Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Republikweit ins Gespräch kommt das Leonhardi-Museum allerdings erst später, vor allem durch zwei Gruppenausstellungen, die heftige Reaktionen auslösen. Zu dieser Zeit arbeitet in der ehrenamtlichen Arbeitsgruppe der Maler Eberhard Göschel neben Thea Richter, Claus Weidensdorfer, Peter Herrmann, Klaus Dennhardt, Diether Schmidt und Michael Freudenberg. Unter ihrer Ägide schlägt das Leonhardi-Museum einen Kurs ein, der die städtischen Kulturwächter bedenklich stimmt. Im Herbst 1979 etwa plant die Arbeitsgemeinschaft Leonhardi-Museum, so der korrekte und nicht gerade nach Aufruhr klingende Name des Künstlerteams, das dreigeteilte “Dezennien”-Projekt. Im ersten Teil sollen 20- bis 30jährige Künstler in einer “Türenausstellung” ihre Arbeiten präsentieren, nach ihnen die 30- bis 40jährigen, unter ihnen auch der mit Ausstellungsverbot belegte A.R. Penck, und zum Schluß die 40- bis 50jährigen – ein Wettstreit der Generationen also, der bereits nach dem Debüt zu einem Schlagabtausch mit der hysterisch reagierenden Kulturpolitik führt.

Schuld daran ist die verflixte Symbolik der Tür, die in den Installationen und Objekten der jungen Künstler gesellschaftspolitische Brisanz gewinnt. Genau wie sich Anfang der 70er Jahre eine Vielzahl von Lyrikern an der Metapher des Fensters verbraucht – entweder als sentimentaler Innenreflex oder naives Zeichen der Hoffnung –, so verhilft das vorgegebene Thema Tür der Ausstellung zu einer provokanten Dimension. Dabei ist die Vielfalt des Umgangs beachtlich. Sie reicht vom metaphorischen Poeten-Kabinett zwischen den Welten, einem selbstbestimmten und widerständig behaupteten “Raum des Dichters”, den Cornelia Schleime aus zwei ausrangierten Wohnungstüren baut, bis zu Installationen von Ralf Kerbach und Volker Henze, in denen Spind- und Gittertüren als Symbol von Nomierung und Haft die andere Dimension des Themas demonstrieren. Innen und Außen, Fluchtburg und Zwangsasyl, Depression und Attacke – die Tür wird zur Matrix eines Lebensgefühls, die Türenausstellung zur Generationsmetapher. Ein kollektives Manifest, gezimmert aus Selbstbehauptung und ins Offene drängender Wut, das auch für die Funktionäre lesbar bleibt, zumal die Ausstellung von einer Aktion begleitet wird, die später ins kollektive Gedächtnis der Dresdner Subkultur aufgenommen werden soll. Thomas Wetzel, beim Türen-Skandal im Leonhardi-Museum mit einer Installation beteiligt, erweitert kurzerhand den abgesteckten Aktionsraum. Am Loschwitzer Elbufer verbrennt er Türen mit Benzin: eine flackernde Ansage der Zeit. Daraufhin tagen Kommissionen, fahnden Kulturpolitiker nach den Ursachen solch abnormer Sozialisationsreflexe. Für Ralf Kerbach und Reinhard Sandner hat die Ausstellung ganz konkrete Folgen. Sie werden vom amtierenden Rektor der Kunsthochschule aufgefordert, die Akademie zu verlassen(7). Bei der zweiten Dezennien-Ausstellung sind die Genossen wachsamer. Nach Querelen um die Teilnahme von A.R. Penck wird die Exposition kurzerhand verboten.

Ähnlich Furore macht 1982 nochmals die Gemeinschaftsausstellung “Frühstück im Freien”, ausgerichtet von einer neubesetzten Arbeitsgruppe, an der mit Volker Henze, Reinhard Stangl, Ursel und Hans Scheib, Karla Woisnitza und dem federführenden Michael Freudenberg alles andere als systemkonforme Künstler beteiligt sind. Zeitgleich zur IX. Kunstausstellung laden sie zu einer Hommage an Edouard Manet und sein Bild “Frühstück im Freien” aus den Jahr 1863. Statt der im Albertinum vorrangig präsentierten Kunst im Auftrag dominiert hier der sinnliche Gegenentwurf, der stolz seine Tradition vorzeigt. So werden die spielerischen Boheme-Attitüden beim mit Grazien nachgestellten Frühstück an einer laubbekränzten Tafel zum Affront gegen die offizielle Kunstschau der DDR interpretiert. Hans Scheib holt sich einen Pferdekopf aus dem Schlachthaus und rammt ihn vor dem Leonhardi-Museum auf eine sechs Meter hohe Stange – ein verweiskräftiger Künstlergruß, den die zur Kontrolle erschienenen Verbandsoberen nur mißmutig qoutieren. Die Aktion hat Folgen: Noch während der Ausstellung muß Peter Graf sein Bild “Alles zum Wohle des Volkes” abhängen. Es zeigt ein geköpftes Brathähnchen, dessen überlanger Hals sich wie ein Schlauch aus den Gedärmen zieht, und ein Glas mit schalem Bier, in dem eine tote Fliege schwimmt. “In der Gruppenausstellung ‘Frühstück im Freien’ zeigt sich noch einmal die ganze Kraft der Künstler rund um das Leonhardi-Museum”, resümiert Bernhard Theilmann, Dichter und Mitbegründer der Obergrabenpresse, die turbulente Boheme-Reminiszenz: “Sie ist ein rauschend-finales Fest... Danach bleibt die Galerie bis 1986 aus ‘technischen Gründen’ geschlossen.”(8)

Technische Gründe sind es sicher nicht, die das Leonhardi-Museum vier Jahre zur uneinnehmbaren Festung machen, sondern vielmehr der Versuch, das rebellische Kunstquartier zu befrieden. Die Gegenwehr der Künstler bleibt gering. In jener Zeit wird auch das Biotop Loschwitz von der umgreifenden Agonie und kulturellen Lähmung nicht verschont. Die Ausreisezahlen sind enorm. Der Körnergarten verliert einen großen Teil seines Stammpublikums. Seismografische Indizien des Niedergangs: Selbst die Neujahrsgrüße von Matthias Griebel, sonst humorige Selbstinszenierungen, von Ernst Hirsch belichtet, werden zu düsteren Menetekeln. “Es war eine Zeit, in der man die Nerven behalten mußte”, beschreibt Griebel das Lebensgefühl der Spät-DDR. “Das hat einen schon stark mitgenommen, wenn man als Bevollmächtigter seiner ausgereisten Freunde die Ateliers und Wohnungen ausräumte und sie ihnen hinterherschickte. Orte, wo man lange Jahre verkehrte und Projekte verwirklicht hat. Das war eine deprimierende Zeit, in der man vielleicht doch noch zum Alkoholiker geworden wäre.”(9)

Selten entstehen neue Projekte, und wenn doch, dann meist nur als Überbrückung für die Zeit bis zum genehmigten Abschied. Eines davon ist die Galerie am Bach, vom Siebdrucker Eckehard Götze im April 1987 in seiner Werkstatt Altwachwitz 4 gegründet. Seit Mitte der 70er Jahre arbeitet er als freiberuflicher Drucker für Künstler wie Hermann Glöckner oder Wolfgang Smy, daneben hat er an der Dresdner Kunsthochschule einen Lehrauftrag inne. Nach dem Verkauf seiner Werkstatt führt er in der Wartezeit auf die Ausreisegenehmigung bis Dezember 1987 Ausstellungen durch. Den Lebensunterhalt verdient sich Eckehard Götze, dessen Werkstattfeste früher Höhepunkte im Loschwitzer Kulturleben gewesen sind, durch die Anfertigung von Holzspielzeughäusern. Nach seiner Übersiedlung 1988 nimmt Peter Junghanns den Staffetenstab auf und gründet die Galerie am Berg. Die Laufzeit ist gering, auch hier dauert die nonkonforme Galeristenkarriere nur bis zur bald gewährten Ausreise – Schwanengesang und letztes Aufbegehren zugleich. Ein Ausverkauf der Loschwitzer Szene setzt ein, der erst mit dem revolutionären Umbruch aufgehalten wird. “Wir wollten mit unserem Ausreiseantrag ein Zeichen setzen”, verteidigt der Filmemacher Ernst Hirsch die Motivation zum Gehen. “Es haben zwar viele Freunde damals nicht verstanden, aber es ging einfach nicht mehr. Und ich glaube, daß durch diesen Schritt viele nachdenklich geworden sind, was hier mit ihnen in diesem Land geschieht. Wenn der Hirsch geht, ja dann muß das doch Gründe haben. Der geht doch nicht, weil er ein Telefon oder Auto will. Und dieser Zwiespalt zerstörte vieles. Es war einfach nicht mehr die Stimmung zum Feiern da. Man zeigte auch nach außen nicht mehr solch große Aktivität. Da haben wir dann in Loschwitz aufgehört mit den Festen.”(10)


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