> Hannes Bienert: Als Luftwaffenhelfer in der Niederlausitz 1944

Hannes Bienert: Als Luftwaffenhelfer in der Niederlausitz 1944

Dieser Eintrag stammt von Hannes Bienert (1928-2015) aus Bochum, Juli 2013:

Ab Ende 1943 war ich Luftwaffenhelfer in Ostpreußen. Wir wurden 1944 dann versetzt – immer mit dem Lehrer zusammen – nach Klettwitz in die Niederlausitz. Da hatten wir in Senftenberg ein riesiges Schutzobjekt, so groß ausgedehnt wie hier in Bochum Krupp. Das war rundherum ein Braunkohlegebiet und man stellte dann damals aus Braunkohle Benzin her, geleitet wurde dies von der BraBag (Braunkohlen-Benzin – Aktiengesellschaft). Wir waren aber dort eine Großkampfbatterie mit 24 Geschützen. Eine normale Batterie bestand aus acht Geschützen. Das war die Flak 8,8, das hieß 8,8 cm Durchmesser. Es gab auch die 2 cm Flak. Das war dann die mobile Flak, die auf Eisenbahnzügen fuhr und gegen Tiefflieger eingesetzt wurde. Wir kamen bis maximal 1000 Meter hoch und standen auf freiem Feld mit 24 Geschützen. Wir hatten auch wieder Hilfspersonal dabei, aber wir mussten eben ganz nah am Geschütz selbst sein. Wenn Alarm war, mussten die Russen ungeschützt in ihren Baracken bleiben. Sie konnten keinen Schutz suchen – wir natürlich auch nicht. Wir standen an den Geschützen zu neunt. Davon waren 3 bis 4 Teil der Stammmannschaft, also erwachsene, richtige Soldaten, und 5 dann Flakhelfer, also wir.

Wir bedienten meistens die technischen Sachen wie die Zündeinstellungsmaschine und das Funkmessgerät sowie die Höhen- und Seitenrichtmaschine. Beim Überflug der feindlichen Bombenflugzeuge musste dann ganz schnell das Geschütz mittels der Seitenrichtmaschine beidrehen. Das hieß dann von Anflug bis Überflug schließlich zum Abflug. Durch den Kopfhörer von oben von der Messstelle, die die Flugzeuge anpeilt, erhielten wie dann die entsprechenden Werte, die die Treffsicherheit der Granaten gewährleisten. Je näher sie kamen, desto mehr veränderte sich der Wert, der eingestellt werden musste für die Höhe, in der das Flugzeug flog. Denn wenn du geschossen hattest, explodierte dann bei 700, 800 oder 900 Metern der Zünder.

Meistens machten wir technische Sachen, weil wir auch zum Teil zu schwach waren. So eine Granate war 70-80 cm lang und wog ca. 40 Kilo. Die musstest du dann mit so einem dicken Ladehandschuh in das Rohr von unten hoch rein schieben. Dazu hatten wir meist gar nicht die Kraft und wir waren ja noch halbe Kinder damals. Das war so eine Mischung aus Heldentum und Angst. Wir wollten ja unbedingt unseren Beitrag zum Endsieg erbringen. Adolf Hitler hatte gesagt, der Endsieg kommt und ihr kriegt euer Studium dann bezahlt und das gehörte ja dazu – nicht abzuweichen. Das Menschliche kam durch die Angst, die konntest du nicht weg kriegen. Du standst auf freiem Feld mit der Kanone. Über dir flogen 2000 Maschinen, 1 Stunde bis 1 ½ Stunden lang und schmissen ihre Bomben ab. Links und rechts um dich herum krachte es. Dann knallte hier eine Bombe rein, da eine Bombe rein, rund um das Gelände der Geschützstellung und du durftest nicht weglaufen. Im Nachhinein muss ich sagen, wir hatten großes Glück, dass nie – wie in anderen Geschützstellungen auch geschehen – eine Bombe mitten in die Flakstellung niederging.

In der Mitte war ein erhöhter Bunker, da stand der Staffelwachtmeister mit der Pistole in der Hand. Wenn dann einer weglaufen wollte von seinem Geschütz, dann knallte er entweder in die Luft und, wenn derjenige wirklich weglaufen wollte und nicht zurückging, schoss er dem in die Beine. Um die Angst dann zu bekämpfen, kamen wir auf Alkohol und Rauchen. Wir hatten schnell spitz, dass es überall erwachsene Flaksoldaten gab, die weder rauchten noch Schnaps tranken. Wir Jugendliche bekamen Süßigkeiten, Streuselkuchen und Milch, wenn wir Nachtangriff hatten. Das bezeichnete man militärisch mit dem Begriff "Kampfzulage". Schnell fanden wir heraus, mit wem wir was tauschen konnten. Vor lauter Angst soffen wir uns lieber einen, wenn das ging.

Rund um die BraBag (Braunkohlen-Benzin Aktiengesellschaft) waren außer unserer noch mehr Flaks stationiert. Bei Abschuss eines feindlichen Flugzeugs bekam die jeweilige siegreiche Flak Sonderzulagen wie Milch und Tabak und einen Ring ums Kanonenrohr. Deshalb stand immer ein Auto bereit. Wenn ein feindliches Flugzeug abgeschossen wurde, wollten alle rundherum platzierten Flak-Stellungen den Abschuss wegen der Sonderbegünstigungen für sich reklamieren. Wer am schnellsten am Flugzeugwrack war beanspruchte den Abschuss für seine Flak-Batterie. Die sogenannte Kampfzulage und wieder ein Ring mehr um das Kanonenrohr waren sicher.

Dort hatten wir dann etwas, was sich damals Bratkartoffelverhältnis nannte. Es gab doch nichts zu essen und mit der Flak standen wir ja meistens nicht in der Stadt, sondern immer rundherum auf ländlichen Gegenden. Dann suchte sich jeder, um richtig was zu essen zu kriegen, so ein Mädchen, die eine Landwirtschaft hatte. Da gab es dann Bratkartoffeln oder so, die hatten mehr zu essen und das nannten wir dann immer das Bratkartoffelverhältnis. Das hieß also, es war – zwar nicht immer – vorgetäuschte Liebe oder so etwas. Die Bratkartoffeln standen im Vordergrund. So hatten wir jeder eine Freundin da und die wohnten nur 2 km weiter in Schipkau. Jeden zweiten, dritten Tag, wenn wir uns da treffen wollten, kamen die Mädchen die paar Kilometer mit dem Fahrrad angefahren, versteckten das Fahrrad im Wald und gingen zu Fuß nach Schipkau zurück. Warum das Fahrrad? Wir warteten bis 22 Uhr, dann kam der Unteroffizier zum Stubendurchgang. Wir bauten Buckel im Bett, als wenn da einer läge und dann, wenn der weg war, stiegen wir aus dem Fenster raus aufs Fahrrad und fuhren 3 km zu unserem Bratkartoffelverhältnis, zu den Mädchen. Da hatten wir eine Mutter, die war so eine richtige Mutti für uns alle, die wusch uns sogar die Socken. Wir hörten dann, wenn wir da waren, auch heimlich Radio und wenn wir dann hörten, in der Luft waren englische Maschinen im Anflug auf Dresden und Berlin, dann wussten wir, wir hatten noch 20 Minuten Zeit, dann waren die bei uns. Sofort schnappten wir das Fahrrad und dann wieder schnell zurück in die Stellung, damit wir nicht auffielen.

Wir wurden dann, als die russische Front immer näher rückte, Anfang 1945 mit unserer Flakbatterie Kaliber 8,8 noch weiter verlegt zum Süden in die Tschechoslowakei verlegt. Man bezeichnete die Städte Dux (Duchcov), Brüx (Most), Komotau (Chomutov) als sogenanntes Dreistädte-Dreieck. Dort warteten wir auf unseren Einsatz. Wir wussten noch nicht wie es weiterging. Man merkte schon, es ging zu Ende – es ging zur Kapitulation. Wir lagen in einer Turnhalle auf Strohsäcken, uns fehlten der Schnaps und die Zigaretten und wir waren unzufrieden. Wir wussten, in Brüx war ein Zigarettengeschäft. Der Besitzer war Tscheche. Der hatte ab und zu ein bisschen Mitleid und gab uns mal ein oder zwei Zigaretten, uns jungen Burschen. Aber wir wussten, dass der noch mehr im Nebenraum hatte. Einer von uns ging in den Hausflur, in die Toreinfahrt, da hing der Stromkasten. Die anderen Zwei gingen in den Laden rein. In dem Moment schraubte der eine im Hausflur die Sicherung heraus. Das Licht ging aus, der Kollege im Flur lief weg. Wenn der Ladenbesitzer dann in den Hausflur lief, um die Sicherung wieder reinzudrücken, klauten wir dann hundert Dieterle Stumpen. Das war eine witzige Sache. Ich habe heute noch ein kleines Notizbuch, darin ist dieser "Mundraub" offiziell festgehalten.

Dann kriegten wir nach ca. 14 Tagen endlich Bescheid, wie es nun weiterging. Wir bekamen den Marschbefehl nach Berlin. Die Russen waren schon über die Oder rüber und marschierten Richtung Berlin. Unsere Einheit wurde offiziell aufgelöst. Während wir frustriert im Stroh einer Turnhalle lagen, stand unser Lehrer in der Mitte der Turnhalle auf blankem Stroh und verlas provisorische Zeugnisse. Es gab Zensuren der allgemeinen Beurteilung, denn wenn wir nicht an der Flak standen, hatten wir selbstverständlich Unterricht. Wir sagten: "Kannst du dir in den Arsch stecken!" Wir waren schon richtig auf Resignation, wir hatten keine Hoffnung, wir wussten auch mittlerweile: "Das war kein Zeugnis, das war um uns zu beruhigen!" Als wenn das was für uns bedeutet hätte... Man hatte uns ja versprochen, wenn der Krieg zu Ende sei und wir gewonnen hätten, würde Adolf Hitler bezahlen. Unsere ganze Zukunft wäre gesichert. Und dann kamen die mit Zeugnissen, obwohl wir dabei waren, den Krieg zu verlieren. Das durchschauten wir schon.

Dann kriegten wir den Marschbefehl. Wir sollten nach Berlin. Dort war ein großes Gelände, die Hermann Göring Kaserne. Wie gesagt, der Russe war schon über die Oder rüber und marschierte in Richtung Berlin. Wir sollten uns dort melden, und wir haben uns auch tatsächlich gemeldet in Berlin, wo ich dann Fahnenflucht begangen habe.

lo