> Kurt Elfering: Letzte Kriegstage im Heiligenbeiler Kessel in Ostpreußen 1945

Kurt Elfering: Letzte Kriegstage im Heiligenbeiler Kessel in Ostpreußen 1945

Dieser Eintrag stammt von Kurt Elfering (1922-2014) aus Schwerte, Juli 2010:

/lemo/bestand/objekt/elfering01 Meine Militärzeit begann im April 1942 mit der Einberufung zur Luftwaffe - und zwar zum Fliegerhorst Quedlinburg zur Luftwaffen-Erdkampfausbildung. Danach erfolgte die Kraftfahrer-Ausbildung (Führerschein aller Klassen) in Berlin-Marienfelde, anschließend wurden wir zum Fliegerhorst Anklam verlegt und von hier nach einigen Tagen zur Division "Hermann Göring" (HG) versetzt. Es ging weiter nach Pontivi in Westfrankreich, hier lief das Kommando "Gruppe Neuaufstellung HG" ab. Dann wieder per Bahn nach Berlin, wir landeten in der HG-Kaserne in Reinickendorf. Hier bekamen wir unsere Tropenausrüstung und unsere Fahrzeuge - und wir unterschrieben nach reiflicher Überlegung die Freiwilligenerklärung. Es hieß nämlich, dass die Nichtfreiwilligen zu den Luftwaffeneinheiten zurückversetzt würden. Somit waren wir unfreiwillige Freiwillige.

Über Quedlinburg ging es Frühjahr 1943 nach Mont de Marsan in Südfrankreich. Hier landete ich beim Brigadestab ZBV Oberst Schmalz als Kradmelder bei der Q-Abteilung. Da Tunis im Mai kapitulierte, kamen wir nur bis Sizilien. Mit Siebelfähren ging es zurück nach Reggio, Neapel, Salerno, Frosinone. Von Frascati wurden wir zur Auffrischung in die Toscana verlegt. Hier übernahm Oberst Schmalz die Division und wurde General. Uns nahm er mit zum Divisionsstab. Dann der Durchbruch der Alliierten bei Cassino, wir wieder runter nach Rom, Rückzug bis Bologna und wieder nach Arrezo. Bei Florenz Abzug zum Gardasee und anschließend Verlegung nach Polen. Im Juli 1944 trafen wir in Warschau ein, von dort ging es nach Radom und Modlin (Bugmünde). Hier erfolgte die Umstellung zum Fallschirm Panzerkorps "Hermann Göring". Im Oktober 1944 ging es nach Ostpreußen, Raum Gumbinnen Insterburg.

Am 13. Januar 1945 begann die russische Großoffensive in Ostpreußen, die ich im "Heiligenbeiler Kessel" miterlebte. Eigentlich war ich als Kradmelder eingesetzt. Zum Schluss war die Lage aber so, dass man keine Kradmelder mehr brauchte. In Ludwigsort wurde unser alter Haufen aufgelöst, und wir wurden den Kampftruppen zugeteilt. Ich landete bei einer Pioniereinheit. Wir machten uns unter Artillerie- und Granatwerferbeschuss zu Fuß auf den Weg nach Bladiau. In zwei Kilometern Entfernung neben uns, auf der Straße von Lank nach Bladiau, befanden sich die Russen - ebenfalls auf dem Vormarsch nach Bladiau. Wir konnten diese Bewegungen sogar teilweise beobachten. Wir schafften es aber noch so eben, vor den Russen den brennenden Ort zu erreichen. Die Ortschaft brannte lichterloh, und die Kirche stürzte krachend zusammen. Es war Anfang März, und das Wetter war eine Mischung aus Winter und Tauwetter. Ein Matsch ohne gleichen!

Während wir uns hinter Bladiau festsetzten und die Verteidigungslinie wieder festigten, besetzte der Russe Bladiau. Wir lagen nun neben einer gesprengten Straßenbrücke in einer längeren Mulde, die uns vermeintlich gute Sicherheit bieten würde - meinten wir! Am ersten Tag tat sich noch nicht viel. Bis auf Artillerie- und Granatwerferfeuer war noch einigermaßen Ruhe. Die Russen ließen sich eigenartigerweise auch noch Zeit. Die Schießerei allerdings steigerte sich zusehends. An der linken Seite machte unsere Mulde einen kleinen Knick um die Ecke. Hier befand sich in der Böschung ein kleiner Erdbunker, der vier Landser aufnehmen konnte. Er lag sogar im toten Winkel der Artillerie. Hier suchten wir Ruhe, wenn wir mal schlafen wollten. Als ich mich wieder mal dorthin begab, hörte ich eine Stimme, die nur aus dem Dortmunder Raum stammen konnte. Als ich näher hinhörte, kam sie mir sogar bekannt vor. In der Dunkelheit fragte ich dann den Mann, ob er aus Dortmund sei. Als er zusagte, fragte ich direkt, ob er früher bei der Firma Pohlschröder gearbeitet hätte. Als er dieses bejahte, sagte ich ihm, dass er Willi Gunkel sei, und dass wir gemeinsam dort die Lehre gemacht hätten. Jetzt verließen wir den Bunker und stellten fest, dass es so war.

Jetzt gab es wieder allerlei zu erzählen. Die anderen Landser guckten uns komisch an und waren offensichtlich verwundert. So hatten wir uns auf einmal an der Front in einem Bunker zufällig wiedergetroffen. Auf einmal mussten wir die Bunkerecke der Mulde räumen und uns mehr Im Brückenbereich einnisten. Der Bunker wurde nun von anderen Landsern in Besitz genommen. Plötzlich waren neben uns zwei russische Panzer (T 34) durchgebrochen und kurvten hinter uns herum. Da wir keine Panzerabwehrwaffen hatten, außer Panzerfäusten, konnten wir gar nichts machen. Bei ca. achtzig Metern Entfernung konnten wir nur ganz ruhig bleiben und uns nicht bemerkbar machen. Die Russen hatten wahrscheinlich gar nicht bemerkt, dass diese Mulde noch von uns besetzt war. Der besagte Bunker, der sich um die Ecke befand, war zwar im toten Winkel der Artillerie, jetzt aber war er im freien Blickfeld der beiden Panzer.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund drehte ein Panzer sein Geschütz in unsere Richtung und feuerte eine Granate ab. Diese traf direkt den besagten Bunker. Danach drehten die Panzer ab und entschwanden wieder hinter einer kleine Höhe zu ihren Linien. Die vier Landser, die sich noch in dem Bunker befunden hatten, waren natürlich auf der Stelle zerfetzt und tot. Es konnten nur noch die vier Erkennungsmarken geborgen werden. Jetzt kamen natürlich schwere Gedanken auf. Welche Wege doch manchmal das Schicksal geht! Zuerst der Ärger, dass wir den vermeintlich sicheren Bunker verlassen mussten, und nun die große Sprachlosigkeit über die katastrophale Zerstörung dieses Bunkers!

Wir lagen aber nach wie vor im Bereich der gesprengten Brücke und kämpften unter Dauerbeschuss mit den Widrigkeiten des Wetters. Aus Sicherheitsgründen lagen wir nur in unseren Löchern. In den Nächten hatten wir dauernd Frost. Am Tage schien die Sonne und sorgte für Schlamm und Matsch. Plötzlich wurde Willi Gunkel durch Granatsplitter am Knie verwundet und wurde in der nächsten Nacht mit dem Versorgungswagen zum Verbandplatz gebracht (er ist übrigens noch aus dem Heiligenbeiler Kessel herausgekommen und hat den Krieg überlebt).

Bei uns näherte sich die Lage auch dem Ende. Eines Tages am Nachmittag lagen wir mit unseren Waffen, Karabinern, Handgranaten und Panzerfäusten in unseren Löchern oberhalb der Mulde und harrten wie immer der Dinge, die da kommen würden. Wir lagen etwa 6 Meter von der Straße entfernt hinter einer Baumreihe. Plötzlich rollten auf der Straße von Bladiau acht Panzer auf uns zu, alle mit großen Abständen hintereinander: Sieben T 34 und ein Stalinpanzer mit aufgesessener Infanterie! Unser vorgeschobener Maschinengewehrposten, zwei Landser, wurden im Handumdrehen gefangen genommen. Da die Panzer unbegreiflicher Weise alle hintereinander fuhren, war es ein Leichtes, sie alle konzentriert mit der Panzerfaust abzuschießen. Die ersten wurden fast bis zur Brücke durchgelassen, so dass drei Panzer auf einmal erfasst werden konnten. Die aufsitzenden russischen Infanteristen sprangen gleich ab und entfernten sich wieder nach hinten. So gelang es uns, den Angriff abzuwehren und die Panzer zu vernichten. In der Nacht geschah etwas Unglaubliches. Als wir alle wieder in unseren Löchern waren, hörten wir wieder Panzer anrollen. Da wir nun aber keine Abwehrwaffen mehr hatten, blieben wir ganz ruhig und erlebten gar seltsame Dinge. Es waren keine Panzer, die da anrollten, sondern Bergungsfahrzeuge, die ungeniert vor unseren Augen die noch verwertbaren Reste der abgeschossenen Panzer zurückschleppten. Sie hatten offensichtlich nicht vermutet, dass wir noch in unserer Stellung waren. Wir waren natürlich in greifbarer Nähe mucksmäuschenstill und wagten kaum zu atmen. Als es dann hell wurde, waren nur noch die ausgebrannten Reste der Panzer vorhanden.

Trotzdem hatte sich in der Nacht allerlei getan. Seitlich waren die Russen durchgebrochen und hatten schon unseren Regimentsgefechtsstand, einen zerschossenen Gutshof, eingenommen. Als wir uns dann am frühen Morgen zu zweit unter starkem Beschuss dorthin zurückziehen wollten, stiegen aus den Löchern russische Soldaten und richteten ihre Maschinenpistolen auf uns. In dem Augenblick, als wir die Maschinenpistolen auf uns gerichtet sahen, gab es einen totalen Filmriss, und ein neuer Film nahm Besitz von uns. Es folgte das Übliche: Entwaffnung, Filzung und so weiter. Im Handumdrehen hatten wir nichts mehr. Unsere Stiefel wurden mit russischen Stiefeln getauscht. Von unserer Einheit trafen wir nur sechs Mann wieder. Jetzt, am 17. März 1945, waren für uns die Kampfhandlungen beendet. Für mich war der Krieg vorbei. Aus der Gefangenschaft aber kehrte ich erst im Mai 1948 zurück.

lo