Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Mit diesem Credo ist der Alltag mitunter eine halsbrecherische Sache. Man würde Inge Thiess-Böttner allerdings Unrecht tun, ihr Leben nur als Abfolge staatlicher Eingriffe in eine über lange Jahre behinderte Künstlerbiografie zu verstehen. Als verfolgte, gar verfemte Künstlerin sieht sich die lebensfrohe Dame nicht. Ihr Leitspruch “L’art pour moi” bringt sie über die schweren Jahre der verhinderten Profession. Es tut schon weh, wenn Inge Thiess-Böttner als kaltgestellte Künstlerin den Studienbetrieb aus fremder Nähe erlebt. Doch neben dem Dienst ist da der Keller, den sie noch vor den eigentlichen Wohnräumen heizt. Ihre Kellergalerie ist weit mehr als ein temporärer Ersatzort für unangepaßte Kunstvermittlung. Auch wenn das Wasser für den Abwasch in Eimern geschleppt werden muß und durch die stickige Luft manchmal der Atem stockt. Er ist Treffpunkt, Freiraum, Domizil. Räumlich begrenzt, fast täglich geöffnet, nicht immer clean – aber ‘sauber’. Die Anwesenheit spaßtötender Ideologien duldet die Galeristin nicht. “Wir hatten nicht viel zu lachen, also lachten wir”(5), begründet sie die heitere Grundierung im Kellergeschoß. So findet sich in der unbewohnbaren Hausmannswohnung ein Freundeskreis, der lieber bei ‘Inge im Keller’, wie der wegweisende Terminus heißt, als in den kellnerbeschützten Stuben der Dresdner Erlebnisgastronomie bei Cabernet und Coschützer Flaschenbier zusammenklönt. Die Welt im Unterbau ist auch viel interessanter: Hier spielt sich Gottfried Reinhardt mit seinen Handpuppen durch die Mythenwelt der Atriden. Hier werden lustige Versteigerungen praktiziert – vom präparierten Raubvogel bis zur für fünf Mark angebotenen Lenin-Gipsbüste ist manch Skurriles dabei. Hier zeigen flügge gewordene Privatschüler von Inge Thiess-Böttner – sie leitet in ihrer Freizeit einen Laienzirkel und gibt kostenlosen Unterricht – selbstgefertigte Mode und Kunsthandwerk. Hier feiert man aber auch den Abschied liebgewordener Freunde, die nach jahrelangem Warten der realsozialistischen Malaise endgültig den Rücken kehren. “Der Keller und das Malen”, resümiert Inge Thiess-Böttner, “haben mich über die Zeit gebracht.”(6)

Die zahlreichen Ausstellungen sind uneingeschränkter Höhepunkt des alternativen Kellerlebens. Wenn der Kunsthistoriker Diether Schmidt zu den Vernissagen spricht oder der stadtbekannte “Freundeskreis Bildende Kunst” sich die Ehre gibt, dann wird die Böttnersche Galerie trotz sinnlicher Prioritäten zum zeitweiligen Intellektuellen-Asyl. Überhaupt ist das Galerie-Niveau nicht zu unterschätzen. Auch wenn einstige Keller-Künstler in heutigen Katalogen die Anfänge mitunter verschweigen. Neben der renommierten Tierplastikerin Etha Richter, die 1976 zusammen mit Arbeiten von Inge Thiess-Böttner die Kellergalerie eröffnet, stellen weitere inzwischen namhafte Künstler zwischen im geziegelten Keller aus. Ralf Kerbach, heute Professor an der Dresdner Kunstakademie, startet 1977 zusammen mit seinem Künstlerfreund Lutz Fleischer ins Ausstellungsleben. Werner Lieberknecht, Frank Panze, Andreas Hegewald – das Spektrum der Debütanten ist breit. Aber der Kunstanspruch ist nicht der einzige Impuls, der in den nächtlichen Runden zählt. Sind am Anfang noch verteilte Einladungskarten nötig, um Besucher anzulocken, so muß die couragierte ‘Künstlermutter’ bald schon auf der Hut vor zuviel Werbung sein. Zu manchen Eröffnungen drängen sich 60 bis 70 Besucher im kleinen Ausstellungsraum, die sich mitunter in einer Warteschlange bis auf die Straße reihen. Man sitzt auf Steinen und improvisierten Bänken, die Rahmen an der Wand hat Inge Thiess-Böttner vor dem Weg in den Müll bewahrt und mehrfach überstrichen. Probleme mit dem Untersuchungsorgan, wie sich die Staatssicherheit selbst tituliert, eskalieren nicht. Zwar taucht die Kellergalerie in manchen Akten als sogenannter Konzentrationspunkt oppositioneller Personenkreise(7) auf, doch führt die völlig überzogene Wertung der Staatssicherheit ‘nur’ zur verstärkten Observation, nicht zum Verbot. Außer ein paar Besuchen des Abschnittsbevollmächtigten wegen nächtlicher Ruhestörung bleiben rigide Maßnahmen aus. Erst als Mitte der 80er Jahre die Besucherströme überhand nehmen und die gereizte Stimmung der oftmals ungeladenen Gäste nach Ventilen für den alltäglichen Sozialismus-Frust sucht, hört die Galeristin von alleine auf. “Es war ein drängendes Gefühl”, erinnert sie sich, “jetzt lieber Schluß zu machen.”(8)

In den von Milben zerfressenen Gästebüchern finden sich Notate zur Zeit – treffliche Reflektionen, überspannte Zitatklauberei und Kunsturteile, deren Wertungen vom euphorischen Lob bis zum “NA-JA aber TROTZ-DEM” reichen, wie eine unleserliche Vierergruppe sich am 28. Januar 1984 im ausliegenden Buch verewigt. “Wir waren eine Familie und haben unheimlich viel Spaß gehabt.”(9) Inge Thiess-Böttner hat sich dieses Lebensgefühl bewahren können, auch wenn heute in der Weisheit des Alters manchmal die tatbereiten Kompagnons für den Künstlerspaß fehlen. Geschminkt als spanische Gräfin sah man sie noch vor kurzem mit ihrem Seelenverwandten Gottfried Reinhardt, der unter einer Alongeperücke versteckt als irrsinniger Begleiter mit riesigen Scheren fuchtelte, an die Scheiben des Loschwitzer Künstlerlokals Körnergarten klopfen. Und manchem der Gäste, sagt sie, sei dabei wieder einmal der Gedanke an die anderen, ganz anderen Zeiten gekommen.


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