Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Die erste Ausstellung wird eine Gemeinschaftsschau anläßlich des ersten Todestages von Pablo Picasso. Bei einem Atelierbesuch bei seinem Dresdner Malerfreund Peter Herrmann – Schweinebraden lebt vor seiner Berliner Zeit in der Elbestadt und hat engen Kontakt zum Künstlerkreis um Herrmann, A.R. Penck und Graf – sieht er auf der Staffelei eine gemalte Hommage an Pablo Picasso. Das läßt ihn vermuten, daß auch andere Künstler diesem Thema nahestehen. Er solte recht behalten, denn es reichen immerhin 30 Maler und Grafiker ihre Arbeiten für die im April 1974 stattfindende Galeriepremiere “In Memoriam Pablo Picasso” ein. Qualität und Resonanz überzeugen gleichermaßen. So entwickelt sich in der 40 qm großen Wohnungsgalerie, die kaum 35 m Hängefläche bietet, bald ein reges Programm. Reguläre Öffnungszeiten braucht Schweinebraden nicht. Interessenten können bis 23 Uhr an der Wohnungstür klingeln und werden dann vom meist Pfeife rauchenden Galeristen herumgeführt. Bis zu seiner Ausreise im November 1980 organisiert Schweinebraden insgesamt über 70 Ausstellungen, darunter Expositionen von in der DDR kaum gewürdigten Altmeistern wie den Dresdnern Albert Wigand und Herbert Kunze. Zugleich räumt er Künstlern seiner Generation weithin beachtete Personalausstellungen ein.

Zum Hauptschwerpunkt der EP Galerie wird aber die internationale zeitgenössische Kunst. Im Gegensatz zu den Programmen anderer Selbsthilfegalerien wird Schweinebraden nicht zum heimligen Kiezkunst-Podium. Schweinebraden will mehr und öffnet seine Galerie auch für westliche Künstler – ein riskantes Novum und prägnantes Markenzeichen, das ihn auch in der offiziellen Galerieszene des Landes unverwechselbar macht. Zugleich avanciert er zunehmend zur unverzichtbaren Informationsquelle für die von der westeuropäischen Entwicklung abgeschnittenen Künstler, Kritiker und Sammler in der DDR. “Daß eine regelmäßige ‘nichtoffizielle’ Ausstellungstätigkeit sich schnell in den Künstlerkreisen Westberlins herumsprach, lag sicher daran”, meint Schweinebraden rückblickend, “daß man einerseits neugierig auf einen so irren Typen war, der tat, was es in dieser restriktiven Gesellschaft nicht geben konnte. Andererseits hatte es mit dem Klima der Ausstellungseröffnungen zu tun, das auf Besucher aus dem Westen in seiner andersartigen Qualität von echter Neugier, ja Wißbegierde der ‘einheimischen’ Besucher nicht nur exotisch wirkte, sondern unmittelbarer, an der Kunst orientierter und sich nicht auf das Bewußtsein reduzieren ließ, Mitglied einer Szene zu sein.”(7)

Die Zollprobleme beim deutsch-deutschen Kunsttransfer werden durch mobile Ausstellungskonzepte umgangen, bei denen die präsentierten Werke oft erst vor Ort entstehen. Schweinebraden organisiert das Material, die Künstler arbeiten in der Galerie. Oder man entscheidet sich für weniger transportintensive Arbeiten wie Fotografien oder Zeichnungen, die mitunter auf abenteuerliche Weise in Postpaketen und hinter Kofferraumklappen von Diplomatenwagen den Weg in die Dunckerstraße finden.

Ansonsten entzieht sich Schweinebraden jedoch ganz bewußt den konspirativen Methoden einer Untergrundgalerie. Mit größtmöglicher Offenheit und Transparenz versucht er, kein Geheimnis aus seinem Projekt zu machen. Gespräche mit westlichen Journalisten wehrt er ab, bei den Vernissagen ist kein Platz für provokante Aktionen. Da die Staatssicherheit im sprachgewandten und scheinbar ohne größere Furcht vor den staatlichen Mächten agierenden Psychologen mindestens eine Kontaktperson zu konspirativen Zirkeln vermutet, läßt sie gewähren. In der Hoffnung, über den mit enormen Aufwand observierten Galeristen an die vermuteten Hintermänner und Dissidentengruppen heranzukommen. “So hat – Paradoxie täglicher DDR-Realität – das MfS meine Aktivitäten ermöglicht”, analysiert Jürgen Schweinebraden nach seiner Akteneinsicht in der Gauck-Behörde, “und sich zugleich daran wundgerieben.”(8)

Die Freiräume nutzt der Jürgen Schweinebraden konsequent und schlitzohrig, denn auf diese Weise kann er der DDR-Szene in seiner Galerie jahrelang neuartige Kunstformen bieten. Das Spektrum reicht von Konzeptkunst und experimenteller Fotografie über Mail Art bis hin zu – wie er sagt – ersten Performance auf dem Boden der DDR, die am 27.5.1977 der tschechische Künstler Petr Stempera in der Hinterhauswohnung in Szene setzt. Zugleich nutzt er das Podium auch für andere Genres. In zirka 40 Veranstaltungen werden in der kleinen Wohnungsgalerie zahlreiche Werke von Zeitgenossen uraufgeführt – etwa kammermusikalische Kompositionen von Paul-Heinz Dittrich oder Hermann Keller. Daneben gibt es Free-Jazz mit internationalen Koryphäen von Günther “Baby” Sommer bis zu Ernst Ludwig “Luden” Petrowsky und Theaterabende mit dem Dresdner Puppenspieler Gottfried Reinhardt. Aufsehen erregen auch die “Verfremdungs-Aktion” des Münchener Aktionskünstlers Otto Dreßler 1977 oder ein Jahr später die Performances von Anna Banana und Bill Caglione sowie von Marcel Odenbach und Michelangelo Pistoletto. Seine Galerie wird in der abgedunkelten Nischenwelt der DDR schnell “zum Synonym für moderne Kunst schlechthin”(9). Was Schweinebraden zeigt, ist zwischen Saßnitz und Suhl sonst nirgendwo zu sehen: Fotografien von Bernd und Hilla Becher, Siebdrucke von Equipo Cronica, Aquarelle von Richard Gordon Stout und schließlich, kurz vor seiner Ausreise, noch Werke von Raffael Rheinsberg und Stephen Williats.


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