> Helene Sprick: Könige müßten Philosophen sein und Philosophen Könige

Helene Sprick: Könige müßten Philosophen sein und Philosophen Könige

Ein Beitrag von Helene Sprick-Hierholzer (* 1912) aus Baden-Baden, 05.04.2000

Zwölf von den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren fast vergangen, als ich geboren wurde. Zwei weitere sollten noch in dem langen Frieden vergehen, bis ich mit dem Wort Krieg auch das Wort "Sieg" gehört haben muß. Ich verstand nichts davon, aber von dem Sieg, an den ich mich erinnere, bekam ich auch einen deutlichen Begriff: Auf dem Arm meiner Mutter hörte ich die Kirchenglocken läuten, der Himmel war blau und überglänzt vom Sonnenlicht. Die Wörter "Sieg", "Wir haben gesiegt" blitzten mit in der Sonne. In den folgenden Jahren erschien mir der Himmel, ohne daß ich mir dessen bewußt war, immer grauer. Ich hörte an der Hand meiner Mutter immer wieder in ihren Gesprächen die Sätze: "Der ist auch gefallen ....", "Der ist im Felde geblieben....". Am Ende des Krieges kam mein Vater heil zurück, in der Luft, in der Stimmung aber blieb das Grau Hintergrund, auch wenn es sich dann immer mehr aufhellte. Sparen, schonen und Sorgen wurden selbstverständlich. Da die Kindheit und die Jugend fast immer - auch in Notzeiten - ihre Freuden, ihren Übermut und ihr Vergnügen hat und leicht entbehren kann, was sie nicht kennt, lachte uns das Leben ins Gesicht. Aber wir bekamen auch einen Begriff von der wirklichen Not: An den Straßenecken standen die arbeitslosen jungen Männer oder Kinder aus elenden Familien und vom Krieg übrig gebliebene Krüppel. Ich konnte mir dies und das Verhalten vieler Menschen nicht erklären, ich litt bis in den Schlaf hinein an schrecklichen Träumen, an der Angst vor Gewalt und Rohheit. So blieb das Schwarz-Weiß der Geschichte immer über uns.

Es lichtete sich bei mir auch nicht, als die Nationalsozialisten allmählich auf den Plan traten. Als sie ihre Reden hielten, dann die Jugend organisierten, fing ich an, die in die Richtung Drängenden nach ihren Motiven zu fragen. Es konnte mich nicht verlocken oder mitreißen. Auch meine Eltern sahen zu viele Schwachstellen. Als ich in meinem ersten Studiensemester im Januar 1933 in Innsbruck im Krankenhaus lag, hörte, ich am 31. Januar, daß Hitler zum Reichskanzler gewählt worden war. "I bin a Hitler!" rief meine Bettnachbarin. Ich hielt sie für verrückt und albern. In meinem zweiten Semester in München fiel mir die Menge der in SA-Uniform gekleideten österreichischen Studenten auf. In meinem Freundeskreis tuscheltelten wir uns die neuesten schrecklichen Verse aus den SA-Liedern gegen die Juden zu. Wir hörten die Fastenpredigten des Kardinals Faulhaber und erlebten, wie ihm draußen laut zugejubelt wurde. In den Vorlesungen wehrten sich Philosophie- und Theologieprofessoren mit einigen deutlichen Sätzen gegen Anschuldigungen der Nationalsozialisten gegen sie.

Niemand ahnte etwas von dem Ausmaß an Gewalt und Terror, das sich damals vorbereitete. Auch die nicht, die man mahnen und warnen hörte. Ich war mit einigen Münchner Familien befreundet. Man politisierte so gut wie gar nicht. Aber mein Besuch bei einer Diplomaten-Witwe stürzte mich in die düsterste Stimmung: Sie hatte bei einem Gesandtschaftsessen neben wichtigen Politikern des Auslands gesessen und Meinungen gehört, die ein Gewitter am Himmel Europas aufsteigen sahen, das mit seinem Wetterleuchten die weitausgestreute Begeisterung für Hitler und sein Vorgehen gespenstisch beleuchtete, wenigstens immer wieder für mich. Viele Arbeitslose konnten ja in Hitler den Befreier begrüßen, viele in seinen bald erklärten Krieg ziehen in der festen Überzeugung, nach einigen Wochen wieder daheim zu sein. Dieser Glaube, der sich zunächst aus lauter eigensüchtigen Wünschen zusammensetzte und natürlich auch aus Not und Armut, der machte die Menschen zum Teil blind für die Wahrheit. Es fingen auch nüchterne, sachliche und intelligente Menschen an, Hitler zu bewundern, seine Erfolge anzuerkennen.

Erst als Hitler Rußland den Krieg erklärte und in dieses weite, weite Land einmarschierte, begann man umzudenken. Wer aus dem einfachsten Schulunterricht behalten hatte, wie es Napoleon dort ergangen war, mußte besorgniserregende Vorstellungen bekommen. Denn nicht nur die Erfahrung eines russischen Winters, sondern allein schon das geographische Bild dieses Landes mußte alle erschrecken. Mir kam dazu immer der Gedanke: Wie ein kleiner Schoßhund, der gegen einen Bären an will. Und politisch gedacht: Sollten wir dort siegen und Fuß fassen, wie wollte man das ganze Land regieren, besetzt halten und beherrschen? Wie können Menschen mit Verstand - und den hat ja jeder - sich so blenden lassen! Der Wunsch aufzuschauen zu einem Oberhaupt, einem Vorbild, zu der schützenden, behütenden, anregenden Macht steckt in den Menschen. Jeder wurde in dieses Netz der Entwicklung hineingeflochten und so auch fast jedes Land der Erde in den Krieg. Mein erster Mann ist über Prenzlau abgestürzt, aus einem brennenden Flugzeug abgesprungen, aber der Fallschirm entfaltete sich nicht mehr. Als Physiker bei einem Erpobungsflug mit 28 Jahren. Erprobt wurden die Flugzeuge für die Sturz- und Trudelflüge an der Front gegen den "Feind", den Feind, den es gar nicht gab, der nur hingestellt wurde, um Kampf- und Machtgier im Menschen zu wecken. Eine Gruppe von Menschen brachte es fertig, einen Weltbrand zu entfachen. Wie ist das möglich? "Könige müßten Philosophen sein und Philosophen Könige", so dachte Platon. Nur die Weisheit kann die Gerechtigkeit herbeiführen.

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