> Marietta Siebeke: Paul Ludwig Landsberg 1901-1944 - ein Exilkrimi

Marietta Siebeke: Paul Ludwig Landsberg (1901-1944) - ein Exilkrimi

Dieser Eintrag stammt von Marietta Siebeke (msiebeke@yahoo.com), April 2001:

Im Jahr 1943 rollt ein Zug mit französischen Gefangenen über Drancy und Compiègne nach Berlin. Ziel ist das Konzentrationslager Oranienburg - Sachenhausen und weiter das Zweitlager Heinkel - Oranienburg. Unter den Gefangenen ist der französische Arzt Paul Richert. Als nazifeindlicher Elsässer war er denunziert und von der Gestapo verhaftet worden. Doch hier irrte sich die Geheimpolizei, denn hinter diesem Namen verbarg sich der aus Deutschland geflohene Jude Paul Ludwig Landsberg. Seine wahre Identität wurde nie entdeckt.

Mit seiner Verhaftung im März 1943 endete eine abenteuerliche Flucht durch die Schweiz, Spanien und Frankreich, die dem jungen Mann so nicht vorherbestimmt schien.

Paul Ludwig Landsberg wurde in Bonn im Jahre 1901 als zweiter Sohn des Rechtsprofessors Ernst Landsberg geboren, der als erster Jude 1914 zum Rektor der Universität gewählt worden war. Dieser ließ seine beiden Söhne protestantisch taufen, während er und seine Frau Anna am jüdischen Glauben festhielten. Der ältere Sohn Erich fiel 1916 als Kriegsfreiwilliger, im Alter von 19 Jahren.

Nach dem Abitur studierte Paul Ludwig Landsberg Philosophie in Freiburg, Berlin und Köln, wo er 1923 sein Examen ablegte. Nun folgten die weiteren Schritte in der universitären Laufbahn: 1928 die Habilitation, 1930 Privatdozent für Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt. Nach dem Tod des Vaters 1927 blieb er seiner Mutter eng verbunden. Er nahm regen Anteil am unruhigen politischen Geschehen der Weimarer Republik. Seit seiner Schulzeit war er fasziniert von den Ideen Karl Marx. Er lehnte die immer stärker werdende Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ab; nicht weil er Jude war, sondern aus Sorge um die politische Freiheit. Sein Engagement gegen die Nazis blieb diesen nicht verborgen. Ein ehemaliger Schüler warnte den früheren Lehrer. Er hielt dessen Dossier zurück, hin und her gerissen zwischen der Loyalität zu der neuen Partei einerseits und dem verehrten Dozenten andererseits.

Landsberg entschloß sich zur Flucht am 1. März 1933, vier Tage vor der entscheidenden Reichstagswahl, die Hitler endgültig die Macht sicherte. Schweren Herzens ließ der Flüchtling seine Mutter zurück. Er wurde begleitet von seiner Verlobten Magdalena Hoffmann, einer promovierten Philosophiestudentin. Sie stammte aus katholischem Elternhaus, über alle konfessionellen Grenzen hinweg heirateten die beiden im Juli 1933 in Zürich.

Doch Paul Ludwig Landsberg drängte es weiter, das Leben in der Schweiz bot ihm keine Möglichkeit, als Universitätslehrer tätig zu sein. So gingen die Landsbergs nach kurzem Aufenthalt in Paris nach Spanien. Er folgte einem Ruf an die Universität von Barcelona im Jahr 1934 und später an die Universität Santander.

Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges zwang sie erneut zur Flucht, wieder nach Paris. 1937 erhielt Landsberg eine Professur an der Sorbonne. Er beteiligte sich aktiv an den gegen Hitler gerichteten Bestrebungen der deutschen Exilanten in Paris. So arbeitete er eng mit dem kommunistischen Verleger Willi Münzenberg zusammen. Er publizierte auch in der Zeitschrift für Sozialforschung des ebenfalls nach Paris emigrierten Max Horkheimer. Aber er gewann auch viele französische Freunde, so vor allem den Philosophen Jean Lacroix, der die linksliberale katholische Zeitschrift "Esprit" herausgab.

Auf Vermittlung dieser französischen Freunde wurde er 1939 vor der ersten Internierungsverfügung für alle deutschen Männer in Frankreich bewahrt. Aber die zweite Internierungswelle, die nun auch die Frauen betraf, erfaßte das Ehepaar Landsberg. Sie wurden in getrennte Lager verfrachtet, Paul Ludwig in die Bretagne, seine Frau Magdalena nach Gurs bei Pau im Süden Frankreichs.

Die deutschen Truppen und mit ihnen die Gestapo drangen nach der Kapitulation Frankreichs immer weiter vor. Viele der Internierungslager wurden den Deutschen übergeben, so auch das bretonische Lager, wohin Pau Ludwig Landsberg deportiert worden war.

In buchstäblich letzter Minute gelang ihm und einigen anderen die Flucht über die Mauer des Lagers. Ein Polizeipräfekt hatte ihm zuvor einen französischen Paß auf den Namen Paul Richert, Arzt, ausgestellt, Herkunft: Elsaß. Mit dem Fahrrad fuhr Landsberg quer durch das besetzte und "freie" Frankreich, auf der Suche nach seiner Frau. Einige Wochen verbrachte er in Lyon bei seinem Freund Jean Lacroix, aber es drängte ihn weiter. Die Möglichkeit einer sofortigen Ausreise nach Amerika, die ihm Freunde verschafft hatten, lehnte er ab. Ohne seine Frau wollte er nicht gehen, obwohl sie als "Arierin" nicht so gefährdet war wie er. Schließlich fand er sie in Pau, schwer erkrankt. Sie hatte im Lager Gurs einen Nervenzusammenbruch erlitten und war nicht reisefähig. Wider allen Rat blieb er in Pau, obwohl seine wahre Identität sich nicht geheimhalten ließ. Als sich Magdalenas Zustand besserte, beschloß er, nun die für die Ausreise nach Amerika erforderlichen Papiere zu besorgen. Seine Freunde warnten ihn vor einer Razzia der Gestapo, und er wollte den letzten Zug nehmen. Zu spät: der Zug war schon abgefahren. Landsberg beging den fatalen Fehler, in sein Hotel zurückzukehren. Dort wurde er am nächsten Morgen verhaftet, denunziert von einem Franzosen als deutschfeindlicher Elsässer.

Die Gestapo hatte ihn eingeholt, es folgte das langsame Hinsterben im Konzentrationslager. Gequält, gedemütigt und ohne ausreichende Nahrung erkrankte er schließlich an Tuberkulose. Seine Freunde, selbst am Rande des Todes, versuchten ihm zu helfen. Doch vergeblich, er starb am Pfingstsonntag des Jahres 1944 an Auszehrung und Entkräftung im Krankenbereich des Konzentrationslagers.

Und seine Frau Magdalena, die sich nun Madeleine nannte? Im Oktober 1947 kehrte sie nach Deutschland zurück, nachdem sie ihre geistige Gesundheit zunächst zurückgewinnen konnte. 1948 wandte sie sich an die Stadt Bonn und den Rektor der Universität und erreichte eine Gedenkfeier mit feierlicher Enthüllung eines Gedenksteins auf dem Familiengrab ihres Mannes in Bonn. Anna Landsberg konnte nicht mehr an dieser posthumen Ehrung ihres Sohnes teilnehmen. Sie hatte im Mai 1938 Selbstmord begangen, als die deutschen Behörden ihr einen Paß für einen Besuch bei ihren Geschwistern in der Schweiz und ihrem Sohn in Frankreich verweigerten.

Madeleine Landsberg kehrte nach Frankreich zurück, die weiteren Stationen ihres Lebensweges waren Bordeaux und Paris. Sie war verbittert und voller Haß auf "die Deutschen", die ihr den geliebten Mann genommen hatten. Sie konnte die Vergangenheit nicht verarbeiten, im Gegenteil: die Vergangenheit verschlang sie. 1952 kehrte sie wiederum nach Deutschland zurück, ihre finanziellen Verhältnisse zwangen sie dazu. 1953 wurde sie unter staatliche Pflegschaft gestellt, ihr Geist war nun völlig umnachtet. Aus der hübschen und erfolgreichen Philosophiestudentin war eine gebrochene Frau geworden. 1954 starb sie an Herzversagen in einer Nervenheilanstalt.

Und die ehrende Gedenkplakette für Paul Ludwig Landsberg auf dem Bonner Friedhof? 1963 wurde das Familiengrab in Bonn aufgelöst, die Urnen der Eltern Landsberg nach Bedburg, der Geburtsstadt Anna Landsbergs überführt. Auf dem Grab ihres Bruders Paul Silverberg, Ehrenbürger der Stadt, fanden die Urnen ihre Ruhestätte. Die Gedenkplakette für Paul Ludwig Landsberg ist seitdem verschwunden.

Doch das war noch nicht die letzte Station der Familie Landsberg. 1967 mußte der Friedhof dem Braunkohletagebau weichen. Als Ehrenbürger der Stadt erhielt Paul Silverberg ein neues Ehrengrab auf einem neuen Friedhof. Jetzt verliert sich die Spur der Urnen von Anna und Ernst Landsberg, nur vier Gedenktafeln erinnern noch an die Mitglieder dieser bemerkenswerten deutschen jüdischen Familie.

lo