 4606/4477.
[5] Vgl. Marta Mierendorff: Der Untergang der Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH in Wriezen/Oder, unveröffentlichtes Manuskript, in: Landesarchiv Berlin, E Rep. 200-51, Nr. 21.
[6] Vgl. Spruchkammerakte Arno Breker, Staatsarchiv München, SpkA_K_195, Bl. 145 und Bl. 11; „Die Arno-Breker-Werke GmbH“, Leserbrief von Marta Mierendorff im Telegraf, 9.11.1946, S. 3.
[7] Lebenslauf von Arno Breker, S. 6, Wemding/Schwaben, 5.2.1947, NARA M1947.
[8] Ebd.
[9] Vgl. die verschiedenen Schreiben in Landesarchiv Berlin, E Rep. 200-51, Nr. 21.
[10] Marta Mierendorff: Steinblock für einen Heldenpenis, in: Frankfurter Rundschau Nr. 79, S. V.
[11] „Breker oder nichts gelernt“, Detlef Gumm, Hans-Georg Ullrich, Känguruh-Film GmbH Berlin, 1981.
[12] Schreiben von Gerd Rockel an Marta Mierendorff, Hamburg 21.3.1984, in: Landesarchiv Berlin, E Rep. 200-51, Nr. 21.
[13] Vgl. Findbuch zur Sammlung Martha Mierendorff (E Rep. 200-51, Nr. 21) im Landesarchiv Berlin, S. IV-VI; Nienhaus: Vita Activa – 80 Jahre Marta Mierendorff, S. 341-353; Martin/Schoppmann (Hg.): „Ich fürchte die Menschen mehr als die Bomben“, S. 97-100.

Titelbild: Marta Mierendorff, um 1942 © Landesarchiv Berlin