Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Ärmer werden die ccd-Leute davon allerdings nicht. Nach der Zeit der lila Baumwollkleider und gefärbten Windeln für die unangepaßten Intellektuellen-Hälse boomt die Ledermode im alternativen Quartier. Auch die ccd-Crew fängt an, Jacken, Hosen und Mäntel aus Leder zu nähen und erschließt sich damit einen Markt ohnegleichen. Das Material besorgt man sich direkt vom Hersteller, verkauft wird auf Märkten oder auf dem Wege der Privatbestellung. Die Rockstars werden aufmerksam. Fortan benähen Katharina Rheinwald und ab 1984 auch die neu in den Freundeskreis stoßende Angelika Kroker die Idole der welkenden DDR. Das Spektrum reicht von Tamara Danz über City zur Gruppe Pankow.

Unter der Lederproduktion geht allerdings auch der ccd-Zusammenhalt zu Bruch. Sabine von Oettingen heiratet zum Schein einen Amerikaner und lebt fortan im Westen. “So ernährte die böse Mangelgesellschaft ihre schwarzen Schafe, ignorierte sie oder griff nicht ein, war auch egal. Entledigen konnten sie sich ihrer schon, weil der Durst nach mehr die Wahlverwandtschaften in ihrer Blüte von selbst zerstörte,”erinnert sich Antje Schlag. “1986 die große Welle der genehmigten Ausreisen setzte die Voreiligen vor die Tür. Und ließ die Zufriedeneren zurück.”(11)

Höchste Zeit für Allerleirauh, ein Projekt, das viele aus dem alten ccd-Umfeld mit neuen Leuten zusammenführt. Von Katharina Reinwald kommt 1986 die Idee, eine große Show zu inszenieren. Zusammen mit Angelika Kroker bezieht sie eine Paterre-Werkstatt im Hinterhof des Mietshauses in der Gethsemanestraße 8. Robert Paris wohnt eine Etage höher. Der Name Allerleirauhstammt von Heike Krohne, damals ein begehrtes Model im Prenzlauer Berg. Das es sich bei der geplanten Show um “Das Ding aus Licht, Klang, Raum und Licht” handeln soll, ist ihnen vorher klar. Über ein Jahr brauchen die beiden Designerinnen, denen ohne Studium 1987 sogar die Kandidatur für den Verband Bildender Künstler gelingt, zur Anfertigung der Kollektionen. In einem Anflug von “Größenwahn”(12), gesteht Angelika Kroker heute, kommt ihnen die Idee, alles in Leder zu machen. Das begehrte Material ist teuer, also fertigt man zur Finanzierung Lohnarbeiten im kraftraubenden Manufakturtakt. Die beiden fahren auch direkt zu den Herstellen um an Leder zu kommen. Für manche Bühnen-Kostüme verwenden sie minderwertiges Spaltleder, von dem der Quadratmeter damals vier Pfennig kostet. Dafür entwickeln sie neue Verfahren: “Stretch-Gummi wird unter die gegerbte Tierhaut genäht, bis sie sich fältelt und schrumpelt wie eine alte Eiche,” heißt es bei Nikolaus Neumann. “Wulststrukturen erreichen sie mit eingenähten Schnüren, Zentimeter um Zentimeter Handarbeit. Sie pressen Muskelpartien in nasses Leder, bis es zur zweiten Haut geworden ist. Vier Wochen, bis zahllose verschiedenfarbige Lederrechtecke zu einem Schuppenmantel zusammengenäht sind, bis eine Schnallenjacke richtig verschnürt ist.”(13)

Die durchgemachten Nächte an den Ledernähmaschinen zahlen sich Anfang 1988 für Angelika Kroker und Katharina Reinwald aus: Allerleirauhs Premiere wird zur legendären Aktion. Im großen Saal des Hauses der jungen Talente versammeln sich an den drei Auftrittstagen jeweils über 600 Besucher, um die mehr als 80 Modelle in einer aufwendig inszenierten Show zwischen Performance, Modetheater und Multimediaevent zu sehen. Regen Anteil am Erfolg hat auch die Rockband Pankow. Sie steuert eine spezielle Musik zum Spektakel bei und macht “Das Ding aus Licht, Klang, Raum und Licht” zugleich zum Live-Auftritt, bei dem Gitarrist Jürgen Ehle an der Sitar glänzt. Der Andrang ist so riesig, daß das Modetheater mehrere Wochen en suite das Haus füllen könnte. Aber noch bestimmt nicht die Nachfrage das Veranstaltungsprogramm, erlaubt sind nur drei Auftritte. Die genügen auch, um das ehrgeizige Projekt, welches professioneller und hierarchischer arbeitet als die ccd-Spaßgemeinde, zur umworbenen Gruppe zu machen. Nur Hartmut König, Sekretär des FDJ-Zentralrates und kurz vor der Wende noch stellvertretender Kulturminister der DDR, stößt sich an den schrillen Outfits von Sven Marquardt und Szene-Friseur Frank Schäfer, die bereits seit ccd-Zeiten bei den Projekten des “Mobs” dabei sind.

Einige Zeit nach der erfolgreichen Premiere zerfällt die Gruppe nach einem Streit zwischen den beiden prägenden Designerinnen. Bei der zweiten Allerleirauh-Show im Dezember 1989 in der Gethsemanekirche ist Katharina Reinwald schon nicht mehr dabei. Nach der Wende gelingt Angelika Kroker mit der vom Regisseur Tilman Gersch besorgten Inszenierung “Rauhensee” in dem alten Gründerzeit-Stadbad in der Oderberger Straße nochmals ein Publikumserfolg. Der Name Allerleirauhtaucht allerdings in der Werbung schon nicht mehr auf – ihm bleibt die Legende. “Wir hatten schon das Gefühl, Fußstapfen in die Geschichte zu machen”(14), besinnt sich Katharina Reinwald an das Hochgefühl des unerwarteten Erfolgs. Und Angelika Kroker formuliert ihr damaliges Credo so: “Ich wollte schon etwas Großartiges schaffen. Was hier damals als Designermode existierte, konnte man vergessen. Die Faszination von Allerleirauh war, daß man in eine andere Haut schlüpfen konnte. Es war die Möglichkeit, sich in der DDR eine andere Welt zu bauen.”(15)

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