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Der Stellungskrieg

Nach dem Debakel der Marne-Schlacht mit dem gescheiterten deutschen Vorstoß nach Paris und dem Rückzug hinter die Aisne standen sich die gegnerischen Heere an der Westfront ab Herbst 1914 von der belgischen Küste bis zur schweizerischen Grenze gegenüber. Eilig ausgehobene Erdlöcher sollten gegen feindlichen Beschuss schützen. Im jetzt einsetzenden "Stellungskrieg" wurde an der rund 700 Kilometer langen Frontlinie auf beiden Seiten schließlich ein tiefgestaffeltes, zumeist dreigliederiges Grabensystem mit Unterständen angelegt. Über lange Gräben waren die an den vordersten Linien eingesetzten Truppen mit den Nachschubstellen und Feldlazaretten verbunden. Für die Befestigung der Schützengräben wurden ganze Wälder abgeholzt. Schnell wurde das Maschinengewehr zum Symbol des mörderischen Stellungskrieges.

Der Einsatz schwerer Maschinengewehre sowie Stacheldrahtverhaue sollten gegnerische Angriffe verhindern und Geländegewinne des Feindes unmöglich machen. Im Gegenzug sollte stundenlanges Trommelfeuer der Artillerie den Gegner zermürben und das feindliche Befestigungsbollwerk sturmreif schießen. Mit Beginn des eigenen Angriffs ebnete die Artillerie mit einer vorausrollenden „Feuerwalze“ den Weg für die unmittelbar dahinter vorrückenden Sturmtruppen – doch oft genug geriet ihr Beschuss zu kurz und traf die eigenen Kameraden. Trotz des Infernos überlebten in der Regel genügend Verteidiger, um die Kampfkraft der Abwehrreihen aufrecht zu erhalten. Für die Angreifer war ein Ansturm auf das gegnerische Befestigungsbollwerk daher weit verlustreicher als für die Angegriffenen – zu Hunderten starben sie im Abwehrfeuer der Maschinengewehre. Gelang den Angreifern dennoch ein Geländegewinn von wenigen hundert Metern, verloren sie häufig den soeben eroberten Schützengraben durch Gegenangriffe aus rückwärtigen Stellungen nach wenigen Tagen oder gar Stunden wieder. Gab es keine Verständigung über eine Waffenruhe, erlagen die im Niemandsland zwischen den Gräben liegenden Soldaten ihren Verletzungen nach oft qualvollen Stunden und unerhörten Hilfeschreien.

Der Versuch, durch "Materialschlachten" wieder zum "Bewegungskrieg" zurückzukehren, führte zu bis dahin unvorstellbaren Opferzahlen. Auf deutscher Seite konnten die Verluste bald nicht mehr durch frische Mannschaften ausgeglichen werden. Da selbst Großoffensiven trotz des Einsatzes Hunderttausender Soldaten keinen entscheidenden Durchbruch in die feindlichen Verteidigungslinien ermöglichten, sollten ab 1915 der Einsatz von Giftgas und ab 1916 von Tanks Fortschritte erzielen. Doch bis zum Frühjahr 1918 änderte sich am Frontverlauf im Westen nur wenig.

Oft auf weniger als 100 Meter lagen sich die Feinde in ihren Schützengräben gegenüber. Das Leben in den Unterständen prägte den Alltag der "Frontsoldaten". Doch die Enge des Raumes, Schlamm und Morast, das Fehlen jeglicher Privatsphäre selbst bei der Verrichtung der Notdurft, die katastrophalen hygienischen Zustände, Ratten und Läuse, permanenter Gestank, zermürbender Schlafmangel und die ständige Angst vor dem nächsten Angriff zehrten an den Nerven auch der erfahrenen Frontkämpfer. Mit dem Tod als ständigem Begleiter waren viele der Soldaten den psychischen und physischen Belastungen des Grabenkrieges nicht gewachsen. Nach 1918 gab es wohl in jedem deutschen Ort sogenannte Kriegszitterer oder psychisch kranke Männer mit Posttraumatischer Belastungsstörung, über die es bei entsprechenden Fragen von Kindern dann lediglich hieß: Ach, der war doch im Krieg.

 

Arnulf Scriba
8. September 2014

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