> Werner Mork: Siegeseuphorie in Deutschland 1939

Werner Mork: Siegeseuphorie in Deutschland 1939

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921 ) aus Kronach , Juli 2004 :

Das deutsche Volk war im Herbst 1939 insgesamt mit sich und dem Verlauf des Krieges eigentlich ganz zufrieden. Dieser Krieg war uns doch aufgezwungen worden - so dachten wir - und nun mussten wir alles tun, um ihn auch gut und für uns erfolgreich zu überstehen, ihn zu gewinnen. Es hatte zwar Gefallene gegeben, aber die Zahl der Toten und Verwundeten war doch niedriger als im 1. Weltkrieg. Und die deutschen Illustrierten, wie auch die Wochenschauen in den Kinos sorgten mit ihren Berichten dafür, dass das Volk wirklich mit sich zufrieden sein konnte. Und der Großdeutsche Rundfunk trug seinen, sehr erheblichen Teil dazu bei mit den vielen Sondermeldungen über täglich neue Siege und Erfolge der Wehrmacht. Diese Berichte aus dem Äther, die über die Antenne auf direktem Wege in die Wohnungen der Volksgenossen kamen, steigerten die Siegeszuversicht und den Glauben an die Unbesiegbarkeit des deutschen Volkes.

Die Menschen fieberten förmlich tagtäglich den neuesten Sondermeldungen entgegen, um dann wieder neu berauscht zu sein, von den Erfolgen der deutschen Soldaten und der Genialität der Führung dieser Soldaten. Dieser Krieg war doch ganz anders, als der von 1914-1918, auch für das zivile Volk! Das zivile Volk würde zwar, zumindest für einen Teil, möglicherweise feindliche Luftangriffe erleiden müssen, aber das würde sicher nicht so schlimm werden, weil das Volk (noch) dem Befehlshaber der Luftwaffe vertraute, dem Hermann Göring, der erklärt hatte, er wolle Meier heißen, wenn es jemals feindlichen Flugzeugen gelingen sollte, in den deutschen Luftraum einzudringen. Zwar war das inzwischen doch schon öfters geschehen, aber dennoch wollte man ihm, dem "Dicken" doch noch glauben. Aber es sollte dann nicht mehr lange dauern, bis Hermann Göring im Volksmund nur noch Hermann Meier hieß.

Wenn nun doch öfters Luftalarm gegeben wurde, so wurden die Schutzräume nur selten aufgesucht, noch gehörten sie nicht zu dem Leben, das dann anfing sehr unnormal zu werden. Es gab aber überall die im Frieden entstandenen und bereit gestellten Einrichtungen und Mittel, um bei einem möglichen Einschlag von Brandbomben, sofort Hilfe zu leisten, und einen möglichen Brand auch zu bekämpfen. Dazu gehörten Eimer für das Löschwasser, Feuerpatschen und Sand. Das sollte ausreichend sein, zur Bekämpfung der Brandbomben. In den Betrieben wurden nun auch Nachtwachen eingerichtet, bei denen das Personal abwechselnd diesen Dienst verrichten musste, damit auch in der Nacht sofort Leute zur Hand sind, wenn die bösen Tommy's Brandbomben hatten abwerfen können, trotz Hermann Meier. Diese Nachtwachen sollten dann erfolgreich einen etwaigen Brand bekämpfen, mit den dafür bestimmten Mitteln. Für diese Wachen wurden in den Firmen Nachtlager eingerichtet mit Feldbetten als Nachtquartier für die Wachen, die meistens aus dem weiblichen Personal kamen. Auch Ilse hatte, bis zu ihrer Einberufung solchen Dienst bei Bruns versehen müssen. Bei diesen "Gelegenheiten" soll dann der Schürzenjäger, der Herr Schwiegersohn von Anton Bruns, auch versucht haben, das harte Nachtquartier etwas erträglicher zu gestalten, so wie er das sah. Bei Ilse konnte er das aber nicht mehr wagen, wegen meiner Mutter, die ihn schon vorher zur Rede gestellt hatte. Und in anderen Fällen soll seine Frau nun verstärkt aufgepasst haben, um ihn nicht zur Ausführung seiner Tat kommen zu lassen.

Bestaunt und bewundert wurden dann die ersten Urlauber, Soldaten, die mit den neuen Auszeichnungen auf Heimaturlaub kamen. Viele Soldaten hatten sich die Auszeichnung "Eisernes Kreuz" 2. Klasse verdient, aber es gab auch etliche, die sogar die Auszeichnung der 1.Klasse trugen. Stolz waren diese Soldaten auf ihre, vom Führer neu gestiftete Auszeichnung des Eisernen Kreuzes, das erstmals in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gestiftet worden war, das dann immer wieder DIE Auszeichnung war in den preußischen Kriegen, um dann 1914-1918 für alle deutschen Soldaten die heiß begehrte Auszeichnung für Tapferkeit vor dem Feinde zu werden. Nun hatte der Führer das EISERNE KREUZ 1. und 2. Klasse wieder neu gestiftet, jetzt ohne Krone, nun mit Hakenkreuz. Im weiteren Kriegsverlauf gab es dann noch Sonderausführungen, wie das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz. Da gab es dann noch kostbare Variationen mit Schwertern und Brillanten, hinter denen alle die her waren, die ihre Halsschmerzen hatten, weil dieses Kreuz am Bande um den Hals getragen wurde, was doch so viele gerne tun wollten, auch die, die das Hakenkreuz noch immer nicht sonderlich liebten! Zu den Auszeichnungen gehörte auch das wieder aktivierte Verwundetenabzeichen in Bronze, Silber und Gold!

Soldaten, deren Heldenbrust neben dem EK auch noch ein Verwundetenabzeichen schmückte, wurden ganz besonders bewundert, sie waren die wirklichen Helden. Und die Angehörigen dieser Ausgezeichneten waren ganz besonders stolz auf ihren Mann, ihren Bräutigam, ihren Freund, den Sohn oder den Bruder. Sehr stolz zeigten sich dann die Väter mit ihren Söhnen, wenn die so geschmückt auf Heimaturlaub kamen. Man war sogar stolz auf die, die mit Orden und Verwundetenabzeichen aber mit erkennbar fehlenden Körperteilen auf Urlaub kamen, selbst dann noch, wenn sie im Rollstuhl sitzen mussten. Eine seltsame Welt? Wieso denn, es hat sich doch nichts geändert, siehe USA.

Der "Führer" hatte es hervorragend verstanden, die alte preußisch-deutsche Ordenspracht der Eisernen Kreuze in diesem Krieg zu erneuern. Was sonst der jeweilige Monarch getan hatte, tat jetzt der Ex-Gefreite des 1.Weltkrieges. Er spielte "ausgezeichnet" auf dem preußisch-deutschen Traditions-Klavier und das zur Begeisterung aller in Deutschland. Und die im 1. Weltkrieg verliehenen EK's konnten mit einer Spange versehen werden, wenn der Träger wieder eine Heldentat in dem neuen Krieg vollbracht hatte, jetzt als Angehöriger der Wehrmacht des 3. Reiches. Die Spange war dann auch mit dem Hakenkreuz "verziert."

Für jeden deutschen Soldaten war es eine Ehre, mit einem dieser Orden geehrt zu werden, nur nicht für mich - darüber wird noch im Detail berichtet, wenn die Zeit geschildert wird, in der ich eine solche Auszeichnung abgelehnt habe. Das Hakenkreuz störte keinen der Ausgezeichneten, gleich ob nur als normales EK, oder in den Variationen der höheren Stufen. Und auch, die späteren Widerständler aus der Wehrmacht hatten sich damit auszeichnen und schmücken lassen, zum Teil sogar direkt aus der Hand "ihres" Führers, sie alle hatten nie Bedenken gehabt, solches zu tun.

Das Volk war besonders begeistert, wenn ein U-Boot Kommandant für seine Erfolge vom Führer persönlich mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde. Wenn die Bilder in der Wochenschau zu sehen waren, dann gab es im Kino sogar Beifall bei diesen erhebenden Bildern. Das Volk liebte seine Helden, auf die es nichts kommen ließ.

Wie war das eigentlich gewesen, damals vor 1933? War damals der Hitler nicht als Kriegsbrandstifter gebrandmarkt worden? Hatte sich nicht die Mehrzahl unserer Väter damals über Hitler so geäußert? Nun war das alles vorbei, war eine Vergangenheit, die keiner mehr kennen wollte. Nun war die Mehrheit dieser Väter selber wieder Soldat in einem neuen Krieg und das unter dem Oberbefehl des einstmaligen Kriegsbrandstifters, der jetzt ein großer Führer und glänzender Feldherr war. Und diese Väter waren nun wieder gerne Soldaten, auch die, die 1918 alles verflucht hatten was mit Militär zusammenhing. Wenn sie aber nicht wieder zum neuen Soldatendienst eingezogen waren, dann taten sie ihre Pflicht für Führer, Volk und Vaterland an anderer, wichtiger Stelle, wie auch im Beruf. Nach dem wohlverdienten Feierabend und an den Sonntagen saßen sie dann zu Hause und verfolgten auf Landkarten den jeweiligen Frontverlauf, wie ihn der letzte Wehrmachtsbericht gemeldet hatte. Dann steckten sie, die neue(n) Front)en) mit bunten Stecknadeln ab, voller Begeisterung und voller Stolz auf IHRE tapferen deutschen Soldaten. So waren sie jetzt, unsere einstmals so roten Väter, die nun keine Sozialdemokraten oder gar Kommunisten mehr waren. Sie alle warn nun nur noch gute Deutsche, die völlig vergessen hatten, was sie einmal über Hitler gesagt oder gehört hatten. Dazu mussten sie nicht einmal ein Nazi sein, sie waren nur patriotisch gesinnte deutsche Männer, die, wenn sie Söhne "im Feld" hatten, auf ihre Söhne sehr stolz waren, besonders dann, als diese jungen Soldaten siegreich über die Schlachtfelder der alten Soldaten in Frankreich stürmten. Da glänzten die Augen der alten Soldaten in einem übergroßen Stolz auf ihre Söhne, die sie nun rächten und aus der erlittenen Schmach befreiten! So war sie, die Wirklichkeit, von der dann die meisten nichts mehr wissen wollten, dann als es zu spät war.

Wie sollten wir, die Jugend damals anders sein? Wir waren nicht weniger mit Stolz erfüllt, vor allem darüber, dass wir diese große Zeit nun so miterleben konnten und durften. Und so herrschte auch am ersten Kriegs-Silvester 1939/40 eine gute und ausgelassene Stimmung bei uns in der Strandlust in Vegesack. Es durfte wieder getanzt werden, was in den ersten Kriegsmonaten nicht gestattet war und alle Anwesenden waren froh und heiter, und auch das war kein Tanz auf dem Vulkan, wie man es später immer hinstellte. Wir alle waren glücklich über den doch guten Ausgang des Feldzugs in Polen und wir alle waren davon überzeugt, dass der Krieg nicht so werden würde, wie der 1. Weltkrieg, wir glaubten an einen insgesamt guten Ausgang und auch daran, dass er keine großen Verluste bringen wird. Deswegen war es so, dass alle, ob Soldaten oder Zivilisten sich den Freuden dieser Silvesternacht hingaben, ohne Trauer, ohne Schwermut, ohne bedrückende Gedanken.

Mit Begeisterung wurde immer wieder der doch so tolle Schlager gesungen: "das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, keine Angst, keine Angst Rosmarie; wir lassen uns das Leben nicht verbittern, und wenn die ganze Erde bebt und die Welt sich aus den Angeln hebt, das kann doch einen Seemann nicht erschüttern", dabei kam keineswegs Untergangsstimmung in uns auf, auch keine Verzweiflung oder gar miese Laune. Wir fanden diesen Schlager toll und prima zeitgemäß, so richtig geeignet Miesmachern oder Meckerern damit Paroli zu bieten gegen ein etwaiges dummes Verhalten oder Gerede. Begeisterung fand auch immer wieder, die "Böhmische Polka", das Lied von der Rosamunde, da wurde wild getanzt und ein Text gesungen, der vom Volksmund leicht vulgär umgedichtet worden war aber es gab auch den milderen Text vom Sparkassenbuch.

lo