> Kaiserreich > Außenpolitik

Die Kolonie Deutsch-Ostafrika

Der Kilimandscharo galt im Kaiserreich als "höchster Berg Deutschlands". Der mit 5.895 Metern höchste Berg Afrikas - auch als "Kaiser-Wilhelm-Spitz" bezeichnet - war für das Deutsche Reich geradezu das Wahrzeichen seiner Kolonialpolitik. In Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania, Ruanda, Burundi) gelegen, symbolisierte der Kilimandscharo die von Deutschland angestrebte Weltgeltung nach dem Wettlauf um die Aufteilung des "schwarzen Kontinents". Auf der Berliner Afrikakonferenz 1884/85 hatten die in Afrika einflussreichsten Kolonialmächte erstmals ihre Interessensphären untereinander abgesteckt. Die genaue Festlegung der Grenzen sollten bilaterale Verträge regeln. Mit dem Abschluss eines Vertrags am 1. Juli 1890 legten Großbritannien und Deutschland Grenzziehungen und ihre jeweiligen Interessenspähren in Afrika fest.

Deutsch-Ostafrika war ab 1885 Kolonie des Deutschen Reichs. Vor allem der für sein rassistisches Gedankengut bekannte Kolonialpolitiker Carl Peters hatte sich im Osten des afrikanischen Kontinents um den Erwerb von Gebieten hervorgetan. Im Gegensatz zu Deutsch-Südwestafrika war die Kolonie in Ostafrika mit der doppelten Größe des Deutschen Reichs angesichts des tropischen Klimas üppig an Vegetation. Rund 90 Prozent der etwa acht Millionen dort lebenden Menschen gehörten den Bantu an. Neben Angehörigen der im Nordosten der Kolonie ansässigen Massai lebten an der Küste Deutsch-Ostafrikas zudem noch arabische Einwanderer aus dem Oman. Sie unterhielten ausgezeichnete Handelsverbindungen vor allem ins Landesinnere, aber auch nach Europa und in den Nahen Osten. Bis zum Beginn der deutschen "Schutzherrschaft" bestimmten die Araber den Handel in dieser Region, wobei besonders der von ihnen betriebene Sklavenhandel beträchtliche Gewinne abwarf. Als sie ihren Einfluss im Handel zusehends an die neuen Kolonialherren verloren, versuchten vornehmlich die arabischen Sklavenhändler und von ihnen abhängigen Massaigruppen sich der deutschen Herrschaft gewaltsam zu widersetzen: Der sogenannte Araberaufstand von 1887 bis 1889 unter Hassan Buschiri (um 1837-1889) wurde allerdings von der deutschen "Schutztruppe" unter Hermann von Wissmann blutig niedergeschlagen. Ebenso bedingungslos verfuhr Wissmann bei der 1891 beginnenden Erhebung der den Bantu angehörenden Wahehe unter Mkwawa (um 1855-1898). Sie kämpften gegen ihre Unterdrückung und konnten erst nach hohen Verlusten der "Schutztruppe" 1898 besiegt werden.

Als Reichskommissar war Wissmann 1888 mit dem Aufbau einer schlagkräftigen "Schutztruppe" in Deutsch-Ostafrika betraut worden. Neben deutschen Offizieren bestand die "Schutztruppe" anfangs ausschließlich aus afrikanischen Söldnern aus dem Sudan und Portugiesisch-Afrika (heute: Mozambique). Zu diesen sogenannten Askari (arabisch: Soldaten) kamen später ebenfalls gutbezahlte Afrikaner aus Deutsch-Ostafrika hinzu, die schnell den Ruf erlangten, treu und tapfer zu sein. Die "Schutztruppe" unterstand weiterhin direkt der Heeresleitung in Deutschland, als am 1. Januar 1891 Julius Freiherr von Soden (1846-1921) zum ersten Gouverneur Deutsch-Ostafrikas ernannt wurde. Er forcierte den Aufbau einer Kolonialverwaltung mit Sitz in Daressalam. Ein Hauptaugenmerk lag auf der wirtschaftlichen Ausbeutung der Kolonie, wo 1913 rund 5.350 Deutsche lebten. Viele von ihnen errichteten Plantagen für Kautschuk, Hanf, Baumwolle und Kaffee. Den erhöhten Bedarf an Plantagenarbeitern deckte die Kolonialverwaltung durch Einheimische, welche die bewusst sehr hoch angelegten Steuersätze nicht entrichten konnten und in die Sklavenarbeit abgedrängt wurden. Gegen ihre Unterdrückung durch die Kolonialmacht erhoben sich im Maji-Maji Aufstand von 1905 bis 1907 verschiedene Gruppen erstmals gemeinsam.

Noch während des Aufstands verabschiedete der Reichstag in Berlin 1905 ein Gesetz zur Aufhebung der Sklaverei in den deutschen "Schutzgebieten": Alle ab 1906 Geborenen sollten demnach als frei gelten und Haussklaven nur bis 1920 in der Obhut ihrer Herren sein. Vor allem Bernhard Dernburg (1865-1937), neuer Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, hatte erkannt, dass durch die Erhebungen die Kolonie wirtschaftlich stark litt und befürwortete entschieden diesen neuen Kurs. Nach Ende der Unruhen 1907 bedienten sich die Kolonialbehörden verstärkt den Anführern und setzten diese als Bindeglieder zu der Bevölkerung ein. Die lokalen Herrscher sollten eigene Plantagen anlegen und ihre Erzeugnisse an die deutsche Kolonialmacht zu niedrigen Preisen verkaufen. Um die weitere Verarmung der Einheimischen vorzubeugen und Ausfälle von Steuern zu vermeiden, wurden die Preise von der deutschen Regierung garantiert.

Materialien zum Aufbau einer verbesserten Infrastruktur in Deutsch-Ostafrika lieferte das Deutsche Reich in die Kolonie. Die erste Eisenbahnstrecke wurde im Oktober 1894 zwischen Tanga und Pongwe eröffnet. Bis 1914 trieben die Deutschen den Bau von Eisenbahnstrecken und Telegraphenstationen stark voran. Obwohl dadurch auch die wirtschaftliche Entwicklung bis 1914 ständig zunahm, rentierte sich die Kolonie für das Deutsche Reich nicht. Schließlich brach die Wirtschaft in der Kolonie mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 und den daraus resultierenden Kämpfen in Deutsch-Ostafrika zusammen. Mit dem Abschluss des Versailler Vertrags 1919 fiel Deutsch-Ostafrika wie sämtliche überseeischen Besitzungen des Deutschen Reichs an die Mächte der Entente. Die ehemalige deutsche Kolonie wurde im Namen des neugegründeten Völkerbundes unter die Oberhoheit Großbritanniens gestellt.

Jan Antosch
2. November 2004

lo