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Die konservative Frauenbewegung

Ab den 1860er Jahren organisierte sich zunächst in Preußen, später in ganz Deutschland eine konservative Frauenbewegung. Sie machte sich insbesondere für ein traditionelles weibliches Rollenverständnis stark. Mitglieder waren meist Frauen aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum. Sie verstanden sich als Gegenbewegung zur liberalen bürgerlichen Frauenbewegung, die für weibliche Emanzipation und politische Partizipation kämpfte. Deren Forderungen lehnte die konservative Frauenbewegung ab.

 

Der wichtigste und zahlenmäßig größte Verein war der "Vaterländische Frauenverein", der 1914 rund 60.000 Mitglieder zählte. Er wurde 1866 durch die preußische Königin Augusta (1911-1890) gegründet und von ihr sowie ihrer Nachfolgerin, der Kaiserin Auguste Viktoria, protegiert. Der Verein machte sich die Kriegskranken- und Wohlfahrtspflege zur besonderen Aufgabe, bildete Frauen als Sanitäterinnen aus und baute ein sanitäres Netzwerk auf. Eine stark kulturimperialistische Ausrichtung hatten Vereine wie der 1896 gegründete "Deutsche Frauenverein für die Ostmarken". Der 1905 gegründete "Flottenbund deutscher Frauen" oder die 1907 ins Leben gerufene Frauenabteilung des Kolonialvereins verfolgten expansive machtpolitische und nationalistische Ziele.

In der konservativen Frauenbewegung war die Rolle von Frauen klar umrissen: Sie wurden vor allem als Mütter, Erzieherinnen und Pflegerinnen und damit als unabdingbarer Bestandteil des Nationalstaates gesehen und sollten für die Weitergabe von Vaterlandsliebe, Gehorsam, Disziplin und weiteren "deutschen Tugenden" an ihre Kinder verantwortlich sein. Als Trägerinnen der deutschen Kultur leisteten die Mitglieder der konservativen Frauenbewegung ihrem Selbstverständnis nach einen wichtigen Beitrag zum Aufbau und Erhalt des Nationalstaats. Einen sichtbar patriotischen Beitrag leisteten die Frauen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und im Ersten Weltkrieg, in denen der weibliche Sanitätsdienst eine bedeutende Funktion zukam.

Politik galt der konservativen Frauenbewegung als männliche Domäne, in die sie nicht eindringen wollte. Der Widerspruch einer dezidiert nationalistischen Haltung bei gleichzeitiger Betonung der unpolitischen häuslichen Rolle von Frauen wurde durch die Vorstellung gelöst, dass der Patriotismus der Frauenvereine als nationale, überparteiliche und emotionale Selbstverständlichkeit galt. So konnten die Frauen Vereinsarbeit leisten, ohne dabei das für sie geltende Verbot politischer Betätigung zu durchbrechen.

Nina Reusch / Rosmarie Beier de Haan / Arnulf Scriba
15. August 2016

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