> Werner Mork: Kriegsalltag 1939

Werner Mork: Kriegsalltag 1939

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Juli 2004:

Nach Kriegsbeginn lebten meine Familie, Freunde und ich doch weiterhin ein ganz angenehmes, freudvolles und auch ganz friedliches Leben. Das zwar "etwas" veränderte Leben mit Bezugscheinen und Lebensmittelmarken brachte gewisse Einschränkungen, die aber fast ohne Murren hingenommen wurden. Das alles war eher als spannend anzusehen, denn als ein quälender Verzicht. Wir empfanden das alles nicht als so schlimm, vor allem auch, weil wir davon überzeugt waren, dass das alles bald vorüber sein würde. Der doch siegreich verlaufende Krieg wird alsbald zu Ende sein. Die Gegner im Westen würden nun, nach der Niederlage der Polen, wohl kaum noch gewillt sein, Krieg gegen Deutschland zu führen. Polen war verloren, dieser Staat existierte nicht mehr. Russland und Deutschland hatten Polen wieder geteilt und sich das genommen, was schon früher zu ihnen gehört hatte. Der Westen musste das nun wohl oder übel anerkennen, und damit auch die geschaffenen Fakten akzeptieren. Jetzt noch weiter Krieg gegen uns zu führen, wäre doch völlig irreal. Im übrigen deutete doch das Verhalten der Franzosen an der Grenze im Westen ziemlich eindeutig darauf hin, dass es so kommen würde.

Der Krieg im Westen war kein Krieg und was jetzt noch geschah, war wohl nur, die erforderliche Schamfrist vergehen zu lassen. Eine Schamfrist, die notwendig war, nachdem man den Polen nicht mit Taten geholfen hatte, sondern nur großsprecherische Reden und Worte in die Welt hatte hineintönen lassen. Was jetzt an der Westgrenze geschah, war eigentlich ein direkt gemütlicher Krieg, der doch deutlich machte, dass die Franzosen keinen heißen Krieg wollten.

Meine Mutter hatte eines Tages davon gehört, dass die Firma Anton Bruns in Vegesack eine zusätzliche Angestellte für den Verkauf von Textilien suchte, das war noch vor Ausbruch des Krieges. Sie führte daraufhin aus "eigener Initiative" ein Gespräch mit dem Juniorchef der Fa. Bruns, ergriff mal wieder ihre sehr eigenen Maßnahmen und erreichte, dass meine Freundin Ilse nun in Vegesack tätig war. Das Unternehmen hatte in Vegesack einen guten Ruf. Vor allem unter dem Seniorchef Anton Bruns. Jetzt, zu Beginn des Krieges, wurde der Verkauf von Textilien mit den ausgegebenen Bezugsscheinen "geregelt", und das ergab nun für Ilse im Laden von Bruns erhebliche Probleme mit den Kunden, die das noch nicht verstehen konnten, die mit diesem System noch nicht fertig wurden. In der Zeit bei Bruns wurde auch Ilse im Betrieb eingesetzt für die obligatorisch gewordenen Nachtwachen im Rahmen der Luftschutzbestimmungen. Das nahm aber dann ein Ende, weil Ilse dienstverpflichtet und zum SHD eingezogen wurde, um als Hilfsschwester Dienst zu tun, und das dort, wo auch mein Vater seinen Dienst versah, in der Alt-Aumunder Schule, dem Quartier des SHD für Bremen-Nord. Somit wurde auch Ilse zum Kriegsdienst verpflichtet, wenn auch nur als Hilfsschwester in der Heimat, was aber gut für sie war, weil sie dadurch nicht, wie viele andere junge Mädels Hilfsdienste in der Wehrmacht verrichten musste. Mein Freundeskreis hatte 1939 ein neues Domizil gefunden, das war ein, in Vegesack vor allem von Vegesacker Honoratioren frequentiertes Lokal mit einem bürgerlichen Ambiente Dieses Lokal war aber von der bisherigen Chefin, einer Witwe, dem im Hause tätig gewesen Kellner übergeben worden, der infolge "besonderer Umstände" ihr Schwiegersohn wurde. Das war wohl keine reine Freude gewesen, aber das Kleinstadtgeschwätz erst recht nicht und so gab es nun einen Schwiegersohn, der zum Junior-Chef des Lokals avancierte. Das bürgerliche Ambiente litt dann wohl etwas darunter, aber der junge Mann, wollte sowieso ein auch junges Publikum haben, mit dem dann ein anderes Leben ins Lokal einkehren sollte. Und so kam es, die Jugend hielt Einzug und unser Freundeskreis war mit dabei. Hinzu kamen auch einige Angehörige, der in Grohn stationierten Flak und es ergab sich ein Kreis, der sich trefflich amüsierte.

Dieses Vergnügen erweiterte sich dann mit dem Spielen eines verbotenen Glückspiels, dem Spiel 17 und 4.Dieses verbotene Glücksspiel spielten wir, auch ich war dabei, im Hinterzimmer des Lokals, schön abgeschottet von den übrigen Gästen, wir machten dabei auf "geschlossene Gesellschaft." Es waren nicht gerade kleine Einsätze, mit denen wir dort "spielten". Dass ich einer von den Spielern wurde, das "verdankte" ich meinem Freund Heinz Möhring, der dem Spiel schon ziemlich heftig verfallen war. Aber auch die Kameraden von der Flak waren sehr eifrige Spieler, wie aber auch der Herr Wirt selber. Es war nicht gut, was wir dort trieben, und es war überhaupt nicht gut, dass ich eines Abends einen Schuldschein ausstellen musste, um entstandenen Spielschulden zu bezahlen. Das sollte dann aber für mich der Anlass sein, nicht mehr mitzumachen; ich stieg aus, ich wollte nicht länger mit dem Risiko und möglichen weiteren Schulden etwas zu tun haben. Auch wenn ich deswegen als ein möglicher Feigling galt. Im letzten Moment schaffte ich es, mich aus diesem schon sträflichen Jugendleichtsinn zu lösen und nicht vollends dem gefährlichen Spiel zu verfallen. Das alles geschah im Krieg und trotz Krieg. Auch trotz des damals noch seltenen Fliegeralarms, der von uns (noch) nicht als etwas Schlimmes empfunden wurde. Wenn ich bei Alarm in meiner Kammer war, dann machte ich die Dachluke auf, um hinauszuschauen, so als ob das alles nur ein Spiel war, eine Abwechslung im sonstigen Geschehen.

Wir, in unserem Freundskreis gehörten zu den Halbstarken der damaligen Zeit, die es trotz NS-Zeit gab, die sich auf ihre Weise amüsierten, die sich dabei nicht um die Partei oder die HJ kümmerten. Unser Herr Wirt, der Mitspieler bei 17 + 4, war sogar Parteigenosse. Aber gemeinsam mit ihm taten wir bei ihm das, was per Gesetz verboten war. Es war ein Wunder, dass uns die Polizei nicht erwischt hat, wir wären dann sehr übel dran gewesen. Aber der Herr Wirt, hatte gute Beziehungen, die sich auch darin ausdrückten, dass wir sehr uns sehr oft, bis weit über die zugelassene Polizeistunde hinaus in seinem Lokal aufhalten konnten. Nicht nur beim verbotenen Glücksspiel, sondern auch bei Wein, Weib und Gesang. Die Polizei trat nie in Erscheinung. Ich fühlte mich eine ganze Weile sehr wohl in diesem Umfeld, bis ich dann, nach meiner Pleite im Glücksspiel nicht mehr dort sein wollte. In meinem irren Leichtsinn hatte ich über meine Verhältnisse gespielt, dabei hoch verloren und musste dann einen Schuldschein ausstellen, dessen Einlösung mir sehr schwer fiel. Das war eine heilsame Lehre, die mich noch gerade rechtzeitig wieder zur Vernunft brachte. Ich sackte nicht ab in diesen Strudel, bis ich dann beim Militär doch noch einmal mitmachte bei 17 und 4, um dann auch noch einmal gründlich auf die Nase zu fallen und dann war es endgültig aus und vorbei mit der Glückspielerei. Es war mir gelungen, mich an den eigenen Haaren aus dem Spielersumpf herauszuziehen, keinen weiteren Schaden zu nehmen.

So seltsam es auch klingt, aber es war so, dass der Krieg uns (noch) nicht sonderlich tangierte, wir empfanden ihn (noch) nicht als eine unzumutbare Belastung. Die eingetretenen Veränderungen waren zwar nicht sehr angenehm, die lästige Verdunkelung, die Bezugsscheine, die Lebensmittelkarten und die Benzinrationierung. Die nicht kriegswichtigen Autos, vor allem die im privaten Besitz befindlichen PKW's waren stillgelegt worden und die noch zugelassenen Autos bekamen einen roten Winkel auf dem Nummernschild, der sie berechtigte, Benzin zu tanken aber nur im Rahmen der freigegebenen Mengen. Alle Einschränkungen und Beschränkungen waren nicht angenehm, aber das wurde ertragen, weil "man" überzeugt war von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen, die aber sicher nicht von langer Dauer sein werden, weil der Krieg bald zu Ende sein wird. Wir alle waren noch Optimisten und wurden in unserem Optimismus bestärkt durch die einmaligen Erfolge unserer Wehrmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft! Der Feldzug in Polen war siegreich beendet, die Front im Westen war und blieb ruhig dank des starken Schutzes der deutschen Soldaten, die im Westwall ein unüberwindbares Hindernis waren, dass die Franzosen niemals überwinden würden, weil zu stark und zu mächtig. Stolz waren wir auf unsere Marine, vor allem auf unsere U-Boote!

Täglich kamen in den Sondermeldungen vom OKW, die tollen Berichte über die großartigen Erfolge unserer U-Boote und ihrer tapferen Besatzungen. Darauf waren wir stolz ohne darüber nachzudenken, dass hierbei nicht nur Material vernichtet wurde, sondern dass auch Menschen zu Tode kamen, Menschen, die doch keine Soldaten waren. Die furchtbare Schrecklichkeit des Sterbens kam uns noch nicht zu Bewusstsein. Auch noch nicht das Sterben der Menschen bei uns im Reich. Es gab noch keine der grauenhaften Bombenangriffe auf unsere Städte. Gab es mal Fliegeralarm, dann waren die feindlichen Flugzeuge meistens nur Aufklärer, oder einzelne Maschinen die "mal" Brandbomben abwarfen, die noch keinen besonderen Schaden anrichteten. Bei diesen Alarmen gab es dann das "Spiel" der Scheinwerfer am Himmel, das Schießen der Flak und das war es dann meistens. Das geschah immer in der Nacht, und am nächsten Tage schauten wir dann auf der Straße nach möglichen Flak-Splittern, die aufgesammelt und stolz herumgezeigt wurden. So naiv waren wir noch in der Zeit.

Wie grauenhaft das aber für uns alle noch werden sollte, das konnten wir nicht wissen und nicht einmal ahnen. Auch, weil unsere militärischen Erfolge doch so groß waren. Das deutsche Volk war überzeugt von seiner einmaligen Kraft und Stärke, voll Vertrauen auf den Führer, der uns aus dem Krieg, den er doch hatte verhindern wollen (so dachten wir damals), siegreich und unter nur geringen Opfern wieder herausführen würde in eine dann lange Friedenszeit. Außerdem war dieser Krieg so ganz anders, als der letzte Krieg. In diesem Krieg hatten doch nun wir, die Deutschen alle Fäden in unserer Hand, wir würden den weiteren Verlauf des Krieges bestimmen und ihn siegreich für uns beenden. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln oder skeptisch zu sein hinsichtlich Dauer und Verlauf dieses Krieges. Das deutsche Volk war nicht nur mit Waffen gut gerüstet es war auch moralisch so gefestigt, dass kein Feind dieses Volk jemals würde zerschmettern können. Wir, das neue deutsche Volk würden alle Stürme und Gefahren überstehen, weil wir ein anderes Volk geworden waren nach 1933! In diesem Volk würde es niemals wieder einen Verrat der Heimat an den Soldaten geben, wir waren ein national völlig gefestigtes Volk, das auch fest und unverbrüchlich hinter seinem Führer stand.

War ich auch ein guter deutscher Jüngling, so trieb ich dennoch das, was nun wirklich nicht mehr gut war. Ich tat das, was seit dem l. 9. 1939 strengstens verboten war, ich hörte Feindsender. In meiner Firma hatte ich vor einiger Zeit ein gebrauchtes Koffer-Radio erworben, das von einem Kunden in Zahlung gegeben worden war. Es war das ein Gerät der Firma NORA, in einem Gehäuse, das man kaum als handlichen Koffer bezeichnen konnte. Betrieben wurde das Gerät mit einem 4 Volt Nass - Akku und einer 120 Volt Anodenbatterie. Mit Hilfe der eingebauten Rahmenantenne war ein sehr guter Fernempfang möglich. Das Gerät hatte drei Wellenbereiche. Ich hatte es in meiner Kammer untergebracht. An diesem Gerät saß ich nun oftmals in der Nacht und hörte deutschsprachige Sendungen von Radio Luxemburg, von Radio Moskau und auch aus England vom Sender Daventry. Das tat ich heimlich, mit einer Decke über dem Kopf damit kein Laut nach draußen dringen konnte. Allerdings hat meine Mutter mich dann doch einmal dabei erwischt und es gab ein gewaltiges Donnerwetter mit dem dann von mir abverlangten festen Versprechen, das nie wieder zu tun. Aber ich hatte doch so manches gehört was mir zumindest etwas zu denken gab, was ich aber auch weitgehend für mich behielt, abgesehen von einigen Äußerungen die ich mal im Freundeskreis von mir gab oder auch dem guten Clamor Hoyer gegenüber, meinem zuverlässigen Vertrauten in der Firma, wobei ich aber nie meine Quellen verraten habe. Meine Mutter tat dann eines Tages noch etwas mehr, als Sicherheit für mein wohl nicht ganz glaubhaftes Versprechen, nahm sie aus dem Gerät die Anodenbatterie.

Aber ich hatte alsbald eine neue Batterie, um zumindest doch wieder Musik zu hören, aber nun keine Feindsender mehr, wobei Radio Moskau in der Zeit nicht verboten war, das war (noch) kein Feindsender, das war ein Sender des Staates, mit dem wir einen Nichtangriffspakt hatten, somit war das ein mit uns befreundeter Staat, dessen Radiosendungen man doch nicht verbieten konnte!

lo