> Josepha von Koskull: Rassenpolitik und Judenverfolgung

Josepha von Koskull: Rassenpolitik und Judenverfolgung

Aufzeichnungen aus der Autobiographie von Josepha von Koskull (1898-1996) aus Berlin, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 98/501):


Im Jahr 1938 fielen erste düstere Schatten über das Leben. Meine besten Freunde waren Juden, ein Ehepaar Beermann, ich kannte Dr. Beermann seit 1924, er war der Verlagsleiter des "Berliner Börsen-Courier" gewesen, also mein Vorgesetzter, und seine Frau war ebenso lange mit mir befreundet. Sie hatte geheiratet, als schon die Lage für die Juden in Deutschland sehr schwer war, und sie waren nicht emigriert, weil die alte Frau Kommerzienrat Beermann nicht aus Berlin fort wollte, wo sie geboren war, und weil sie sich nicht von ihrer prachtvollen Wohnung und all ihren schönen Sachen trennen wollte. Dr. Beermann, der ein so guter Sohn war, wie man es in jüdischen Familien oft findet, blieb bei seiner Mutter.

Ich war sehr oft bei meinen Freunden in der Rankestraße zu Gast. Immer kleiner wurde der Kreis, der dort verkehrte, einer nach dem anderen wanderte aus. Eva Beermann hatte ein Töchterchen, das Kind war Engländerin. Eine englische Dame hatte Eva nach England eingeladen, als sie das Kind erwartete. So war die Kleine dort geboren worden; sie stand unter dem Schutz des englischen Konsuls. Das war den Eltern eine Beruhigung. [...]

Vom ersten Januar 1939 an waren meine jüdischen Freunde gezwungen, ihren Vornamen Fritz und Eva die Namen "Israel" und "Sarah" hinzuzufügen. Diese gemeine Maßnahme konnte sie nicht kränken, aber es war ein derartiger Eingriff in die allerpersönlichsten Rechte eines Menschen, der sich darin ausdrückte, daß die jüdischen Mitbürger ihre völlige Rechtlosigkeit einmal erkennen mußten. Nun begannen auch Beermanns, ihre Auswanderung zu betreiben. Ich begrüßte ihren Entschluß, so traurig es für mich war, so eine treue Freundin wie Eva zu verlieren. [...]

Frau Beermann bekam damals noch von ihrer in Los Angeles wohnenden Tochter, die schon im Jahre 1934 emigriert war, laufend Nachrichten und Paketsendungen und das erleichterte ihr das Leben. Auch von meinen Freunden in England hörte ich über diese Verbindung. Weihnachten 1939 ließ sich die alte Dame operieren, ich besuchte sie mehrmals während ihrer Krankheit im jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße. Sie hatte die Operation gut überstanden und erholte sich rasch. Am Heiligen Abend freute sie sich über den winzigen kleinen Tannenbaum, den ich ihr brachte, und über das Konfekt, das ich auf Marken bekommen hatte. Damals war die Versorgung im jüdischen Krankenhaus noch ganz gut und die besten Berliner Ärzte praktizierten dort, denn die jüdischen Ärzte durften "Arier" nicht mehr behandeln oder vielmehr die Arier durften sich nicht mehr in Behandlung bei jüdischen Ärzten begeben. Um sie schon auf ihren Arztschildern als Juden auszuweisen, mußten sie draußen an den von ihnen bewohnten Häusern hellblaue Emailleschilder anbringen, auf denen ihr Name unter einem Davidstern stand.

Im Herbst 1941 kam das abscheuliche Gesetz heraus, daß alle Juden den gelben Stern tragen mußten. Das "Dritte Reich" hatte schon vorher die Polen mit dem Abzeichen "P" gekennzeichnet, eine außerordentlich unpopuläre Maßnahme. Es handelte sich dabei um die Kennzeichnung jener aus Polen in das Reich verschleppter polnischer Arbeiter, die man aus ihren Häusern vertrieben hatte, um Platz für die "heim ins Reich" gekommenen Auslandsdeutschen zu schaffen. Man sah in den großen Städten nicht oft Polen, sie waren meist als Zwangsarbeiter auf den großen Gütern untergebracht worden oder in den Rüstungsbetrieben, wo sie in Lagern hinter Stacheldraht gehalten wurden. In katholischen Gebieten Deutschlands kam es oft vor, daß die Bauern und kleinen Besitzer den Polen besonders freundlich entgegenkamen, auch die katholische Geistlichkeit sah diese eifrigen Kirchenbesucher gern und ließ ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Das ärgerte natürlich die Partei und es wurde in Massenauflagen ein Flugblatt veröffentlicht, das jede Haushaltung im Reich und auch in Berlin durch einen Parteibeauftragten, meist den Zellenwart, zugestellt bekam.

Dieses Schmachdokument war vom Volksbund für das Deutschtum im Ausland herausgegeben und enthielt eine "Aufklärung" über die "Stellungnahme zur Frage der Polen im Reich". Es hieß darin unter anderem: "Das Volksreich kann nur dann ewigen Bestand haben, wenn jeder Deutsche in seiner Haltung volksbewußt auftritt ... Deutsches Volk, vergiß nie, daß die Greueltaten der Polen den Führer zwangen, mit seiner bewaffneten Wehrmacht unsere Volksdeutschen zu schützen! Der September 1939 hat auf volksdeutscher Seite in Polen achtundfünzigtausend Opfer gefordert." (Diese gänzlich verlogene Darstellung vom Ausbruch des Krieges mußte hier wieder herhalten!)

Weiter hieß es dann: "Angehörige dieses Volkes sind jetzt zu uns als Land- und Fabrikarbeiter und Kriegsgefangene gekommen, weil wir ihre Arbeitskraft brauchen ... Vor allem achtet darauf, daß nicht über den gemeinsamen Glauben Verbindungen angeknüpft werden. Unsere Bauern kennen den Volkstumkampf nicht und halten den polen, der sie ständig mit "Gelobt sei Jesus Christus" begüßt, für einen anständigen Menschen und antworten ihm "In Ewigkeit, Amen!". Polen, die nur mit den Kleidern, die sie auf dem Leibe hatten, ankamen, erhielten von ihren Bauern Wäsche und Kleidungsstücke. ... (Hierin liegt das Eingeständnis, daß man die Polen aus ihren Besitzungen, ihren Höfen und Häusern ohne alles Gepäck vertrieben hatte.) "Achtet darauf, ob die Polen lange Briefe nach Hause schreiben! Es sind aus Polen auf diese Briefe hin Lebensmittel geschickt worden, so daß man sich vorstellen kann, was der Pole nach Hause geschrieben hat." Als wenn man nicht auch in kurzen Briefen, ja mit einem Wort, um Lebensmittel bitten könnte!) "Gebt ihm kein bares Geld in die Hand!" (Also sollten die unglücklichen Polen recht wie Sklaven umsonst arbeiten!) Am Schluß dieser Flugblätter hieß es dann noch. "Deutscher! Der Pole sei niemals dein Kamerad! Er steht unter jedem deutschen Volksgenossen auf deinem Hof oder in deiner Fabrik. Vergiß nie, daß du Angehöriger des Herrenvolkes bist!"

Als dieses Flugblatt auch bei uns in der Wohnung lag, las ich es meiner Vermieterin Frau Schramm vor und sie sagte: "Pfui, werfen Sie es weg!" aber ich sagte: "Nein, das hebe ich auf, das ist ein Dokument der Schande, so etwas wird man später gar nicht glauben, wenn man es nicht schwarz auf weiß lesen kann."

Als nun der Judenstern eingeführt wurde, da gab es wiederum ein derartiges Flugblatt mit den abscheulichsten lügenhaften Beschuldigungen. Sie zu wiederholen, würde hier nicht am Platz sein, sie sind bekannt genug geworden. Auch dies Flugblatt liegt noch vor mir, und ich erinnere mich nur zu gut, wie es mich schmerzte, es zu lesen.

Goebbels hatte bei dieser Maßnahme auf einen mittelalterlichen Gebrauch zurückgegriffen. Damals mußten die Juden auch einen gelben Flicken am Gewand tragen. Es war am neunzehnten September 1941, als die Juden zum ersten Mal mit diesem Zeichen ihren Weg zur Arbeit antraten. Sie wurden in verschiedenen Rüstungsbetrieben, besonders bei Siemens, beschäftigt, waren dort in Gruppen zusammengefaßt und unterstanden deutschen Werksmeistern. Ich muß sagen, daß ich aus jüdischen Kreisen mehrfach bestätigt hörte, daß diese einfachen Handwerker sich anständig gegen die ihnen unterstellten Juden betragen haben. Eine Nichte der alten Frau Beermann arbeitete in einem kleineren Betrieb und hatte sowohl von den Vorgesetzten als auch von den anderen Arbeiterinnen nichts zu leiden. Sie ist später auch aus Berlin abtransportiert worden und verschwunden.

Die Menschen, die den so gekennzeichneten Juden begegneten, blickten sie an, neugierig, überheblich, manche auch beschämt. Es kam oft vor, sehr zum Ärger der Nazis, daß Juden in der Straßenbahn demonstrativ ein Platz angeboten wurde. Man steckte ihnen unbemerkt eine Schachtel Zigaretten zu oder Weißbrot, die sie nicht mehr kaufen durften. Es waren nicht viele, die den Mut zu solchem Tun aufbrachten, aber einige haben es doch getan.

Im Dezember fand sich in einem Brief aus New York ein Zeitungsausschnitt, ein Gedicht, das in einer New Yorker deutschen Zeitung erschienen war. Es lautete wie folgt:

Mein Orden.

Wollt man das Hakenkreuz mir reichen,
ich stieß es mit Entsetzen weg,
und deute auf mein Ehrenzeichen,
als Ritter vn dem gelben Fleck.
Schon unser Ahnherr hat's getragen,
mit seinem Herzblut voll durchtränkt,
auch lasset Euch von den Müttern sagen:
den gelben Fleck gab's nie geschenkt.
Kein Bonze konnt ihn je erwerben,
nicht Günstlingen ward er zuteil,
man durfte seinetwegen sterben,
doch für Verrat war er nicht feil.
Mögt ihr zwar weinend auf ihn schauen,
sei doch ein Leuchten in dem Blick;
Ihr Männer all und all Ihr Frauen,
zu Helden wählt euch das Geschick.
Grell zeigt er der Barbaren Tücke
und tut dem aug der Menschheit weh,
bis endlich doch der Welt zum Glücke
die "Neue Ordnung" einst ersteh.
Die Ordnung, die den Sieg des Bösen
niemals gefördert und gewollt ...
Sie wird von euch dies Zeichen lösen,
dem ihr so viele Tränen zollt!
Marg. Jacobson

Ich zitiere dieses Gedicht aus dem Gedächtnis, und ich glaube, der letzte Vers ist ziemlich frei wiedergegeben. Es war nämlich so, daß der Ausschnitt nicht in einem Brief lag, der durch meine Hände ging, sondern von einem anderen Prüfer gefunden wurde, der sofort eine Anzeige daraus machte und ihn so "befehlsgemäß" zur Kenntnis der Gestapo brachte. Ich aber lernte ihn rasch auswendig und schrieb ihn mir zu Hause auf, versteckte dann den Zettel, indem ich ihn mit einem Reißnagel an der Unterseite eines Tisches anpiekte, denn ich wollte ihn im Kreise meiner Freunde verbreiten. Die tröstliche Tendenz der Verse war sehr gut gemeint, aber der wirklichen Situation der Juden in Deutschland allerdings wenig gerecht werdend. Ich überlegte hin und her , ob dies Gedicht vielleicht doch den einen oder anderen der so schmachvoll behandelten Juden trösten könne - und dann schrieb ich es ab und nahm jeden Tag einen Zettel mit, wenn ich im Morgengrauen aus dem Haus ging zur Dienststelle. Ich sah, wo ein Schild eines jüdischen Arztes war, stieg die Treppen hinauf und steckte es ihm in den Briefkasten. Das tat ich systematisch eine Zeit lang, als auf meinem Weg zur Arbeit bereits alle Ärzte bedient worden waren, ließ ich die Zettel in de U-Bahn liegen, darauf vertrauend, daß sie schon irgendwer lesen und vielleicht mal darüber nachdenken werde.

Als ich im Dezember Frau Beermann besuchte, hörte ich von ihr, daß ein "Gedicht über den Judenstern aus einer amerikanischen Zeitung" sehr verbreitet sei, sie kannte es nicht auswendig, aber als ich es ihr aufsage, erkannte sie den Wortlaut. Es freute mich, hier der Gestapo ins Handwerk gepfuscht und den Text verbreitet zu haben.

Die alte Dame Beermann lebte in einer sehr netten Pension und hatte dort einen angenehmen Kreis von gebildeten und feinen Juden um sich. Ich besuchte sie meist am Sonntag vormittag nach dem Gottesdienst, ein Autobus brachte mich in wenigen Minuten bis zur Konstanzer Straße, und ich hatte dann gerade ein Stündchen Zeit, bei ihr zu sitzen und mit ihr zu plaudern. Um halb ein Uhr fuhr ich dann zum Mittagessen zurück nach Hause. Frau Beermann feierte im Herbst 1941 ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag in voller Gesundheit nach der gut überstandenen Operation und hatte einen Blumenflor und Geschenke und eine große Kaffeetafel für zwanzig Personen. Ihre Tochter konnte sie noch mit Sendungen aus Amerika unterstützen.

Einige Wochen darauf, im April 1942, ging ich wieder zu ihr, da sah ich zu meinem Entsetzen, daß das Schild der Pension von der Wohnungstür entfernt worden war. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte: die Gestapo hatte die Pension geschlossen wie schon so viele jüdische Privatpensionen! Mit zitternden Knien ging ich die Treppen hinunter. Sollte ich es wagen, den Portier zu befragen, wo die Bewohner der Pension geblieben waren? Wie, wenn er ein Parteimann war und sich dafür interessierte, was ich als "Arierin" in dem "Judennest" zu suchen hätte? Ich war so beunruhigt über das Schicksal meiner alten Freundin, daß ich es immerhin wagen mußte. Die Portierfrau war aber ganz freundlich und gab Auskunft. Die Schließung war erfolgt, weil ein hoher SS-Führer die sehr schöne große Wohnung für sich ausbauen lassen wollte. Frau Beermann war einige Häuser weiter zu ihrer Nichte gezogen, die dort ein möbliertes Zimmer bewohnte.

Als ich aus dem Hause trat, sah ich sie auf der Straße. Ich begrüßte sie und wollte mich nach ihrem Ergehen erkundigen, aber sie zog mich rasch in einen Hausflur: "Sie dürfen hier nicht mit mir stehen, ich trage doch den Stern!" flüsterte sie.

Frau Beermann zog dann mehrfach um. Die immer stärker werdenden Bombenangriffe, die häufigen Alarme setzten ihr furchtbar zu. Sie fürchtete sich so vor den Bomben und war so nervös bei den Alarmen. Die Juden durften in den Häusern, in denen sie überhaupt nach geduldet wurden, nicht in die Luftschutzkeller gehen, sie mußten in irgendeinem Kellerloch hocken und kamen sich dort ausgestoßen und dem Tode ausgeliefert vor, obgleich in Wirklichkeit die Luftschutzkeller bei dem Einschlag einer schweren Bombe auch keinen Schutz geboten hätten. Doch in den ersten Kriegsjahren waren ja die auf Berlin geworfenen Bomben noch nicht so schweren Kalibers. Im Vergleich zu dem, was wir später durchmachen mußten, waren die drei ersten Kriegsjahre sanft und ungefährlich.

Bei meinen Bekannten Gloedens gingen viele Juden aus und ein und Dr. Gloeden verschaffte ihnen, wie ich einmal von seiner Frau erfuhr, falsche Papiere. Die Juden mußten aber dazu einen Selbstmord vortäuschen, meist ließen sie ihre Kleider an dem Ufer eines Sees in der Umgegend von Berlin liegen und sorgten dafür, daß ein Judenpaß oder sonst ein Dokument dabei lag. Wenn dann die Polizei von dem Selbstmord Kenntnis genommen hatte, konnte der Jude sicher sein, nicht mehr gesucht zu werden. Gloeden konnte ihnen eine Zeitlang ungarische Pässe verschaffen, mit denen sie zu Fuß über Österreich nach Ungarn gingen.

Andere Juden wiederum "tauchten unter", das heißt, sie versteckten sich in Berlin oder in der nächsten Umgebung und lebten "illegal" bei Freunden. Sie hatten dann aber keine Lebensmittelkarten und waren immer in Gefahr, denunziert, erkannt oder bei einer Razzia gefaßt zu werden. Für diese "getauchten Juden" gab ich alles erübrigte Brot an Gloedens, die hatten Verwendung für jedes Stück. Wenn ich zu ihnen zum Bridgespielen fuhr, hatte ich immer ein Paket Brot oder auch Brotmarken bei mir. Das war damals nicht so schwer zu machen, denn die Versorgung war noch recht reichlich.

Im Herbst 1943 begannen die großen Verschickungen von Juden nach Theresienstadt, dort sollten sie in einem Ghetto untergebracht werden und die Parteileute verbreiteten die Mitteilung, es werde ihnen dort sehr gut gehen, kein Haar werde man ihnen krümmen. Anfangs wurde dies auch von den betroffenen Juden geglaubt, sie klammerten sich an die Hoffnung, man werde menschlich mit ihnen verfahren. Als im September 1943 Frau Beermann längere Zeit nichts von sich hatte hören lassen - sie schrieb mir sonst dazwischen einen Brief, wann ich sie aufsuchen könnte und wo sie wohnte, denn sie zog viel um und jedes Mal war das Zimmer enger und sie teilte es zuletzt mit einer anderen jüdischen Dame - da ich also längere Zeit nichts von ihr gehört hatte, machte ich mich auf den Weg, sie aufzusuchen. Zwar wußte ich nicht genau, wo sie wohnte, doch ich fragte in der letzten Wohnung, in der ich sie besucht hatte, und man gab mir die Adresse.

Mit einem Strauß Herbstastern und etwas Konfekt stieg ich die Treppen hinauf und klopfte an der bezeichneten Wohnungstür. Ich kam zu Frau Beermann, als sie eben dabei war, ihre Habseligkeiten, die letzten Besitztümer dieser ehemals so wohlhabenden Frau, zu verschnüren, denn am nächsten Morgen sollte der Transport nach Theresienstadt abgehen. Es war für mich ein entsetzlicher Augenblick, als ich das erfuhr. Ich wußte, ich würde später ihrem Sohn von diesem letzten Zusammensein mit seiner so geliebten alten Mutter erzählen müssen. Es war ein Herr von der jüdischen Gemeinde bei ihr, der ihr half. Sie durfte nur wenig mitnehmen, darunter sollte aber auch ihre wunderbare seidene Daunendecke sein. Alle ihre Habseligkeiten, auch die Wäsche, mußte vorschriftsmäßig mit einem Namensstempel gekennzeichnet werden. Es tat ihr recht leid, die schöne Decke so zu verunzieren.

Ich sah meine Blumen mitten unter den Gegenständen stehen, die sortiert wurden. Ich saß still in einer Ecke des kleinen Zimmers und weinte, Es war so maßlos beschämend, dabei zu stehen und nicht helfen zu können. Dann trug mir die alte Dame Grüße an ihre Kinder auf. Ich küßte sie zum Abschied und sie gab mir ihren Segen - den Segen einer Todgeweihten, wie ich wohl ahnte. Sie selbst hatte keine Furcht. Ihre Zimmergenossin aber hatte sich vor einigen Tagen aus dem Fenster gestürzt.

Wie oft gehe ich an dem bei einem Bombenangriff ganz ausgebrannten Haus in der einst so eleganten Rankestraße vorüber und schaue hinauf nach den Fensterhöhlen, hinter denen so viele Jahre hindurch meine lieben Freunde wohnten; es ist mir unendlich wehmütig, jener Tage zu gedenken, da ich in ihrer Familie so liebevoll aufgenommen war.

lo