Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Lichter im Alltag

Inszenierung eines Lebensgefühls: Die Festkultur der Dresdener Boheme zwischen Barock-Reminiszenzen und Raumproblemen

Was da durch die Gullies dröhnt, erscheint der Volkspolizisten-Streife ziemlich rätselhaft: Dixieland-Sound aus der Kanalisation, gemischt mit Party-Geräuschen einer großen Gesellschaft, und das alles in einer Lautstärke, die manche Passanten auf dem Gehsteig zum Tanzen animiert. Die beiden Uniformträger machen sich an die Recherche und finden die Urheber des kostenfreien Straßenkonzertes im Untergrund. Genauer gesagt: direkt unter der Grundstraße in den Katakomben, in denen der Loschwitzbach vom Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch hinunter zur Elbe fließt und die vom Ufer aus betreten werden können. Zu den Klängen der Elb-Madow-Rambler, die sogar ein Klavier mit dabei haben, feiern dort mehr als 100 Gäste ein Künstlerfest.

Über das 80 cm breite Rinnsal haben die Festorganisatoren weiß gedeckte Tische und Bänke gestellt. Gegen den starken Luftzug schützen am Eingang befestigte Planen. Vorher haben die Organisatoren um Matthias Griebel die ‘Trille’, wie die mannshoch gemauerte Bachröhre im Volksmund heißt, vom Unrat der letzten Jahre befreit. Der nächtliche Besuch der Volkspolizei kann das Fest allerdings nicht beenden, auch wenn die Runde keine amtliche Genehmigung für ihr Treiben vorweisen kann. Die mit Taschenlampen anrückende Streife kapituliert schließlich vor der alkoholisierten Übermacht und reiht sich nach einem Begrüßungsgelächter mit in die Feierrunde ein. Der durch den Hall im unterirdischen Gemäuer verstärkte Sound ist einmalig. “Die ganze Grundstraße”, erinnert sich Matthias Griebel, “war eine einzige Trompete.”(1)

Der Gang in die Kanalisation folgt keiner dissidentischen Programmatik, sondern schlicht der Tatsache, daß für privat organisierte und von der Polizei nicht genehmigte Künstlerfeste dieser Größenordnung Anfang der 70er Jahre kein anderer Ort zur Verfügung steht. Permanente Raumnöte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Dresdner Subkultur. So finden viele Ereignisse unter freiem Himmel, im Umland oder an mitunter kurios anmutenden Orten statt: im Reichsbahn-Lokschuppen oder in Fußballclub-Baracken, im ursupierten Luftschutzkeller oder sogar in Höhlen des nahen Elbsandsteingebirges. Not macht erfinderisch – die bei diesen Außer-Haus-Veranstaltungen zu bewältigende Logistik ist jedoch enorm. Nur auf Privatgrundstücken und bei toleranten Gasthaus-Wirten finden die Festgesellschaften ein festeres Domizil. Etwa in der Keppmühle, um die am 29.5.1976 ein überregionales Künstlertreffen als “Hommage an die älteren Malerkollegen” stattfindet. Oder in der Gaststätte Staffelstein, wo unter dem Schutz der resoluten Wirtin “Zensi” 1975 und 1977 zwei poetische Künstlerkinderfeste durchgeführt werden – mit jeweils mehr als 300 Teilnehmern.

Auch hier gelingt es nicht immer, die gesetzlich vorgeschriebene polizeiliche Genehmigung der als Privatvergnügen getarnten Großveranstaltungen zu erhalten, so daß diese Feste oft genug eine Aura des Subversiven umgibt. Rigorose Eingriffe und durchgesetzte Verbote, wie bei einer am Feuer verbrachten Walpurgisnacht im Steinbruch Am Mordgrundaber, die sich dem Filmemacher Heiz Wittig besonders eingeprägt hat, bleiben jedoch die Ausnahme: “Da kam die Bereitschaftspolizei mit fünf Mannschaftswagen. Wir wußten zwar, daß die Staatsmacht so kurz vor dem 1. Mai besonders reizbar war. Aber das Anrücken von 30 bis 40 Polizisten in Schützenkette hat uns dann doch ängstlich gemacht.”(2)

Kein Wunder, daß in dieser unsicheren Situation die Faschingszeit zu einem über das karnevalistische Normalmaß hinausgehenden Freiraum wird. Einerseits geraten privat organisierte Faschingsfeiern zu mehrtägigen Festivitäten – etwa im Wachwitzer Lokal Heinrich’s Gaststätte oder im geräumigen Keller der Fotografen-Familie Krull in der Kaitzer Straße. Andererseits wird der Künstlerfasching an der Hochschule für Bildende Künste zu einem wichtigen Ereignis, seitdem dort in den 60er Jahren die abgebrochene Vorkriegstradition der Gauklerfeste teilweise neu auflebt. Beim dreitägigen Künstlerfasching “Loch Ness” finden 1965 immerhin 4.500 Leute Einlaß in die Hochschule.

Die Angst vor subversiven Büttenreden und der unangepaßten Menschenmenge ist jedoch so stark, daß statt der eingeladenen Jazzformation das Standortorchester der Volkspolizei zum Tanz aufspielt. “Loch Ness” wird dennoch legendär, vor allem weil neben der aufwendigen Kulisse die Wortbeiträge unter dem Schutz der karnevalistischen Redefreiheit zur kollektiv belachten Abrechnung mit den Verirrungen des Bitterfeldes Weges werden.

Ein weiteres denkwürdiges Karnevalsjahr ist 1977. Nach einem rigorosen Faschingsverbot Mitte der 70er Jahre darf ertmals wieder gefeiert werden. Einige Studenten füllen die sich unerwartet öffnenden Freiräume mit großformatigen Arbeiten aus. Ein Fürstenzug entsteht, dessen Anblick Rektor Kurt Eisel erzürnt zum Telefon greifen läßt. Über die Darstellung der Hochschul-Herrscher mitsamt ihren farbenkräftig ausgemalten Insignien der Macht kann die eilends einberufene Kommission nicht lachen. Sie sieht die Konterrevolution am Werk. Die Bilder werden von staatsloyalen Studenten und zur Pflichtarbeit befohlenen Assistenten übermalt. Statt des hintergründigen Panoramas zieren nun bacchantische Figuren die entpolitisierte Faschingskulisse. “Mit all den verfügbaren Genossen an der Schule wurde nun versucht, den Fasching trotzdem durchzuziehen”, erinnert sich die Malerin Christine Schlegel, damals Studentin im vierten Studienjahr. “Es wurde der Reinfall. Fast keine Studenten auf dem Fest, die Gäste standen hilflos herum, die Musik-Gruppen hatten Anweisung, keine aufreizende Musik zu spielen, überall lauerte die Stasi. Noch nach Wochen gab es vergammelte Restposten Bockwürste und schales Bier. Zur Mitternacht hatte Herr Eisel als Räumungsschutzmaßnahme eine Polizei-Hundestaffel bestellt. Sie erwischten aber nur den besoffenen Direktor für Erziehung und Ausbildung, einen sich an der Kunstakademie befindenden Major der NVA.”(3)


Dresden: Bunte Kolonie am Blauen Wunder           Seitenanfang           Nächste Seite