Ferdinand Sauerbruch 1875-1951

Arzt und Chirurg

Ferdinand Sauerbruch gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Berühmt wird er durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Brustraumchirurgie (Thoraxchirurgie). Überdies entwickelt Sauerbruch eine Armprothese, den sogenannten „Sauerbruch-Arm“, der für die zahlreichen Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges angefertigt wird.

  • 1875
    3. Juli: Ernst Ferdinand Sauerbruch wird im westfälischen Barmen (heute ein Teil von Wuppertal) geboren. Sein Vater Ferdinand (1840-1877) ist technischer Leiter einer kleinen Tuchweberei.
  • 1877
    Sauerbruchs Vater stirbt früh an Tuberkulose. Nach seinem Tod finden die Mutter Helene Hammerschmidt (1843-1920) und Ernst Ferdinand beim Großvater Friedrich Hammerschmidt (1810-1887) in Elberfeld ein neues Heim. Der Großvater betreibt dort eine Schuhmacherei.

    In Elberfeld besucht Sauerbruch vier Jahre die Volksschule und wechselt anschließend auf das humanistische Gymnasium. Betroffen vom Tod des Großvaters, muss Sauerbruch eine Klasse wiederholen und besteht erst mit 20 Jahren die Reifeprüfung.
  • 1895-1901
    Abiturium am Realgymnasium in Elberfeld. Anschließend beginnt er sein Studium der Naturwissenschaft an der Universität Marburg. Für die Zulassung zum Medizinstudium holt Sauerbruch 1896 die Graecumprüfung am Gymnasium in Mülheim an der Ruhr nach.

    Nach kurzer Studienzeit in Marburg immatrikuliert sich Sauerbruch an der Universität in Leipzig. Sein Lehrer, der Anatom Wilhelm His (1801-1904), rät ihm zum Studienaufenthalt in Jena. Nach kurzer Zeit kehrt Sauerbruch wieder nach Leipzig zurück und legt dort 1901 sein Staatsexamen ab.
  • 1902
    Promotion zum Dr. med. an der Universität Marburg. Da die finanzielle Situation durch den Tod des Großvaters angespannt ist, kann der angehende Arzt seine weitere Ausbildung nicht in Universitätsinstituten wie damals üblich als unbezahltes, mehrjähriges Volontariat absolvieren. Sauerbruch wird Assistent in kleineren Krankenhäusern, zunächst am Hessischen Diakonissenhaus in Kassel und später am Krankenhaus der Stadt Erfurt, wo seine erste wissenschaftliche Arbeit über stumpfe Bauchverletzungen entsteht.
  • 1903
    Beschäftigung mit pathologischer Anatomie im Pathologischen Institut des Krankenhauses in Berlin-Moabit unter Professor Theodor Langhans (1839-1915). Im Oktober tritt er als Assistenzarzt in die Breslauer Chirurgische Universitätsklinik bei Johann von Mikulicz (1850-1905) ein. Angeregt durch Mikulicz entwickelt Sauerbruch bereits als Assistenzarzt eine Technik für die Thoraxoperation in Unterdruckkammern (Druckdifferenzverfahren), die der Brustraumchirurgie neue Möglichkeiten eröffnet. Auf diese Weise können erstmals Eingriffe am offenen Brustkorb durchgeführt werden, ohne dass ein sogenannter Pneumothorax befürchtet werden muss.
  • 1905
    Habilitation als Privatdozent in Breslau. Nach dem Tod seines Lehrers Mikulicz wechselt Sauerbruch als Assistenzarzt im Herbst an das Universitätsklinikum in Greifswald zu Professor Paul Leopold Friedrich (1864-1916). Hier erforscht er weitere Anwendungsmöglichkeiten des Druckdifferenzverfahrens.
  • 1907
    6. Juni: Nach der Berufung Professor Friedrichs nach Marburg folgt ihm Sauerbruch und wird unter der Leitung Friedrichs Oberarzt.
  • 1908
    3. Januar: Heirat mit Adeline Schulz (1885-1961), Tochter des damals bekannten Greifswalder Pharmakologen Hugo Schulz (1853-1932).
  • 1910
    6. Januar: Sohn Hans (1910-1996) wird geboren. 15. Oktober: Berufung zum ordentlichen Professor der Chirurgie an der Hochschule Zürich und zum Direktor der chirurgischen Klinik und Poliklinik des Kantonspitals in Zürich. Dort tritt Sauerbruch die Nachfolge von Rudolf-Ulrich Krönlein (1847-1910) an. Er verfolgt weiterhin den Ausbau der chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose sowie der Thoraxchirurgie.
  • 1911
    31. August: Geburt des Sohnes Friedrich. In Zürich erscheint die erste Auflage zur Chirurgie der Brustorgane mit dem Titel „Technik der Thoraxchirurgie“.
  • 1913
    5. Juni: Geburt des Sohnes Peter (1913-2010).
  • 1914
    Der deutsch-national eingestellte Sauerbruch wird von der Kriegsbegeisterung erfasst. Obwohl er keine Mobilmachungsanordnung erhält, lässt er sich von den Schweizer Behörden auf unbestimmte Zeit beurlauben und meldet sich als Kriegsfreiwilliger bei der deutschen Gesandtschaft in Bern. Daraufhin wird er zum beratenden Chirurg des 15. Armeekorps in Straßburg befördert. Bereits im August 1914 nimmt er seine Tätigkeit auf und wird anfänglich in den Vogesen und später bei Ypern eingesetzt.
  • 1915
    Zurück in Zürich, stellt sich Sauerbruch während der Sommersemesterferien erneut der deutschen Armee zur Verfügung. Diesmal wird ihm die Leitung des Reservelazaretts an der Chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald übertragen, in dem zahlreiche Amputationen durchgeführt werden.
  • 1916
    Rückkehr in die Schweiz und gleichzeitige Übernahme des Vereinslazaretts in Singen an der Schweizer Grenze. Mit Unterstützung des Sanitätsamtes des 14. Korps (Karlsruhe) wird ihm das Lazarett unter Chefarzt Alfred Stadler (1868-1934) zugewiesen. Der Krieg konfrontiert Sauerbruch mit der ungeheuren Zahl an Amputierten. Er konstruiert den „Sauerbruch-Arm“, auch „willkürlich bewegbare künstliche Hand“ genannt, eine Prothese, die direkt in den Körper implementiert wird. Im selben Jahr erscheint - unter Mitwirkung von Stadler - sein Buch: „Die willkürlich bewegbare künstliche Hand. Eine Anleitung für Chirurgen und Techniker“.
  • 1917
    27. April: Geburt der Tochter Marie Helene, auch Marilen genannt.
  • 1918
    Berufung nach München. Sauerbruch übernimmt die Leitung der Chirurgischen Universitätsklinik.
    Ernennung zum Geheimen Hofrat.
  • 1919
    Die zweite Auflage „Technik der Thoraxchirurgie“ erscheint. Die Arbeit wird zu einem Standardwerk.

    Die Nachfrage nach Sauerbruchs Armprothesen wird immer größer. Es gelingt ihm, die finanzielle Unterstützung der Firma Brown-Boveri zu gewinnen und damit die „Deutsche Ersatzgliedergesellschaft Sauerbruch GmbH“ (DERSA) mit dem Ziel zu gründen, eine schnelle und zuverlässige Versorgung der Amputierten zu gewährleisten.
  • 1920
    Erstes Zusammentreffen mit Adolf Hitler. Sauerbruch verkehrt zu dieser Zeit in nationalkonservativen Kreisen.
  • 1923
    November: Nach dem blutigen Ausgang des Putsches von Hitler und Erich Ludendorff gegen die bayerische Regierung werden die Verletzten unter Sauerbruchs Leitung behandelt. Dem verletzten und geflüchteten Hitler schickt er einen Assistenzarzt.
  • 1927/1928
    Ruf an die Berliner Charité als Ordinarius an der II. Chirurgischen Klinik, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1949 leitet. Seine Antrittsvorlesung erfolgt im November 1927. Mit seiner Frau Adeline bezieht er in Berlin ein Haus in der Koblanckstraße 1 am Wannsee und unterhält zusammen mit seinem Sohn Hans zu seinem neuen Nachbarn Max Liebermann eine freundschaftliche Beziehung. Liebermann porträtiert Sauerbruch im Jahr 1932.
  • 1928
    Mitglied der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft.
  • 1932-1950
    Ehrenmitglied und Ehrenpräsident der Berliner Chirurgischen Gesellschaft.
  • 1933
    Sauerbruch wird Mitglied der seit 1863 bestehenden Berliner Mittwochsgesellschaft, der bis zu 16 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kulturbetrieb, Regierung und Verwaltung angehören. Die Mitglieder haben verschiedene politische Standpunkte, einige werden starke Befürworter des NS-Regimes, andere Gegner. Sauerbruch steht bezüglich der Wiederherstellung der Einigkeit und Größe Deutschlands hinter der NS-Regierung.

    Sauerbruch nutzt seine Stellung, um sich für nationalsozialistischen Repressionen ausgesetzten Menschen zu engagieren. So händigt er wiederholt Empfehlungsschreiben für „nichtarische“ Ärzte an Kollegen im Ausland aus, bis diese Praxis für ihn gefährlich wird.

    In mehreren nationalen Reden für den Reichsrundfunk in den 30er-Jahren bekennt sich Sauerbruch zum NS-Regime. In allen darin enthaltenen Äußerungen setzt er Hoffnungen in die NS-Herrschaft, das Deutsche Reich zu einigen und zu stärken und erfüllt so die Erwartungen der nationalsozialistischen Machthaber.
  • 1934
    Ernennung zum Staatsrat.
  • 1937
    Sauerbruch wird in den Reichsforschungsrat als Fachspartenleiter für den Bereich Medizin berufen und erlangt damit Einfluss auf die Forschungsförderung.

    Die Versuche bewegen sich hauptsächlich im Bereich üblicher medizinischer Forschungen. Ab 1941 fördert der Rat Menschenversuche in Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagern. Sauerbruch genehmigt diese Experimente, wohl ohne dass sich aus den Anträgen und Berichten des Rats der menschenverachtende Charakter ergab.

    Im Mai 1943 erfährt er jedoch bei einem Vortrag auf einer Tagung der beratenden Fachärzte an der Militärärztlichen Akademie Berlin nachweislich von den Menschenversuchen der SS-Ärzte Karl Gebhardt (1897-1948) und Fritz Fischer (1912-2003) und deren Sulfonamidforschungen an KZ-Häftlingen. Unter dem Vorwand der Kriegsnotwendigkeit wird der Vortrag sowohl von Sauerbruch als auch von allen Anwesenden kritiklos hingenommen.

    September: Sauerbruch erhält, gemeinsam mit dem Chirurgen August Bier (1861-1949), den von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg.
  • 1938
    Scheidung von seiner ersten Ehefrau Adeline.
  • 1939
    Beratender Arzt des Heeres im 3. Wehrkreise (Berlin). Sauerbruch lebt mit seiner zweiten Ehefrau, der Ärztin Margot Großmann (1903-1995), in der Herthastraße 11 in Berlin-Grunewald.
  • 1942
    27. Mai: Attentat auf Reinhard Heydrich. Heinrich Himmler sendet seinen persönlichen Leibarzt und ehemaligen Sauerbruch-Schüler Karl Gebhardt (1897-1948) nach Prag. Auch Adolf Hitlers Leibarzt Theo Morell (1886-1948) und Sauerbruch bieten ihre Hilfe an, die jedoch abgelehnt wird.

    1. Juli: Sauerbruch wird zum Generalarzt befördert und unternimmt Inspektionsreisen durch Frankreich und den Kaukasus.
  • 1944
    Nach dem Attentat auf Hitler wird Sauerbruch vom Chef der Sicherheitspolizei Ernst Kaltenbrunner der Mitverschwörung verdächtigt und verhört. Sauerbruch weiß von Umsturzplänen, einer Inhaftierung oder gar einer Hinrichtung entgeht er jedoch. Auch Sauerbruchs Sohn Peter, der mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg befreundet ist, gerät in den Fokus der Ermittlungen. Sauerbruch kann seine privilegierte Stellung bis Kriegsende bewahren.

    Als die Rote Armee der Reichshauptstadt näher rückt, zieht Sauerbruch mit seiner Frau in den Operationsbunker der Charité.
  • 1945
    Mai: Sauerbruch operiert bis zur Kapitulation Verletzte. Ernennung zum Leiter der Abteilung Gesundheitswesen für die gesamte Stadt Berlin durch die sowjetischen Besatzungsbehörden. Im Oktober wird Sauerbruch wegen der Annahme von Ehrungen und politischer Tätigkeit zur NS-Zeit aus diesem Amt wieder entlassen.

    Es machen sich bereits kurz nach Kriegsende Anzeichen einer Zerebralsklerose der Gehirngefäße bemerkbar, er arbeitet dennoch als Chirurg weiter. Sauerbruch einigt sich mit einem Verlag auf die Veröffentlichung seiner Autobiografie.
  • 1949
    1. Dezember: Emeritierung. Trotz seiner fortgeschrittenen Demenzerkrankung ist Sauerbruch bis zu seinem Tod weiterhin als behandelnder und beratender Chirurg in der Privatklinik bei Dr. Julius Jungbluth tätig. Friedrich Sauerbruch weiß um die Krankheit seines Vaters und bleibt dessen Assistenzarzt.
  • 1951

    2. März: Ernst Ferdinand Sauerbruch stirbt im Berliner Urban-Krankenhaus nach einem Schlaganfall.
    November: Unter dem Titel "Das war mein Leben" erscheint beim Kindler-und-Schiermayer-Verlag Sauerbruchs vermeintliche Autobiografie. Verfasst wird sie vom Journalisten Hans Rudolf Berndorff (1895-1963). Sauerbruch ist seit seiner Demenzerkrankung nicht in der Lage gewesen, an seinen Erinnerungen zu arbeiten oder Fragen zu seinem Leben zu beantworten.

  • 1954
    Der Film "Sauerbruch – Das war mein Leben" kommt in die Kinos, er beinhaltet wie seine literarische Vorlage eine Vielzahl an Irrtümern und Erfindungen und blendet Sauerbruchs Konformität zum NS-Regime aus.
Susan Geißler
14. März 2019

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