WB01343_.gif (599 Byte)                        WB01345_.gif (616 Byte)

Angela Brown

Vom »germanischen Julfest« zum »Totenfest« - Weihnachten und Winterhiltswerk-Abzeichen im Nationalsozialismus

Weihnachten im öffentlichen Raum

In vielen Städten und Orten Deutschlands erstrahlte im Dezember 1933 ein hoher »Weihnachtsbaum für alle« an zentralen Plätzen, vor Rathäusern und Kirchen.' Spätestens seit den 1920er Jahren als Werbemittel von Firmen und Geschäftsleuten bekannt, wurde der öffentlich aufgestellte Tannenbaum nun zu einem Teil der weihnachtlichen Programmatik der Nationalsozialisten und markierte einen Ort, an dem Sammel- und Verteilaktionen des Winterhilfswerkes zu einem neuen Brauch stilisiert werden konnten.

Im September 1933 wurde auf Befehl Hitlers und Initilerung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels das »Winterhiliswerk des Deutschen Volkes« (WHW) gegründet. War es auch als winterliche soziale Hilfe keine Erfindung der neuen Machthaber - 1931/32 hatten freie Wohlfahrtsverbände und öffentliche Fürsorge mit ihren MaBnahmen ein relativ geringes Spendenergebnis erzielt -, so wurde es unter der Leitung seines Reichsbeauftragten Erich Hilgenfeldt in kürzester Zeit zu einer riesigen, jährlichen, bei Helfern und Spendern stark in das Alltagsleben eingreifenden Sammelaktion ausgebaut, die einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor darstellte.² Er verwandelte das bei jeder Eröffnung mit Superlativen gefeierte »größte Hilfswerk aller Zeiten« in ein wirkungsvolles ideologisches Instrument. Sein erklärtes Erziehungsziel war die Stärkung der »Volksgemeinschaft«, die jedoch rassistisch und bevölkerungspolitisch definiert war. Nur »erbgesunde« und die »Volkskraft« stärkende Mitglieder konnten Unterstützung erhalten. Gleichzeitig sollte sich das deutsche Volk als »Opfergemeinschaft« erfahren und bewähren.3

Am bekanntesten und oftmals gleichgesetzt mit dem gesamten WHW waren und sind die in Radio und Printmedien sowie durch Plakataufrufe angekündigten und mit großer Massenwirksamkeit durchgeführten Straßensammlungen mit Abzeichenverkauf.4 Prominente und Parteigrößen nahmen teil als »Zugpferd« mit Sammelbüchse, als Redner oder Vorführende, in festlichem Rahmen oder auf der Straße. Und so lag es nahe, auch die Weihnachtszeit unter Ausnutzung ihrer Emotionsgeladenheit, christlichen Inhalte, Besinnlichkeit und Traditionen in den Dienst des WHW und damit der NSDAP zu stellen.

Die Weihnachtsaktionen auf den städtischen Plätzen standen oftmals unter besonderen Motti, die sich auch in WHW-Abzeichen bzw. Türplaketten, den Belegen für Lohn- und Gehaltsabzug, wiederfinden. Sie postulierten die »Volksweihnacht« und die »deutsche Volksgemeinschaft« (Abb. 1, 2) und beschworen in den folgenden Jahren die »deutsche Auferstehung« und den »Glauben an die Zukunft« immer gepaart mit der Stimulierung und Stärkung der »Opferbereitschaft«5 (Abb. 3, 4).

 

Nach 1934 wurde der Schwerpunkt der national- sozialistischen »Volksweihnachts«-Veranstaltungen mit Kinderbescherungen und WHW-Sonderausschüttungen an Geld- und Lebensmitteln in große Innenräume verlegt. Im Berliner Ballhaus »Clou« feierte alljährlich Hermann Göring mit 500 Kindern, im Saalbau Friedrichshain Joseph Goebbels, dessen im Rundfunk übertragene Festansprache als Höhepunkt der Tausenden von gleichzeitigen Feiergemeinschaften im Land gedacht war.6

Neben den von WHW und NS-Volkswohlfahrt gesteuerten vorweihnachtlichen Feiern sollte auch die betriebliche Weihnachtsfeier der Reichsbahndirektion im Berliner Sportpalast 1933 der Einführung der »Volksgemeinschaft« in die Festgemeinde, der Säkularisierung des Weihnachtsfestes und seiner nationalsozialistischen Inszenierung im öffentlichen Raum dienen. Darüber hinaus bereitete sie schon 1933 den Weg für die Ideen eines mythischen »Deutschen Auferstehungs- und Erlösungsfestes«. Viele Elemente der erst später kanonisierten Feiergestaltung waren bereits in dieser pseudoreligiösen Großveranstaltung enthalten.7

Doch blieben in diesen ersten öffentlichen Weihnachtsfeiern nationalsozialistische Inhalte und christliche Traditionen gleichberechtigt nebeneinander bestehen, bindende Richtlinien gab es noch nicht.

Einen ähnlichen Spielraum wiesen auch die WHW-Abzeichen in ihrer Gestaltung auf. In der Produktion waren noch regionale, von den reichsweiten Vorgaben abweichende Formen und Materialien erlaubt, und traditionelle weihnachtliche Motive, wie Lichterbaum, Engel und St. Nikolaus oder Pflanzliches wie der Tannenzweig (Abb. 5), wurden beibehalten. Auch ein Abzeichen zu einer »Braunen Weihnachtsmesse 1933«, nicht vom WHW, sondern von der NS-Handelsorganisation herausgegeben, zeigt ein Brustbild Christi mit dem Symbol seines eigenen Opfers, dem Lamm Gottes, im Arm (Abb. 6).

Die Erarbeitung eines einheitlichen nationalsozialistischen Feierstils erfolgte durch eine Vielzahl zum Teil miteinander konkurrierender Ämter: die parteieigenen, kulturellen Dienststellen, das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das dem Reichsführer-SS Heinrich Himmier unterstellte »SS-Ahnenerbe« und das sogenannte Amt Rosenberg, die Uberwachungsstelle für weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAR

Dabei war das Weihnachtsfest Teil des nationalsozialistischen Jahresfestkalenders,der mit seinen Terminen - dem »Tag der Machtergreifung« am 30. Januar, dem 1. Mai, der Sommersonnenwende im Juni, dem Reichsparteitag, dem Erntedankfest sowie der Wintersonnenwende im Dezember und vielen anderen - das christliche Feierjahr völlig ersetzen sollte. Für alle größeren Anlässe war ein »arteigenes Brauchtum« zu entwickeln.

Ab 1935 erschienen unzählige Veröffentlichungen als Dienstanweisung der Parteistellen, Schulungsunterlagen der HJ, des NS-Lehrerbundes, der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude«, der Deutschen Arbeitsfront und anderer. Mit detailliertem Anschauungsmaterial zu vorweihnachtlichen öffentlichen Feiern bildeten sie die Grundlage für die angestrebte Umerziehung der Bevölkerung.8

In der Raumausstattung und beim Tischschmuck sollten christliche Symbole gänzlich eliminiert werden, an zentraler Stelle löste nun ein riesiges Hakenkreuz oder Sonnenrad das christliche Kreuz ab. Aufbau und Dramaturgie der Feiern mit ihren Liedern, Texten, Reden, Bekenntnissen und einstudierten Spielen erinnerten von der Form bis in die Wortwahl an die Liturgie eines Gottesdienstes, auch wenn die Rituale nun mit neuen Inhalten gefüllt waren.

1935 wurde erstmals die Wintersonnenwende - auch »Julfest« genannt- in großem Rahmen, mit ihrer ganzen Licht- und Feuersymbolik und dem Mystizismus nationalsozialistischer Prägung, begangen.9 Als gemeinschaftliches Bekenntnis der SS zu »Führer und Volksgemeinschaft« waren es nächtliche Feierstunden im Freien unter Beteiligung der HJ, in die Helden- und Totengedenken bereits Eingang gefunden hatten.

Hier wie in den vorweihnachtlichen Feiern der Partei und parteinaher Organisationen waren die angestrebte Umwandlung und Kanonisierung der Weihnachtszeit zum gröBten Teil erreicht.

 

Weihnachten in der Familie

Für die Beeinflussung der Weihnachtsfeier im Familienkreis zählte man bis dahin auf eine eher indirekte Wirkung durch die Teilnehmer an organisierten vorweihnachtlichen Feierstunden, die die Gemeinschaftserlebnisse in die Familie tragen würden. Eine Verbindung zwischen der Wintersonnenwende und dem Familienfest am Heiligen Abend stellte ein 1939 vorgeschlagener Brauch, die »Heimholung des Feuers«, dar.'° Am bewachten Sonnenwendfeuer holten am Weihnachtsabend Kinder mit selbstgebastelten und sinnbildverzierten Laternen das »Licht der Gemeinschaft« in jedes Haus, um dort die Kerzen des eigenen Weihnachtsbaumes zu entzünden. Auch hier wurde Totengedenken integriert, sei es durch Nennung der Verstorbenen an jenem Ort oder durch Ubernahme des Lichts aus der Flamme eines Heldenmals Gefallener. Dieser Brauch fand jedoch keine größere Verbreitung und fiel zusammen mit der Entfachung von Sonnenwendfeuern dem später eintretenden Verdunklungsgebot anheim.

Mit Kriegsbeginn wurde versucht, eine Einflußnahme auf das familiäre Fest gezielt zu erreichen, um so mehr, da die zentral und lokal auf allen Parteiebenen inszenierten Feierlichkeiten im Verlauf des Krieges aus finanziellen Gründen in Anzahl und Aufwand stark gedrosselt wurden. Außerdem schienen festgelegte Feierabfolgen oder starre rituelle Handlungen und autoritäre Durchsetzungsweisen für eine Wandlung des Familienfestes wenig geeignet.

Ein wirksames Mittel sah man in den vielen »Weihnachtsbüchern für die Familie« und »Adventskalendern«, herausgegeben von den oben erwähnten parteiamtlichen Stellen, die zahlreiche Vorschläge zur häuslichen Festgestaltung beinhalteten."

Märchen, die biblischen Erzählungen ersetzend, Gedichte, Rollenspiele, Backwerk und Lieder, die der Verbreitung germanischer Mythen dienten, füllten die reich bebilderten, dicken Bände.12

Die neuen oder überformten nationalsozialistischen Lieder, mit alten oder neuen Melodien, die auch bei HJ-Feiern und BDM-Heimabenden ange- stimmt wurden, waren aller christlichen Bezüge entkleidet.13 Sie vermittelten Gedankengut zu Sonnenwende, Auferstehung von Natur und Reich, zur »Retterrolle Hitlers«, zur »völkischen Auserwähltheit« sowie zu nationaler Ubersteigerung überhaupt. Statt der Marienverehrung wurde eine Heiligung der deutschen Mutterschaft propagiert, anstelle des bekanntesten Weihnachtsliedes »Stille Nacht, Heilige Nacht« die »Nacht der hohen Sterne« (Hans Baumann) eingeführt.

Eine besondere Rolle spielten die wissenschaftliche Disziplin der Volkskunde und viele ihrer Vertreter, die in den Sachtexten der Weihnachtsbücher und in unzähligen Aufsätzen der Fachpublikationen ab 1933 die Verwandlung der weihnachtlichen Bräuche wissenschaftlich zu untermauern suchten.14 Aus der seit dem 19. Jahr hundert aufgeworfenen Frage nach den germanischen Wurzeln des Weihnachtsfestes wurde nun der immer wiederholte Vorwurf an die Kir- che, sich unrechtmäßig germanisches Brauchtum angeeignet und es ausgenutzt zu haben.15 Die volkskundlichen Veröffentlichungen waren ein Mittel im nationalsozialistischen Kirchenkampf.

Kein Element eines Brauches im Dezember, das nicht eine Umdeutung erfuhr. Der Christbaum wurde als »Weihnachts-« oder »Lichtbaum« zum immergrünen Symbol ewigen Lebens, das Christ kind zum »Lichtkind«, mythische Gestalten, zum Beispiel Frau Holle oder die dämonischen Gefährten der Perchta, bevölkerten die weihnachtlichen Nächte. Der heilige Nikolaus wich dem  »Sonnenwendmann«, der Adventskranz dem »Sonnenwendkranz«, an dem nun die Kinder des Hauses »Lichtersprüche« aufsagen konnten. Diese Zweizeiler waren der Mutter, den Armen, den gefallenen Soldaten oder dem Führer gewidmet.16

Breiten Raum nahm in den Weihnachtsbüchern das Thema des »richtigen« Baumschmuckes ein. Seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hatte der geschmückte Weihnachtsbaum als »deutsches Symbol« gröBte Verbreitung gefunden und war im nationalen Taumel bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit Symbolen des Reiches und des Kaiserhauses verziert worden (s. S. 10). Hieran konnte man nun nach 1933 anknüpfen, um den Baum zu einem Zeichen nationalsoziali- stischer Geisteshaltung zu machen.

Besonders reichhaltig waren dazu die Vorschläge zur eigenen Herstellung von Schmuckelementen, mit denen man die »Wiederbelebung« der »verschütteten, urgermanischen« Bräuche zu erreichen trachtete. Runen und Lichtzeichen konnten aus Teig gestochen oder aus Holz gesägt werden. Für die Baumspitze war ein aus Goldpapier geba- steltes Sonnenrad vorgesehen.

Das aufzuhängende, »Gebildebrot« genannte Backwerk deckte jetzt mit seinen Darstellungen das ganze Sammelsurium nordisch-germanischer Sagen und Ideen ab: von Glücks-, Licht- und Lebenssymbolen, Gestirnen und Runen über Jagdwild und Kleingetier zu den mythischen Gestalten der Heiligen 12 Nächte, Frau Holle mit ihrem Gefolge, Luzia, dem Schimmelreiter und Wotan. Auch ein Adler, der den Engel ersetzte, Märchengestalten und - als Anklang an das praktische Leben - Dekor aus Bauernhäusern, Möbel und Gerätschaft wurden angeregt.17

Zu dem Selbstgemachten kamen die Angebote der Weihnachtsmärkte und Läden. Industriell gefertigter Baumschmuck war, soweit er der nationalsozialistischen Weltanschauung diente, wesentlich eingeschränkter in der Motivauswahl und brachte, so deutet das bis heute Erhaltene an, zumeist das Hoheitszeichen der Partei ins Wohnzimmer. Verkauft wurden auch »Julschmuck«-Serien mit 6-12 geblasenen Kugeln aus der Lauschaer Glasindustrie. Sie zeigen Haken- und Radkreuz, Eichenlaubrahmung und Nationalfarben, Runen, Fahnen, Stahlhelm, Lebensbaum und Tiere oder den Namen des Führers (Abb. 8). Kugeln mit dem Eisernen Kreuz lieferten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das direkte Vorbild (s. S.10).

Auch das Hakenkreuz an höchster Stelle, an der Spitze des Baumes als Symbol für die »lichte Zukunft und (den) ewigen Bestand« des Reiches, fehlte nicht im Angebot18 (Abb. 7).

Daneben gab es viel Traditionelles - Tannenzapfen, Nüsse, Tiere, Trompeten, Häuser, Weihnachtsmänner und ähnliches mehr- aus den altbekannten Produktionsstätten in Thüringen, Sachsen, Berchtesgaden und anderen Landesteilen.

Ein bunter Weihnachtsteller legte die völkische und rassehygienische Ausrichtung auch des vnationalsozialistischen Weihnachtsfestes mit seiner Aufschrift »Willst du nicht kraus' Gestrüpp im Völkerwalde sein, halt dir die Wurzel deines Baumes rein!« offen (Abb. 9).

Die Abzeichen des Winterhilfswerkes fanden spätestens in den Kriegsjahren Verwendung als Weihnachtsbaumschmuck. Auf so harmios erscheinende Weise unterstützten sie die Einschwörung auf die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« sowie den Kriegswillen.

Sie spiegeln in ihrer Motivik viele der erwähnten Leitlinien zur Umwandlung des Weihnachtsfestes wider. Wiesen die kleinen Spendenbelege in den ersten beiden Jahren des WHW noch christliches Gedankengut auf, zum Teil auch schon stark profanisiert, wie das Holzabzeichen »Junge Mutter / Maria mit dem Kind« (Abb. 10, 11) zeigt, so tauchten statt dessen ab 1936, ebenfalls als bemalte Laubsägearbeiten, Licht- und mythische Gestalten, Sagen- und Märchenfiguren oder Monatsdarstellungen mit passenden Attributen auf (Abb. 12).

Zu ihnen gesellten sich aus den Gebieten der Holzverarbeitung in Anlehnung an altbekannte gedrechselte Figuren, die einst nur Weihnachtspyramiden und -leuchter bevölkert hatten und erst im 20. Jahrhundert als Baumschmuck Verwendung fanden: NuRknacker, Weihnachtsmänner, Bergmänner, Kasper und Zwerge, Räuber und Prinzessin und vor allem der bis in die heutigen Tage beliebte Sonneberger Reiter auf dem Schaukelpferd (Abb. 14).

Auch Spielzeug war seit langem fester Bestandteil des Baumschmucks und wurde vom WHW in Serien herausgegeben (Abb. 16).

Mit den Aufträgen zur Abzeichenproduktion an das Glas, Papier, Metall, Ton und andere Materialien verarbeitende Gewerbe konnte sich das WHW der Unterstützung der notleidenden Heimindustrie und industriellen Fertigung im Thüringer und im Westerwald, in der Eifel und im Erzgebirge, in Sachsen, Österreich und anderswo rühmen.

Auch Porzellanfiguren, die Berufe oder lokale Originale darstellten, Tierabzeichen aus Glas, Bauernhausabbildungen auf Sperrholzplättchen (Abb. 15) und kleines Holzgeschirr oder Lied- und Märchenhefte (Abb. 13, 17) waren als Baumschmuck denkbar. Zwar nicht immer im Dezember verkauft, besaßen sie doch einen Tragefaden und hielten sich an Themen der »deutschen Heimat«, der »deutschen Volksgemeinschaft« und der »Heimholung ins Deutsche Reich« (Abb. 18).

Wesentlich größere Rückschlüsse auf die Gesinnung des Weihnachtsbaumbesitzers ließen Runenabzeichen (Abb. 20) und direkt auf den Krieg Bezugnehmendes wie Waffen-, Munitions- und Wehrmachtsdarstellungen bei Aufhängung zu (Abb. 19). Einen besonderen Stellenwert erhielten jedoch die ca. 36 Seiten starken und bebilderten Heftchen zu des »Führers Taten«, sieht man diesen Baumschmuck im Zusammenhang mit der Erhöhung Hitlers zum »gottgesandten Retter des deutschen Volkes«, wie sie in Reden, Schriften und sogar in Schuldiktaten gerade zur Weihnachtszeit propagiert wurde (Abb. 21, 22).19

 

Kriegsweihnacht

In den Jahren nach 1940 gab es nicht nur Kriegerisches in der Feiergestaltung und beim WHW-Abzeichenverkauf. Krieg und Weihnachten wurden auf vielen Ebenen miteinander verknüpft.

Keine Weihnachtsausgabe der Parteipresse blieb ohne das Thema der Front- und Feldweihnacht. Kleine Weihnachtsbäumchen, wie schon im Ersten Weltkrieg an die Front gesandt, erreichten zusammen mit oft sentimentalen Postkarten in Pappschachteln die Soldaten in Rußland und am Atlantik. Auch in den von der Post unerreichten Gräben blieben die Wehrmachtsangehörigen nicht ohne Weihnachtsbaum, selbst wenn es sich, wie in Stalingrad, um eine geschmückte Distel handelte.20 Von dort kamen die Nachrichten der Kriegswende und von immer größeren Totenzahlen. Die Propaganda für das Familienfest wurde noch einmal verstärkt und das Weihnachtsfest für den Krieg instrumentalisiert.

Die »Deutsche Kriegsweihnacht«, von der Reichspropagandaleitung der NSDAP 1941-1944 für Familien und Soldaten an der Front gleichermaßen bestimmt und in großer Auflage herausgegeben, und andere Weihnachtsbücher halfen, das Fest im Sinne eines Gedenkens an die eigenen toten Soldaten umzuinterpretieren. Der eigentliche Kern des Weihnachtsfestes wurde nun hart attackiert: Statt der Geburt Christi stand der Tod der gefallenen »Helden« im Mittelpunkt.

Kultische, an das Abendmahl erinnernde Handlungen wurden dem Familienoberhaupt zur Ausführung vorgeschlagen. Im Haus konnte das Be dürfnis, den Toten zu vergegenwärtigen, durch eigens für ihn entzündete Lichter am Nadelbaum oder im Fenster, durch ein zusätzliches Gedeck bei Tisch oder ein in die Zweige gehängtes Porträt befriedigt werden.

Eine in den Aufsätzen der »Deutschen Kriegs weihnacht« 1944 erschienene Legende und ein dazugehöriges Gedicht ließen den toten Soldaten am Weihnachtsabend heimkehren; und am Grab wurde seiner mit einem Lichterbaum gedacht.

Nicht jedes dieser Feierelemente war neu. Eine neue Qualität erhielt das Totengedenken im Dritten Reich dadurch, daß es das familiäre Weihnachtsfest so tieigreifend zu erfassen suchte: Es wurde von den Nationalsozialisten letztlich zu einem reinen »Totenfest« umgedeutet, dessen germanische Abkunft schnell erklärt war. Sein Sinn lag nun allein in der Heldenverehrung von Gefallenen und deren Angehörigen in ihrer Opferbereitschaft, einer Opferbereitschaft, die seit 1933 vom Winterhilfswerk zum Teil erzwungen, aber meist auf tatkräftige Bereitwilligkeit stoßend, gefördert worden war.

Die Beurteilung, inwieweit die NS-ldeologie tatsächlich in das familiäre Weihnachtsfest eindringen konnte, fällt heute schwer. Gewiß hingen die Schmuckelemente mit nationalsozialistischer Symbolik nicht so dichtgedrängt, ohne Raum für Traditionelles, am Weihnachtsbaum, wie einige Abbildungen von Nachgestelltem glauben ma- chen.21 Einen Eindruck von zeitgenössischer Gestaltung liefert die Aufnahme aus dem Zuhause eines HJ-Jungen.22 Hier war der festliche Baum Krönung einer auch sonst reich mit

nationalsozialistischem Bildschmuck versehenen Wohnung eines SA-Mannes und trug neben weiterem solche Objekte aus der Weihnachtsproduktion, die ihn zum »Julbaum« nazifizierten. Auf der anderen Seite war das Beharrungsvermögen von Traditionen in der Feiergestaltung des Familienfestes schlechthin mit seinen über Generationen weitergegebenen Bräuchen und Gegenständen wohl besonders groß.

Jedoch der industriell hergestellte Weihnachtsbaumschmuck wurde in großer Zahl verkauft, der Einfluß auf die in NS-Verbänden organisierte Jugend durch weihnachtliche Feiern und nächtliche Rituale war nicht unerheblich, und die nationalsozialistisch gewandelten Lieder wurden zum Teil noch in den 1950er Jahren unerkannt und unkritisiert weitergesungen.23

Als der Krieg die eigene Zivilbevölkerung erreichte, wurde die Anzahl der Weihnachtsbäume in den Häusern geringer. Oft wurden sie ersetzt durch aufgesammelte Zweige und sogar mit eingewickeltem Würfelzucker behangen.24 Am Himmel erschienen statt dessen die »Christbäume« der Alliierten als Zielgebietsmarkierungen für die nahenden Bomberflotten.

Schon im März 1943 war die Spielwaren- und Weihnachtsbaumschmuck-Herstellung verboten worden. Material und Arbeitskräfte wurden in der Rüstungs- und anderen kriegsbedingten Industrie benötigt. Im gleichen Monat wurden die letzten offiziellen Winterhilfswerk-Abzeichen verkauft. Angebotene Stücke nach dieser Zeit sind Abzeichen aus Restbeständen früherer Sammlungstage oder lokale Ausnahmen.

 

Anmerkungen:

1 Karl-Heinz Schmeer, Die Regie des offentlichen Lebens im Dritten Reich, Munchen 1956, S. 93, spricht von 700 Baumen allein für Berlin 1934.

2 Hilgenfeldt war in Personalunion seit Frühjahr 1933 auch Leiter der NS-Volkswohlfahrt, der das WHW jedoch nicht angegliedert wurde. Vgl. Herwart Vorländer, NS-Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34 (1986), S. 341-380, hier S. 369 ff.

3 Vgl. ders., Die NSV Darstellung und Dokumentation einernationalsozialistischen Organisation, Boppard a. R. 1988, 5. 44.

4 Gemessen am Spendenaufkommen der anderen WHW-Maßnahmen war der Abzeichenverkauf von untergeordneter Bedeutung.1933/34 entfielen von 184.272,- RM aus Geldspenden s.896,- RM auf den Abzeichenerlos (Gesamteinnahme: 358.136,- RM), 1940/41 von 893.654,- RM 137200,- RM (Gesamteinnahme: 916.240,- RM); wie Anm. 3, S. 236 f. (Dok Nr. 53).

5 Wie sehr die WHW-Abzeichen alle Facetten der NS-Weltanschauung widerspiegeln, ließe sich anhand des großen Abzeichenbestandes des Deutschen Historischen Museums und mit Hilfe von Sammierkatalogen aufzeigen. Vgl. auch Hans-Ernst Mittig, Kunsthandwerkdesign fur kleine Leute: Abzeichen des Winterhilfswerkes 1933-1945, in: Werkbund-Archiv 20, Gießen 1990, 5. 98-123.

6 Berichte erschienen in den Tageszeitungen, zum Beispiel »Volkischer Beobachter« vom 24. 12. 1938, S. 2.

7 Die Weihnachtsfeier der Reichsbahn analysiert Karl Friedrich Reimers, Der Führer als völkische Erlosergestalt, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 19 (1968), H. 3, 5.164-175, anhand eines Filmdokuments.

8 Ein Beispiel: Volksweihnachtsfeiern Anrequngen und Richtlinien, hg. von der Gaupropagandaleitung Ostpreußen der NSDAP, Königsberg/Pr. (um 1937).

9 Zu diesem Aspekt der feierlichen Inszenierungen siehe Albrecht W. Thöne, Das Licht der Arier. Licht-, Feuer- und Dunkelsymbolik des Nationalsozialismus, Munchen 1979.

10 Vgl. Thilo Scheller, Die Heimholung des Feuers, in: Deutsche Volkskunde 1 (1939), 5.293-296.

11 Zum Beispiel: Vorweihnachten (Adventskalender), hg. vom Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP, Munchen 1942.

12 Ein Beispiel: Karl Heinz Bolay (Hg.), Deutsche Weihnachten. Ein Wegweiser für Gemeinschaft und Familie, Berlin 1941.

13 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann, Das Buch der Weihnachtslieder, Mainz 1982, 5. 226-237.

14 Eine erste Betrachtung der Volkskunde in der NS-Zeit liefert Esther Gajek, Weihnachten im Dritten Reich. Der Beitrag von Volkskundlern an den Veränderungen des Weihnachtsfestes, in: Ethnologia Europaea 20 (1990), 5.121-140.

15 Zum zeitgenossischen Vorwurf an die Kirche und zur Germanisierung der Bräuche vgl. Wolfgang Schultz, Weihnachten, in: Nationalsozialistische Monatshefte S (1935), S. 1058-1086.

16 Vgl. Esther Gajek, wie Anm.14, 5.133.

17 Vgl. Karl Haiding, Backwerk fur den Weihnachtsbaum, in: Die Spielschar 11 (1938), 5. 426-428.

18 Vgl. Vorweihnachten 1942 vom Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP, 5.19.

19 In einem Diktat »Jesus und Hitler« von 1934 aus einer Volksschulklasse in Münster heißt es: »Wie Jesus die Menschen von der Sünde und Hölle befreite, so rettete Hitler das deut sche Volk vor Verderben ..<<, in: Johann Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand, 2. Aufl., Munchen 1946, Teil 1, 5.111 f

20 Vgl. Heinz Blaumeiser / Eva Blimlinger (Hg.), Alle Jahre wieder ... Weihnachten zwischen Kaiserzeit und Wirtschaftswunder, Wien/Köin/Weimar 1993, 5.176.

21 Vgl. Manfred Klauda, Die Geschichte des Weihnachtsbaumes, München 1993, 5. 61.

22 Vgl. Walter (1926-1945). Leben und Lebensbedingungen eines Frankfurter Jungen im lll. Reich, bearb. von Cornelia Rühlig und Dr. Jürgen Steen, FrankfurVM.1983, S 55

23 Vgl. Rainer Stollmann, Nazi-Weihnacht, in: Terror und Hoffnung in Deutschland 1933-1945, hg. von Johannes Beck, Werner Heinz u. a., Reinbek 1980, S. 300-314, hier S. 313, Anm.13.

24 Vgl. Marianne Wappelshammer, Wir feierten friedlich und gemutlich bei Petroleumbeleuchtung und Kachelofen, in: Heinz Blaumeiser / Eva Blimlinger, wie Anm. 20, S. 227

WB01624_2.gif (281 Byte) Zurück zu Inhalt                            WB01339_.gif (896 Byte)