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Blickkontakte am Monument

Subversiver Magnetismus: Karl-Marx-Stadt wird in den letzten beiden DDR-Jahrzehnten unerwartet zum anregenden Kunstort

Am 9. Oktober 1971 wird das sieben Meter hohe Karl-Marx-Monument enthüllt. Und am 13. März 1973 eröffnet die mit schwarzgrünem Eichenparkett ausgelegte Galerie Oben. Zwei städtische Neuzugänge, welche Anfang der siebziger Jahre für gehörig Gesprächsstoff sorgen. Auf der einen Seite der kolossale "Nischel", wie die Karl-Marx-Städter in anhänglich machender Haßliebe den überdimensionierten Philosophenkopf nennen, um den aus Angst vor nächtlichen Farbbeutel-Werfern immer zwei Vopo-Posten streichen. Auf der anderen Seite die nobel renovierte 2-Etagen-Galerie, die aus ihrem unabhängigen Anspruch von vornherein kein Geheimnis macht. Jene in Rußland bestellte Marx-Plastik ist das tonnenschwere Maskottchen zu einem administrativen Akt, der bereits 1953 aus dem alten Chemnitz das neue Karl-Marx-Stadt, den vorbildhaften Wahlkreis Erich Honeckers, macht.

Die Galeriegründung dagegen ist der triftigste Grund, warum es eine ganze Schar Leipziger Kunsthochschul-Absolventen mitten ins sozialistische Musterstädtchen führt. Zwei Orte, die zumindest für die Bezirksverwaltung des Ministerium für Staatsicherheit ein gleichwertiges Sicherheitsrisiko bilden. So wird Gunar Barthel, langjähriger Leiter der Galerie Oben, im MfS-Jargon zum OV "Assistent". "Aufgrund der inoffiziell erarbeiteten Beweise und Hinweise wird sichtbar", formuliert die Staatssicherheit, "daß der Verdächtige den Versuch unternimmt, von einer antisozialistischen Position die sozialistische Gesellschaftsordnung zu schädigen, indem er die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit der 'Galerie oben' nutzt, um schrittweise die entscheidenden Grundlagen der sozialistischen Kulturpolitik anzugreifen. Er wirkt dabei mit bereits erkannten feindlich-negativen Kräften aus dem kulturellen Bereich zusammen." (1)

Karl-Marx-Stadt - sächsische Muster-Kommune eines vermessenen Sozialismus. Mit den Leipziger Kunsthochschulabsolventen Michael Morgner, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Gregor-Torsten Schade und dem vorrangig im nicht weit entfernten Annaberg lebenden Autodidakten Carlfriedrich Claus avanciert die triste Industriestadt in den frühen 70er Jahren zum merklich im Getriebe knirschenden Kunstübungs-Begriff. Nach dem dauerhaften Wechsel der Leipziger Absolventen ist Karl-Marx-Stadt fortan plötzlich in vieler Munde. Die 1977 erfolgte Gründung der Produzentengalerie und Künstlergruppe Clara Mosch (2) ruft immerhin 120 Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit auf den Plan. Trotz perfider Einsatzpläne kann das MfS die kollektive Energieleistung der Mosch-Gruppe nicht verhindern. Eine erfolgreiche Wachablösung im regionalen Künstlerverband und in der städtischen Künstlergenossenschaft bereitet den Coup vor. Georg Brühl (3), privater Kunstsammler mit zwielichtiger Funktion, sowie der Designer Claus Dietel sind die erfolgreichen Strippenzieher jener "Palastrevolution", die Honeckers Parole von einer sozialistischen Kultur der Weite und Vielfalt in die vorerzgebirgische Praxis zwingt. Wider Erwarten hält das Reformwerk - seitdem wirkt die Galerie Oben ungebrochen als subkulturelle Sozialisationsmarke. Jeden Mittwochabend wird sie zum freigeistigen Veranstaltungs-Podium. "Ohne Zweifel war die Galerie Oben mit ihren wegweisenden Ausstellungen und den Mittwochs ein eminent wichtiger Ort", erinnert sich Claus Löser, damals Literat, Filmemacher und Mitherausgeber der Untergrundzeitschrift 'A Drei', "hier bekam man als Neueinsteiger schnell Blickkontakt." (4)

Die Galerie Oben ist das wichtigste Alternativ-Angebot in der ansonsten eher dürftigen kulturellen Grundausstattung der 311.000-Einwohner-Stadt. Teilweise wirkt für unangepaßte Schichten auch das Karl-Marx-Städter Schauspielhaus unter seinem liberalen Intendanten Gerhard Mayer, der bereits Ende der 60er Jahre das Haus übernimmt, als Magnet. Unter Mayers Ägide findet nicht nur das Ensemble mit später auch überregional bekannten Mimen wie UIrich Mühe oder Cornelia Schmauß zu beachtlicher Akzeptanz. In den technischen Gewerken des Hauses kommen zudem "Problemfälle" und unangepaßte Jungkünstler unter - wie etwa die fünf Jahre als Beleuchterin arbeitende Dichterin Barbara Köhler. Das Foyer stellt der Intendant für Ausstellungen und mitunter auch für künstlerische Schmalfilmprojekte zur Verfügung. Im bahnhofsnahen "Klub der Theaterschaffenden", dem einzigen wirklichen Bohème-Lokal der Stadt, verweben sich die Lebensentwürfe. Daneben existiert noch der Klub der Intelligenz "Pablo Neruda" - für dessen Besuch wie auch beim Theaterklub man eigentlich einen Mitgliedsausweis braucht. Ein späterer Versuch, die unabhängige Künstlerkneipe "Marta" zu gründen, scheitert bereits nach einem Jahr.

Eine überschaubare Szenerie, die schnell an die enggesteckten Grenzen stößt als eine neue Generation nachrückt. Bis zur Mitte der 80er Jahre wird Karl-Marx-Stadt zum vernehmbaren Epizentrum eines sich auf neue Weise artikulierenden Unbehagens - bis die zahlreichen Talente aus der unwirtlichen Stadt in den Westen oder nach Ostberlin weiterziehen.

Anarchisches Kontinuum in der stark von Abwanderungen betroffenen Subkulturszene ist Klaus Hähner-Springmühl. (5) In einem Hinterhof-Atelier in der Richterstraße bleibt er über Jahre Anreger und Anlaufpunkt. Seine Performances erobern neue Denk- und Freiräume. Hans-Jochen Vogel, Pfarrer der Evangelischen Studentengemeinde, stellt den Gemeindesaal nicht nur für den Aktionisten zur Verfügung - auch ungelittene Autoren, Punkbands und künstlerisch ambitionierte Studenten der Technischen Hochschule, einzige akademische Ausbildungsstätte in der Bezirksstadt, finden hier ein Podium. "In der DDR gab es ja das Phänomen der Umlenkung von Studienanwärtern", berichtet Pfarrer Vogel, "also Leute, die Maler studieren wollten, landeten plötzlich beim Maschinenbau. Auf diese Weise sind eine Menge Leute hierher zum Studium gekommen, die es eigentlich nach etwas anderem drängte. Die haben in der Studentengemeinde nach etwas anderem gesucht und diese Möglichkeit auch genutzt." (6)

 

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