Logik des Wahnsinns oder der russische Deutsche

 

Ausländer sind immer Klischeefiguren. Der Franzose war im russischen Spiegel (und nicht nur hier) stets ein nicht ernst zu nehmender Frauenheld, keiner Sprache außer der französischen mächtig. Der Engländer war in die Gestalt eines schweigsamen Marineoffiziers gepreßt worden. Der Deutsche erschien in der russischen Klassik als betrunkener Schuster Hoffmann, der einem nicht weniger betrunkenen Schlosser namens Schiller die Nase abschneiden sollte. Weil nämlich, wie Schiller errechnet hatte, die Nase mit ihrer Leidenschaft für Tabak ihm zu viel Ausgaben verursachte.
Die Logik eines Deutschen erweist sich als absurde Unlogik: die Zahlen, an die sich der vernünftige Schiller klammert, verraten nicht den Verstand, sondern verdecken den Wahnsinn. Nikolai Gogol, der die beiden unsterblichen Gestalten in seinem »Newski-Prospekt« so defilieren ließ, entdeckte den Bruch, der das Klischee des Deutschen von nun an prägte.

Der sowjetische Film schien sich dieser Tradition zunächst kaum bewußt. Die Fremden, die die Filme der 20er Jahre bevölkern, sind meist Amerikaner oder Ausländer schlechthin, wie Coolidge Curzon Poincaré in dem Film der Fabrik des exzentrischen Schauspielers Pochoshdenija Oktjabriny/Die Abenteuer der Oktjabrina (1925) - eine Figur, kompiliert aus den Führern dreier Staaten, die die Intervention gegen die junge Republik vorbereiteten. Die Deutschen, die noch frischen Feinde aus dem eben beendeten Krieg, kommen kaum vor. Außer in kurzen Frontrückblenden. Doch dann als betrogene Proletarier, als Leidensbrüder, da die Grenze zwischen den Klassen und nicht zwischen den Nationen verläuft: Pudowkin tritt als ein solcher auf in Konez St.Peterburga/Das Ende von Petersburg (1927), Fjodor Nikitin erblickt gar in einem Deutschen den eigenen Doppelgänger in Oblomok imperii/Der Mann, der sein Gedächtnis verlor (1929) - der russische Held erkennt sich im Double, dem deutschen Feind. Hans Klering als gefangener deutscher Soldat in Okraina/Vorstadt von Boris Barnet vollendete 1931 brillant diese Darstellungstradition, die im Grunde eine Image- Setzung war: Der Zuschauer war bereit, genauso wie die Heldin des Films, diesen schweigenden, Mundharmonika spielenden, einsamen Deutschen, einen naiven, gütigen Kerl, brüderlich zu lieben und vor russischen Chauvinisten zu verteidigen. Ob dies damit zusammenhing, daß Deutschland das erste Land war, das den Frieden unterschrieben (auch wenn es der Brester Frieden war) und die Sowjetunion diplomatisch anerkannt hatte? Oder weil es die Heimat von Karl Marx war, dem Übervater des hier zu erbauenden Kommunismus?
Quelle Auf jeden Fall war der erste Deutsche im sowjetischen Film kein geringerer als eben Karl Marx. Er erschien in dem nicht erhaltenen Film über die »Drei Internationalen« (Tri internazionala/1919) >persönlich<. Außerdem kamen einige deutsche Figuren in den Produktionen des Studios Nemkino aus Saratow vor, das Agitationsfilme über und für die Wolgadeutschen drehte, wie Tajna staroj melnizy/Das Geheimnis der Alten Mühle (1926), wo die Bemühungen der Wolgadeutschen bebildert wurden, die Landwirtschaft in den Steppen zu verbessern, was natürlich vor der Revolution zum Scheitern verurteilt war und jetzt, ganz im Gegensatz zu früher, extrem leicht von der Hand geht. Doch waren es die »eigenen« Deutschen.

In den 30er Jahren ändert sich die Situation. Die deutschen Arbeiter, die Kinder von Karl Marx, erscheinen nun massiv auf der sowjetischen Leinwand.
1936-38, als tausende Freiwillige aus der Sowjetunion in Spanien gegen die deutschen Flieger der Legion Condor kämpften, entstanden viele sowjetische Filme, die den Faschismus entlarvten, unter Mitwirkung deutscher Emigranten, die als Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler und Berater tätig waren: Borzy/Kämpfer (1936/Buch und Regie: Gustav von Wangenheim), Borba prodolshajetsja/Der Kampf geht weiter (1939/Buch: Friedrich Wolf, Regie: W. Shurawljow), Bolotnyje soldaty/Die Moorsoldaten (1938/Buch: Juri Olescha und A. Matscheret, Regie: A. Matscheret), Professor Mamlock (1938/nach Friedrich Wolf, Regie: Adolf Minkin und der aus Deutschland kommende Österreicher Herbert Rappoport), Semja Oppengejm/Die Geschwister Oppenheim (1939/nach Feuchtwanger, Buch und Regie: G. Roschal, Beratung: Hans Rodenberg). Auch Wladimir Petrows Fritz Bauer (1930), llja Traubergs Dlja was naidjotsja rabota/Sie finden hier Arbeit (1932), Paschkows Solnze woschodit na sapade/Die Sonne geht im Westen auf (1932), Kirillows Utirajte sljosy/Wischt die Tränen ab (1932), Pudowkins Desertir/DerDeserteur (1933), Pyrjews Konwejer smerti/Fließband des Todes (1933) nach einem Drehbuch von Michail Romm und I. Gussew, Nemoljajews Karjera Rudi/Rudis Karriere (1934), Barskajas Rwanyje baschmaki/Die zerrissenen Stiefel (1933), Erwin Piscators Wosstanije rybakow/Aufstand der Fischer (1934) und Masljukows Karl Brunner (1936) gehörten dazu. Das Szenarium zu letzterem schrieb der in die Sowjetunion emigrierte Béla Balázs nach seinem Kinderbuch »Karlchen, durchhalten!«. Streiks, Parteiarbeit, die >sozialdemokratischen Verräter<, Straßenkämpfe mit der Polizei und Streikbrechern, Arbeitslosigkeit und die Auswanderung in die Sowjetunion als einziger Weg sind die variierten Themen in fast gleichen Sujets.

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Zwei Szenen aus
Aufstand der Fischer
(1934)

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Nach dem Molotow- Ribbentrop- Pakt wurden diese Filme aus dem Verleih genommen; dieses Schicksal ereilte auch Eisensteins Alexander Newski (1938). Der Regisseur mußte schnellstens Die Walküre inszenieren. Während Newski nach dem Kriegsausbruch sofort wieder auf der Leinwand erschien, blieben die meisten Filme dieser russischen antifaschistischen Welle in den Archiven liegen, da sie nicht recht als »ideologische Waffe« verwendet werden konnten.
Das dramaturgische Schema der Filme sah gewöhnlich so aus: das leidende und sich dem Faschismus widersetzende Volk einerseits - und andererseits eine kleine Gruppe von Schurken, eben die Nazis, die das Volk terrorisieren. Die gute deutsche Arbeiterklasse, immer als Vorbild angesehen, wurde idealisiert und verklärt, selbst noch Mitte der 30er Jahre, als die Naziherrschaft sich schon fest etabliert hatte. Sie wurde immer noch aus der alten Perspektive gesehen. Deutschland und Rußland, die zwei revolutionärsten Länder zu Beginn des Jahrhunderts in Europa, waren in den 20er Jahren mit vielen Fäden verbunden, und die deutsche Arbeiterklasse wurde im Klassenkampf als der große Revolutionsbruder mit mehr Erfahrung betrachtet. In all diesen Filmen finden sich entschlossene Kämpfer gegen das Regime, und immer wieder treten sie aus der Filmhandlung als Sieger hervor. Wenigstens hier. Bei Feuchtwanger wird Erwin Oppenheim nach dem KZ zu einem gebrochenen Menschen, in dem Film von Roschal dagegen verläßt er Deutschland illegal als aktiver Untergrundkämpfer. Auch im Epilog der Moorsoldaten heben die Arbeiter die Hände nicht zum Hitler- Gruß, sondern ballen ihre Fäuste zum Rot- Front- Gruß.
Mit dem Kriegsausbruch hatte sich diese Idealisierung der deutschen Arbeiterklasse erledigt, das Volk wurde monolithisch dargestellt - als Feind. Das Bild war eindeutig: der Deutsche war Faschist und nicht Klassenbruder. Haß sollte er wecken und kein Mitleid!
Interessant, daß gerade in den 30er Jahren, parallel zu den hellen, verklärten Figuren auf der Leinwand der Deutsche in der nicht veröffentlichten russischen Literatur mit infernalischen Zügen versehen wird. Der Teufel ist z.B. immer deutscher Nationalität. In Bulgakows Roman »Der Meister und Margarita« wird Voland als ein Deutscher empfunden, und er dementiert es auch nicht: »Ja, ich bin wohl Deutscher.«
In »Moskau« von Andrej Bely ist der unsichtbare Deutsche ein dämonischer Held, der Weltmachtpläne schmiedet und seine Untertanen mittels Hypnose lenkt - ein Mabuse aus der Sicht eines russischen Symbolisten.
Mit dem 22. Juni 1941 wurde die Dämonisierung des Deutschen zum offiziellen Kunstkanon. Pathologische, wahnsinnige Sadisten: allesamt kleine Hitlers und fast alle mit einem Bärtchen. Dieses Bild wurde zunächst in den Kriegsalmanachen/Bojewyje kinosborniki verankert, die ab Juli 1941 produziert wurden (das sowjetische Filmwesen war zu Beginn des Krieges auf die Produktion von Langmetragen noch nicht vorbereitet). Sie sollten die Stimmung der Bevölkerung beeinflussen, Verhaltensmodelle vorführen, die politischen Lösungen des Tages in Spielszenen »verkörpern«. Sie appellierten sehr direkt an den Zuschauer, sollten ihn für den Kampf mobilisieren, patriotische Gefühle wecken und die Brutalität des Feindes entlarven. Später wurden diese Novellen »Schule des Hasses« genannt. Das politische Plakat, die politische Karikatur beeinflußten ihre künstlerische Diktion. Die grobe Satire war bei der Zeichnung des deutschen Feindes das ausschlaggebende Mittel. Hitler z.B. erscheint in diesen Novellen regelmäßig derb karikiert. Er beherrscht seine Bewegungen nicht - wie ein Spastiker, spricht nur in hysterisch überdrehtem Tonfall, wirkt lächerlich und krankhaft. Ein totaler Gegensatz zu dem sich kaum bewegenden, mit der Monumentalität eines Denkmals ausgestatteten Stalin, der lange schweigt, um dann die Szene mit einer aphoristischen Pointe zu beenden: als kluger Sieger, in Michail Tschiaurelis Padenije Berlina/ Der Fall von Berlin beißt Hitler zwar nicht in den Teppich, doch kaut er unentwegt an seinen Fingernägeln, was ihm die Bemerkung von Eva Braun einträgt: »Bei Mussolini sehen die Nägel viel besser aus. . .«
Für die meisten Filme der ersten Kriegsperiode waren Schematismus und Vereinfachung kennzeichnend, sie litten an einer auffälligen Grobheit der gewählten Ausdrucksmittel.
Unter den Kriegsfilmen wurde ein einziger verboten: Pudowkins Verfilmung von »Furcht und Elend im Dritten Reich« (Co-Regie Taritsch). Die stilistische Grobheit dieser Arbeit lag im Trend der Zeit, doch das Bild der Deutschen hier war bereits anachronistisch; es blieb in der Tradition der antifaschistischen Filme der 30er Jahre stecken, was dem historischen Augenblick nicht mehr entsprach.
Pudowkin war der erste, der den Weg von der Kurzform eines Filmalmanachs zur Langmetrage gesucht hatte und dafür eine Übergangsform fand, als er sich im Herbst 1941 der Verfilmung von Brechts Szenen zugewandt hatte. Dabei handelte es sich zwar um einzelne Episoden, sie wurden jedoch durch ein Thema vereint, das da lautete: Angst. Jene Angst, die vom Faschismus kultiviert wird, die das Verhalten des Menschen bestimmt und ihn letztendlich deformiert. Die Angst wird »vorgeführt« auf allen Stufen der sozialen Leiter und in verschiedensten Erscheinungsformen zwischenmenschlicher Bindungen. Eltern haben Angst vor ihrem Sohn, ein Mädchen vor dem Verlobten, eine Frau vor ihrem Mann. Das Groteske bleibt in der Darstellung weitgehend unterdrückt, milieubedingter Psychologismus bestimmt die Charakterzeichnung der meisten Darsteller, wenngleich viele von ihnen aus einer diametral entgegengesetzten Schule, der Fabrik des exzentrischen Schauspielers (FEKS), kamen, wie Sofia Magarill, Pjotr Sobolewski, Oleg Shakow.
Pudowkin kannte Deutschland durch seine enge Verbindung zur »Prometheus« Filmproduktionsgesellschaft gut, er war hier während des 1. Weltkriegs einige Jahre lang Gefangener, hatte später als Schauspieler (in: Der Lebende Leichnam) mitgewirkt und seinen Deserteur/Desertir in Berlin und Hamburg gedreht. Auf der Leinwand jedoch strebte er nicht danach, »das deutsche Milieu« - etwa zwischen großbürgerlicher Wohnung und Arbeiterwohnküche - getreu zu reproduzieren. Die Art der Filmdekoration, ihr nicht kaschierter Ateliercharakter (in der Ausleuchtung und Raumorganisation), betonte eher den theatralischen Charakter der Handlung und die Künstlichkeit des Ambientes.
Quelle Aber diese Künstlichkeit wirkte unverkennbar »russisch«. Wahrscheinlich waren das Thema Angst und dieser russische >touch< für das Verbot des Films ausschlaggebend. Man witterte womöglich zu viele Parallelen zum eigenen Land und warf Pudowkin vor, er hätte das Wesen des Faschismus nicht entlarvt. Statt der Zeichnung moralisch- psychologischer Deformationen wurde eher die Analyse der sozialen und politischen Wurzeln von ihm erwartet. Der Regisseur sollte nicht Mitleid mit den Opfern wecken, sondern Haß gegen die Täter. Doch diese erschienen hier durchweg als klägliche Kreaturen, als Opfer der eigenen Angst. Deshalb konnten in der letzten (einer neugeschriebenen, russischen) Episode des Films drei bewaffnete Soldaten von zwei Kindern überwältigt werden. Gerade die Angst, die im Dritten Reich zur bestimmenden Emotion avanciert und  entsprechend zum verhaltensprägenden Faktor geworden war, erwies sich hier als tödlich für die deutsche Armee. Soldaten haben Angst vor einem unsichtbaren Feind, vermuten eine ganze Abteilung und - sehen plötzlich: zwei Minderjährige ohne Waffen, die als Sieger aus der Konfrontation hervorgehen.
Was beim Vergleich der Filme aus den 30er und 40er Jahren sofort auffällt, ist das Antlitz der deutschen Helden und die Schauspielerwahl: Wenn deutsche Arbeiter von schönen, kräftigen, blonden »ersten Helden und Heldinnen« gespielt wurden - breites Lächeln, offenes Gesicht mit regelmäßigen Zügen (Boris Liwanow oder Tamara Makarowa), so werden nun die Faschisten von Darstellern verkörpert, die bis dato nur negative Rollen gespielt hatten (Michail Astangow oder Sergej Martinson) und dem Zuschauer als Spione, Saboteure, innere Feinde geläufig waren (wie in Weliki grashdanin/Der große Patriot / 1937-39). Ab 1941 wurden die Deutschen plötzlich dünn, schwarzhaarig, etwas krumm und gebeugt. Die Gesichter wirkten spitz und verschlossen, als habe das Bild einer Nation binnen zwei Jahre eine unwahrscheinliche Wandlung durchgemacht. Der »häßliche Deutsche« sowjetischer Prägung war nicht blond, dick und laut, sondern dunkelhaarig, dürr und hinterlistig. Vielleicht deshalb, weil der russische Held immer blond, blauäugig und athletisch sein mußte, ein russischer Arier. Ein blonder Deutscher trat immer als nicht gleich zu erkennenderSpion (Sekretar raikoma/ Der Sekretär des Rayonkomitees/1942) in Erscheinung.
Die moralisch- psychologische Deformation eines Faschisten (nur so hatte man sich dem Phänomen - bis zu Michail Romms Obyknowenny faschism/Der gewöhnliche Faschismus/1965 - genähert) war oft als körperlicher Fehler veräußerlicht und prägte umfassend das Klischee vom Feind: mit einer krummen Nase, abgefrorenen Ohren, einäugig, einarmig. Keine blonde Bestie, kein Erich von Stroheim, kein starker Feind. Der Deutsche wurde der Lächerlichkeit preisgegeben - man vermied im Film jede Möglichkeit, das Dämonische zu ästhetisieren, die Anziehung des Bösen anzudeuten oder auf das Unbewußte auszuweichen, auch in späteren Filmen nicht.

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Ein deutscher Feldherr beim Freizeitvergnügen
Der gewöhnliche Faschismus (1965)

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Ein deutscher Soldat bei der Arbeit.
Der gewöhnliche Faschismus (1965)

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Ein Bild aus dem Album eines Soldaten.
Der gewöhnliche Faschismus (1965)
Selbt in dem hochgradig ästhetisierten, ersten sowjetischen Horrorfilm Idi i smotri/Geh und sieh (1984) ließ Elem Klimow seine Henker als primitive animalische Sadisten erscheinen und meinte dazu: »Das Gesicht des Menschen, der auf dich schießt, siehst Du nicht.«
Wenn eine ästhetische, metaphorische Lösung für das Bild des grausamen Deutschen gesucht wurde, blieb man bei dieser Überzeugung: In Alexander Newski sind die Gesichter fast nicht zu sehen, durch gesichtslose Masken ersetzt. Im Nowy Wawilon/Das Neue Babylon haben Kosinzew und Trauberg die preußischen Unterdrücker der Pariser Kommune bereits 1929 als bedrohliche Schatten dargestellt, die im Gegenlicht auf die Kamera zureiten. Ebenfalls gesichtslos.
Doch gerade Alexander Newski holte wieder die Gogolsche Version des Deutschen aus der Sicht des Russen hoch, vielleicht zum ersten Mal im Film. Wieder: Rationalität als Wahnsinn. Der Film baut auf den einfachen Kontrast zwischen dem Lebendigen ( = Russischen) und dem Toten ( = Deutschen). Der Kontrast wird als visuelles und akustisches Zeichen gefestigt. Die warmen, sonoren Stimmen der russischen Frauen singen ein melodisches Lied, das deutsche Horn gibt disharmonische, schrille und finstere Klänge von sich. Auf der russischen Fahne des Fürsten ist die Sonne zu sehen, auf der deutschen - das (Toten)Kreuz. Doch den prägendsten Kontrast bilden die Körper: Bei den Russen ist es sinnliches Fleisch, seine Fülle (wie bei Abrikosows beleibtem Gawrila), seine Verwundbarkeit (bei Orlows Ignat). Bei den Deutschen ist der Körper durch ein perfekt geschmiedetes Eisen ersetzt und das Gesicht durch die eiserne Maske wiederum mit einem Kreuz verdeckt. Das ist kein Mensch, sondern ein durchdachtes, gut organisiertes Instrument des Krieges, kein Einzelkörper, sondern der rationale, mechanisierte, kollektive Vektor, der auf ein Ziel gerichtet ist und in seiner Perfektion, in seiner mathematischen Rationalität a priori Sieger sein muß. Auch die stilisierte Melodie, die Sergej Prokofjew diesem Körper zugeordnet hat, ist in ihrem Rhythmus mathematisch genau und wirkt mit ihrer Regelmäßigkeit mechanisch, tot. Gerade diese durchgerechnete Mechanik, diese perfekte, strahlende (die Farbe der Teutonen ist weiß) Rationalität, dieser logische Verstand ziehen die deutsche Armee in den Tod. Die gut gebaute Todesmaschine kann nichts gegen das Leben ausrichten, weil es eine Maschine ist. Weil hier abstraktes Rechnen zugrunde liegt und nicht spontane, organische, unregelmäßige Entwicklung: Eis kann auch im Winter - der logisch begründeten Erwartung zum Trotz - dünn sein und unter den Reitern brechen. Die Armee geht in der russischen Naturgewalt ganz profan unter: im Wasser. Ihre eiserne Logik entpuppt sich als Wahnsinn.
Eine niedere satirische Replik auf diesen logischen Wahnsinn liefert der Komödienregisseur Iwan Pyrjew, indem er 1942 einen ersten Partisanen- action- Film Sekretar raikoma/Der Sekretär des Rayonkomitees inszeniert. Der deutsche Offzier bietet einem gefangenen russischen Partisanen eine Alternative an: Tod oder zwei Kühe, eine Frau, ein Haus, ein Pferd, ein Leben. Die Rechnung ist logisch und die Entscheidung für den Deutschen eindeutig. Im Dialog werden mehrmals die Zahlen durchgegangen: ein Pferd, zwei Kühe, ein Haus, ein Leben - und ein Tod. Die Entscheidung des Russen zu sterben ist für den Deutschen nicht nachvollziehbar. Für den russischen Zuschauer aber verrät die Zahlen- Logik eines Deutschen dessen völliges Unverständnis, worum es hier eigentlich geht.

Von diesem langen Training des Hasses (als emotionaler Reaktion) und der Karikatur (als Darstellungsmethode) konnte sich die Figur des Deutschen im sowjetischen Film kaum »erholen«. Zwar gab es nach dem Krieg zwei Deutschlands, wo sich bequem gute und schlechte Deutsche unterbringen ließen, etwa: Die Nachfahren aus den Filmen der 30er Jahre, die vom Faschismus betrogene oder aus dem KZ zurückgekehrte Arbeiterklasse, siedelten sich in der DDR an, die anderen wechselten die Nazi- Uniform gegen das bürgerliche Zivil und landeten jenseits der Grenze. Die anfänglich zögernden Intellektuellen liefen dann aus der amerikanischen Besatzungszone in die sowjetische über, wie Professor Otto Dietrich in Wstretscha na Elbe/Begegnung an der Elbe (1948).

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Die Begegnung von amerikanischen und sowjetischen Verbänden, eine andere Stunde Null.
Begegnung an der Elbe
Allerdings sind die Spione in allen weiteren Filmen aus der Zeit des Kalten Krieges mit einer nicht näher definierten Nationalität ausgestattet. Nur zwei Mal konnten sie als Deutsche identifiziert werden: als Otto Grieg, versteckt im Antlitz eines sowjetischen Menschen und ehemaligen Kriegsteilnehmers namens Jussup(!) in Operazija Kobra/Operation Kobra (1961), und Magda Totgast als bescheidene Lehrerin Marija Wassiljewna in Delo 306/Akte Nr. 306 (1956). Die Filme des Kalten Krieges hatten ein »verallgemeinertes« Feindbild zu schaffen. Allzu unlogisch waren die Handlungen der Spione, sehr schnell wurden sie von den allmächtigen Offizieren des KGB enttarnt. Mal überfielen sie eine archäologische Expedition(?!), mal wollten sie eine Brücke (tief im Hinterland) in die Luft jagen oder einfach nur mit einem Flugzeug davonfliegen. Es waren Wehrwölfe, die stets in Gestalt eines »normalen« sowjetischen Bürgers auftraten: eines gutmütigen Großmütterchens, eines unscheinbaren Wächters, eines lieben Onkels. Die Tatsache, daß sie der Kennzeichen von Nationalität, Land, Auftraggeber beraubt waren und der Sinn ihrer Taten bar jeder Logik blieb, verlieh ihnen den Hauch primitiver Mystik. Quelle Einen eher unfreiwilligen Mabuse-Schatten.

Als 1964 in einem Film namens Pomni, Kaspar!/Vergiß nicht Kaspar! (Regie: Grigori Nikulin) ein deutscher Soldat wieder als Mensch erschien, wurde der Regisseur als Altruist beschimpft und der Film nicht gezeigt. Hier schlugen sich ein blauäugiger, blonder abgeschossener deutscher Flieger mit einem nicht weniger blonden sowjetischen Kriegsgefangenen durchs Dickicht des winterlichen Waldes und bisheriger Entfremdung, um dabei die Ur-Solidarität des Menschen (im Kampf gegen die Wölfe und das Moor, also reine »Naturgewalten«) wieder kennenzulernen. Am Ende mußte der blonde Deutsche einen schwarzhaarigen Landsmann von der SS erschießen, um den russischen Kommunisten zu retten... Rückkehr zum alten Muster: Der Feind ist fast ein Doppelgänger, der betrogene Proletarier.
Der Bruch (und Durchbruch für den Deutschen) kam mit der populären Fernsehserie »Siebzehn Augenblicke des Frühlings«. Ein sowjetischer Kundschafter, getarnt als Major Stierlitz, dargestellt von dem ersten Liebhaber Wjatscheslaw Tichonow, den böse Kritiker mit dem Kosenamen »Ein Geschenk zum Frauentag« tauften, steht ganz oben in der Diensthierarchie, ist befreundet mit der nächsten Umgebung des Führers (Bormann, Kaltenbrunner etc.). Und eben diese nahe Hitler- Umgebung erschien zum ersten Mal auf der Leinwand, d.h. auf dem Bildschirm, als Kreis »normaler«, ja durchaus intelligenter Menschen in gut sitzenden Uniformen. Das löste eine Schockwirkung aus. Lehrer schrieben Briefe ans Fernsehen und ermahnten die Filmemacher, sie würden die gesamte ideologische Erziehung untergraben, wenn sie Faschisten als kluge sympathische Menschen darstellen.
Später, viel später, erreichten den sowjetischen Film die dicken westdeutschen Kapitalisten, die bekannten Bilderbuchfiguren, die bislang durch englische und französische Filme als »Deutsche« geisterten: die boches - wieder mal blond, gutmütig, sentimental, die Bier und Zahlen liebten. Sie haben in den kitschigen Perestroika- Aufschwung- Geschichten irgendwo irgendwas investiert, sich in russische Blondinen verliebt und so für die Freundschaft der Völker gesorgt (Den Ijubwi/Tag der Liebe/1989). Das waren die ersten sympathischen Mr. West, die Herren D-Mark.
Sie wurden liebevoll behandelt, doch ihr Zahlenfetischismus sorgte stets für Lacher. Ein deutscher Geschäftsmann, der seinem russischen Partner vorrechnete, wie unwirtschaftlich dieser seine Geschäfte macht, ging aus dem Dialog aus kleinlicher Verlierer hervor. Er konnte zwar mit Zahlen umgehen, hatte jedoch kein Format, keinen Maßstab und trat deshalb stets daneben. Für die große russische Seele, die sich in ganz anderem geografischen Raum ausbreiten kann und nicht rechnen muß, war es sonnenklar.
Wahrscheinlich erblickte Nikolai Gogol etwas sehr tief Sitzendes, als er den Wahnsinn der deutschen Logik in einem Schlosser mit dem Dichternamen Schiller zum russischen Deutschen- Klischee verewigte.
 

Oksana Bulgakowa
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