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Gesichte, Chiffren, Schattenblätter

Zivilcourage in Blickhöhe: Die "Ateliergemeinschaft Erfurt" von 1963 bis 1974 als illegales Podium moderner Kunst

Rudolf Franke feiert den Jahreswechsel am liebsten mit Georges Braque und einer Flasche gut temperiertem Unstrut-Wein. Seit vierzig Jahren präsentiert der heute im Ruhestand lebende Dozent für Angewandte Grafik am Silvesterabend Schätze aus der hauseigenen Kunstsammlung - auf einer zusammenklappbaren Feldstaffelei, die er sonst für Naturstudien nutzt. Im neuen Jahr setzt sich die Zeremonie dann bis zum Frühjahr fort: Bis Ende März lädt Rudolf Franke an jedem Samstag meist vier, manchmal auch sechs Gäste in die kleine Neubauwohnung in der Riethstraße zu einem "Fest der Augen" ein. So nennt der kunstsinnige Hausherr, Jahrgang 1925, in Anlehnung an einen gleichnamigen Band über die Wiener Albertina seine private Moderne-Schau, die in Erfurt seit langem Kultstatus besitzt. Die farbkräftigen unsignierten Originalgrafiken von Braque und Chagall, in den 50er Jahren für den Spottpreis von 300 Ost-Mark pro Blatt vom befreundeten Hallenser Galeristen Eduard Henning (1) erworben, sind dabei meist unangefochtener Höhepunkt der exklusiven Wohnstubenretrospektive - neben den zahlreichen Arbeiten von Gerhard Altenbourg, mit dem Rudolf Franke über lange Jahre eine vielschichtige Seelenverwandtschaft verbindet.

Dabei ist die mehrstündige Kunstmesse keinesfalls eine trockene Angelegenheit: Die Dame des Hauses serviert Häppchen und Wein, während der mit weißen Handschuhen agierende Ehemann die seltenen Blätter vorlegt, über die sich dann in der kleinen Runde ein intensives Gespräch entlädt, das die eng gesteckten Grenzen des Ästhetischen bisweilen schnell verläßt. Die Komposition der begehrten Einladeliste für das "Fest der Augen" folgt einem für die bürgerlichen Alternativmilieus in der DDR typischen Schutzprinzip, das persönliche Nähe erst nach unmittelbarer Erfahrung von Loyalität und transparenter Weltsicht des neu in die Runde Eingeführten zuläßt. Geprüftes Vertrauen als Schlüssel zu Werken der Moderne des 20. Jahrhunderts, die bis in die späte DDR hinein außer in der Wohnung des uneitlen Kunstliebhabers nirgendwo sonst in Erfurt zu sehen sind. "Es gab praktisch keine Moderne hier", schildert Franke, der lange Jahre an der Erfurter Pädagogischen Hochschule unterrichtete, die Situation, "weder in Museen noch in Buchläden. Wenn ich meinen Studenten etwas über die Ecole Paris oder Picasso zeigen wollte, mußte ich lange Zeit die Buchbestellung bei meinem Rektor als notwendiges abschreckendes Beispiel bürgerlicher Dekadenz begründen. Es gab Lehrer, die unterrichteten Kunstgeschichte und hatten den Namen Braque noch nie gehört." (2)

In den 60er Jahren erlangt diese Art von zwangsverordneter Hörigkeit einen neuen Höhepunkt in der nach oben offenen Peinlichkeits-Skala realsozialistischer Kulturpolitik. Ein Zitat von Walter Ulbricht, natürlich auch im Erfurter SED-Bezirksorgan "Das Volk" abgedruckt, macht die zunehmende Tristesse des intellektuellen Lebens deutlich, das Abweichler von der Linie des sozialistischen Realismus nach den Formalismus-Debatten der 50er Jahre neuerlich unter Kuratel stellt: "Einige Kulturschaffende haben die große schöpferische Freiheit, die in unserer Gesellschaftsordnung für die Schriftsteller und Künstler besteht, so verstanden, daß die Organe der Gesellschaft auf jede Leitungstätigkeit verzichten und Freiheit für Nihilismus, Halbanarchismus, Pornographie oder andere Methoden der amerikanischen Lebensweise gewähren." (3)

Um so bemerkenswerter erscheint in diesem politisch aufgeheizten Kontext eine Inititative nicht mehr ganz junger Künstler und Intellektueller, die im Durch-schnitt bereits um die vierzig Lenze zählen und sich be-reits von Rudolf Frankes "Fest der Augen" her kennen. Ausgerechnet im Vorfeld des 11. Plenums (4), das wenig später zu einem dreisten Tribunal gegen jedweden künst-lerischen "Skeptizismus" gerät, gründet sich im Winter 1963 in Erfurt ein autonomer Künstler- und Freundes-bund. Im Gegensatz zum ausgegebenen Tagesbefehl macht der es zu seiner ureigensten Aufgabe, jener, durch den neuerlichen Einbruch kulturpolitischer Eiszeit kalt-gestellten Kunst, ein freies und kompetentes Podium zu bieten. Die für DDR-Verhältnisse einzigartige Phalanx nennt sich "Erfurter Ateliergemeinschaft." Sie besteht aus sieben Gründungsmitgliedern - den Grafikern Rudolf Franke und Alfred Traugott Mörstedt, dem Bildhauer Waldo Dörsch, den Kunsthandwerkern Günter Laufer und Helmut Senf, dem Fotografenmeister Johannes Sönnichsen sowie dem praktizierenden Kieferorthopäden Bernd Gröber.

Gestandene Männer, nicht ohne Einfluß im geschäftlichen und kulturellen Leben der Stadt. In einem Mansarden-atelier in der Neuwerkstraße, über einem renommierten Herrenausstatter gelegen, findet am 15. Dezember 1963 die erste Ausstellung der "Erfurter Ateliergemeinschaft" statt. Mit Werken des Künstlerbund-Mitgliedes Waldo Dörsch, der eigentlich in einem Rhön-Dorf mit unmittel-barer Nähe zur deutsch-deutschen Grenze lebt. Das unbeheizbare aber geräumige Erfurter Atelier übernimmt er durch glücklichen Zufall von einem befreundeten Malerkollegen. Da Bildhauer Dörsch den großen Arbeits-raum eher als Legitimation für eine polizeilich ange-meldete Nebenadresse in der Domstadt braucht, stehen die Räume zur Nutzung für die Aktivitäten der Freunde frei. Die Idee kommt vom Grafiker Alfred Traugott Mörstedt, Kapital und Verantwortung teilen alle sieben. Rund 60 Mark im Monat berappt jeder für die Gemeinschaftskasse. Davon wird die Miete an den liberalen Privatbesitzer gezahlt und die laufenden Kosten beglichen. Für die Grundausstattung an Wechselrahmen und Glasscheiben greift Johannes Sönnichsen, Besitzer eines florierenden Erfurter Fotoateliers, in die Tasche. Die Siebener-Runde kennt sich bereits lange Jahre und sitzt jeden ersten Dienstag im Monat am Stammtisch des damals noblen Erfurter HO-Restaurants "International". Der Leitspruch des Männerbundes stammt von Para-celsus: "Die Kunst gehet keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden".

Das Konzept einer privaten Ateliergemeinschaft ist so einfach wie revolutionär im Mief der Verhältnisse - vier bis fünf Mal im Jahr sollen in den von der Gemeinschaft getragenen Ausstellungen vor allem Künstler ein Forum finden, die unter das Dekadenz-Verdikt der kommuni-stischen Kulturwächter fallen. Die letzte Ausstellung im Jahr, die traditionelle Weihnachtsschau, reserviert die Ateliergemeinschaft für sich. "Junge Talente gab es zu jeder Zeit", erinnert sich Alfred Traugott Möhrstedt an das Gruppenmotiv, "wir wollten aber Leute ausstellen, die keine Anfänger waren und sonst nicht zum Zuge kamen." (5) An solchen ist kein Mangel in düsterer Zeit: Die Liste der Künstler (6), für die die Ateliergemeinschaft in den folgenden elf Jahren zu einer freigeistigen Adresse wird, ist lang. Sie beginnt beim genialen Zeichner-Solitär Gerhard Alten-bourg, der wegen angeblicher Zollvergehen 1964 zu einem halben Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt und lange Zeit stark behindert wird. Altenbourg richtet drei größere Personalausstellungen bei den Erfurter Freunden aus - unter anderem zeigt der charismatische Einzelgänger, der für viele nachwachsende Künstler zur haltungsprägenden Kult- und Leitfigur wird, hier erstmals seinen Lithografie-Zyklus "Im Hügelgau." Auch der Dresdner Alt-Konstruktivist Hermann Glöckner findet für seine Ausstellung zum 80. Geburtstag, von den Behörden in der Elbestadt vorzeitig abgebrochen, bei der "Erfurter Ateliergemeinschaft" ein neues Domizil. Der in Dresden verbotene Katalog verkauft sich hier in Windeseile, vor allem weil Rudolf Franke bei seinen Studenten an der Pädagogischen Hochschule, wo er Plakat- und Schriftgestaltung lehrt, heimlich die Werbetrommel rührt. "Einmal in Gang gekommen", schwärmt Mörstedt, "ent-wickelte die Sache ihren eigenen Schwung und riß selbst die Zweifler immer wieder aufs Neue mit." (7) Nur der Nestor der Runde, Günter Laufer, ein weithin anerkannter Kunst-schmied, "der ein paar Jahre über allem schwebte" (8), wie Franke achtungsvoll erwähnt, tritt aus Altersgründen mit den Jahren etwas kürzer. "Bei uns gab es keinen falsch-verstandenen Ehrgeiz und Futterneid", resümiert Alfred Traugott Möhrstedt: "Wir waren keine Kollegen, be-ackerten jeweils eigene Felder und arbeiteten in unter-schiedlichen Berufen. Das hielt unsere Gemeinschaft am Leben." (9)

An Publikumszulauf und Mitgliedsangeboten mangelt es der Runde nicht. Doch die Ateliergemeinschaft wird kein offener Verein, sie bleibt ein geschlossener Club auf-rechter Bürger, der seine Ausstellungen im Sinne der Künstler auf höchstmöglichem Niveau aber "tunlichst ohne Radau" veranstaltet. So unterliegt auch der Einlade-kreis wie schon beim "Fest der Augen" einer strengen Selektion. Am Anfang verschicken die Galeristen nur vierzig Einladungen, versehen mit einer Originalgrafik. Da das Atelier bei den Vernissagen schnell an seine räum-lichen Grenzen stößt, geht man alsbald dazu über, die Besucherströme zu lenken, in dem man Vertrauten oder von den Künstlern avisierten Besuchern für einige Stunden den Schlüssel leiht. Doch wer unangemeldet bei den Mörstedts klingelt, um in verklausulierten Sätzen nach dem begehrten Atelierschlüssel zu fragen, bekommt oft genug ein klares Nein zur Antwort, wenn dem Grafiker Person oder Anliegen als unseriös oder zwie-lichtig erscheinen. Wohl auch durch diese Kontrollinstanz verläuft die Galerietätigkeit ohne spektakuläre Zwischen-fälle. Ein Umstand, der die Staatssicherheit in größerem Abstand hält als einige fürchten. Erst nach Ende der Ateliergemeinschaft wird gegen Möhrstedt offensiv ermittelt (10)- mehr als zwanzig Spitzel berichten über den unangepaßten Grafiker, der aus seiner Haltung kein Geheimnis macht. "Unaufgeregt und nobel", wie der befreundete Dichter Harald Gerlach die Gesinnung Mörstedts beschreibt, "und mit jener vieldeutigen Heiterkeit, die er beim Artisten bewundert, der sich Höchstleistungen abverlangt." (11)

Die Künstler profitieren von der leisen und auf Kontinuität ausgerichteten Galeriearbeit. Auch der junge Achim Freyer, heute ein international anerkannter Bühnenbildner und damals noch stark geprägt von Gerhard Altenbourg, findet hier 1968 für seine Arbeiten ein aufmerksames Podium. Genau wie Roger Loewig - ein verfemter Grafiker und subtiler Ankläger des Regimes -, bei dem "die Balance von Leidensdruck und künstlerisch-moralischem Gegendruck" (12) zum konstitutiven Merkmal seiner Kunst gerinnt. Wegen einer geplanten Edition im Selbstverlag mit dem Titel "Obelisk", von der die Stasi erfährt, wird er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Davon verbringt Loewig zwölf Monate hinter Gittern bevor die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Nach seiner Haft kann der fast mittellose Zeichner dreimal in der "Erfurter Ateliergemeinschaft" ausstellen. Seine Blätter finden auch Käufer: "Als ich ihm 600 Mark nach der ersten Aus-stellung in die Hand drücken konnte", berichtet Rudolf Franke, "war er sehr froh über die finanzielle Hilfe. Er sagte, daß er mit dem Geld wenigstens zwei Monate über die Runden käme." (13) Ein besonderes Wagnis, für das sich Loewig nach seiner Ausreise bedankt. "Die Atelier-gemeinschaft Erfurt stellte zum ersten Mal in der DDR nach meiner Haft meine Arbeiten vor", heißt es 1973 an die Adresse des nonkonformen Männerbundes, "durch Erfurt gewann ich Freunde - die für die Fortführung jedes Gedankens, jedes Strichs, jeder Zeile unersetzbar sind. In der Ateliergemeinschaft Erfurt erkannte ich eine der ganz wenigen genutzten, aber unendlich wichtigen Möglich-keiten nicht befohlener, ungefälschter, eigentlicher Kunst zu dienen." (14)

Für ins Abseits gedrängte Künstler wie Loewig wird die Galeriearbeit zur konkreten Lebenshilfe - die Atelierge-meinschaft behält keine üblichen Provisionen ein, die bei kommerziellen Galerien normalerweise bis zu 50 Prozent des Verkaufspreises betragen, sie gibt den gesamten Erlös an den Urheber weiter. Zudem bemüht sich Rudolf Franke bei den Künstlern um bezahlbare Preise für die stetig wachsende Galeriekundschaft: Lithographien von Gerhard Altenbourg, die heute nicht unter 2500 DM kosten, wechseln damals etwa für 30 bis 60 Ostmark den Besitzer. Der charitative Zug ist dabei überlebens-notwendig - so hält man sich das Finanzamt vom Leibe und bietet den lokalen Kulturpolitikern keinen Grund zum Einschreiten. "Wir konnten immer argumentieren", erzählt Rudolf Franke, "daß wir die Verkäufe nur vermittelt haben. Damit war es die Angelegenheit des Künstlers, wenn er dafür Steuern zahlt." (15)

Zugleich wächst in Erfurt ein kleiner aber stabiler Markt von privaten Grafikkäufern. Ein Boom, den Rudolf Franke nicht nur mit seinem "Fest der Augen" und den insgesamt 45 Ausstellungen in der Ateliergemeinschaft beharrlich pflegt. Neben den Aus-stellungen geben die Freunde sogenannte "Jahresgaben" (16) heraus - Mappenwerke mit Originalgrafiken aussgestellter und befreundeter Künstler. Insgesamt erscheinen bis 1973 zehn Mappen. Die ersten beiden Ausgaben, die 1964 und 1965 in einer anfänglichen Auflage von 30 Stück schnell vergriffen sind, tragen noch keine poetischen Titel, die später zum Markenzeichen der mappen werden. Inspiriert von Max Kunze, der bereits in den dreißiger Jahren als Erfurter Museumsdirektor gegen die Ächtung "entarteter Kunst" einschritt, setzen Rudolf Franke und Alfred Traugott Mörstedt für die Editionsarbeit künftig thematische Schwerpunkte. Die Titelwahl für 1966 fällt dabei programmatisch aus - "Eisheilige" heißt die Mappe, die neun Grafiken enthält und für jedermann offensichtlich als Reflex auf die kulturpolitische Eiszeit zu verstehen ist. Sie kostet 100 Mark - wie ihre Nachfolger, die "Kontakte", "Die Stadt" oder "Gesichte", "Chiffren" und "Schattenblätter" heißen. Heute muß das Erfurter Angermuseum seine peinliche Angst damals vor dem Ankauf der Jahresmappen teuer bezahlen - für 30.000 DM ging im letzten Jahr eine komplette Sammlung in den Besitz des städtischen Museums über.

Die Existenz eines professionellen Forums zeitgenössi-scher Grafik weitet in Erfurt den Blick. Für viele junge Leute und auch die Mitglieder der Ateliergemeinschaft ist die Fahrt zu den internationalen Krakauer Grafik-Biennalen damals ein angesagtes Pflichtprogramm. Dort atmet man zu jener Zeit freier, schnürt kein enges Korsett das Denken ein. Verbotene Bücher, westliche Platten und die ersten Joints - Polen wird in dieser Zeit von wahren Pilgerzügen aus der DDR heimgesucht, die, ausgestattet mit Hirschbeutel, Jesuslatschen und Fleischerhemden aus dem VEB Arbeitsbekleidung, in den Sommermonaten zu den Warschauer Jazz-Festivals oder zu den Open-Air-Konzerten von Czeslaw Niemen trampen. Oder zur Krakauer Grafikschau: Zur 2. Biennale 1968 kommt es dabei zu einem Eklat, der die Anziehungskraft der polnischen Veranstaltung für die unangepaßte intellektuelle Jugend noch erhöht. Neben der offiziellen Auswahl des Künstlerverbandes wagen es vier DDR-Grafiker, ihre Arbeiten auf eigene Faust der international besetzten Jury zu präsentieren. Und ausgerechnet Ingo Kirchner, einer der vier Abtrünnigen, gewinnt den Biennale Grand Prix. Ein Umstand, der wenig später zur Abstrafung (17) von Dieter Tucholke, Robert Rehfeldt, Hanfried Schulz und Ingo Kirchner führt. Und wohl auch dazu beiträgt, daß alle vier Künstler später mit Einzelaus-stellungen im Erfurter Mansardenatelier glänzen.

Der unermüdliche Motor und Impulsgeber des Unter-nehmens bleibt über die ganzen Jahre Rudolf Franke. Ein agiler, freundlicher und gleichzeitig skeptischer Grafik-kenner und Künstlerfreund, der in einfühlsamen Er-öffnungsreden brilliert. Mit seinem alten Fiat Topolino, Baujahr 1935, holt er nicht nur die Exponate selbst bei den Künstlern ab. Mit dem Oldtimer hält Franke auch Verbindung zu den anderen "Kunst-Oasen", wie er die Ziele seiner zahlreichen Fahrten nennt. Sind es am Anfang vor allem Reisen zur Dresdner "Kunstausstellung Kühl", zur "Kunst- und Buchhandlung Engewald" in Leipzig oder zum freundschaftlich verbundenen Galeristen Eduard Henning in Halle, fährt das Ehepaar Franke später auch zur Karl-Marx-Städter "Galerie oben" und zum Leipziger Galeristen Hans-Peter Schulz. Diese per-sönlichen Kontakte verhelfen der Ateliergemeinschaft zu neuen Künstlern und machen das mutige Unternehmen der Thüringer landesweit bekannt. "Dadurch stellten wir auch auswärtige Künstler in der Ateliergemeinschaft aus", sagt Franke, "zum Beispiel Hermann Ober aus Freilassing oder Raoul Ubac. Letzterer hatte Hans-Peter Schulz einen Holzstock zur freien Verfügung geschickt, damit junge Leute kostenlos ein Blatt erlangen konnten." (18) Je renommierter die Aussteller in der Erfurter Neuwerkstraße werden, um so mehr wächst allerdings auch das Risiko der privaten Veranstalter. Die persönliche Haftung der sieben Mitglieder der "Erfurter Atelierge-meinschaft" erstreckt sich nicht nur auf den illegalen Tatendrang, sondern auch auf die bisweilen wertvollen Werke. Eine Transport- und Ausstellungsversicherung können die Kunstpioniere in der DDR nicht abschließen. Auch vor Diebstählen sind sie nicht gefeit. Zum Glück gibt es außer reichlich Glasbruch keine Vorfälle zu beklagen.

Still und würdevoll wie man begann, so endet 1974 auch die Geschichte der Erfurter Ateliergemeinschaft. Mit einer Abschiedsausstellung, bei der auf den Fotos vor lauter Gästen kaum noch Bilder an den Wänden zu sehen sind. Die Gemeinschaft hat zu diesem Zeitpunkt eine Dynamik erlangt, die nicht mehr mit den hergebrachten Mitteln der konspirativen Schlüssel-Weitergabe zu dämpfen ist. Zu-nehmend mischen sich Unbekannte unter die Zuschauer, entsteht ein explosives Gemisch untergründiger Rand-gruppen-Kommunikation, das nicht der Ästhetik der reiferen Ausrichter entspricht. Zudem fühlen sich nun auch staatliche Galerien, die seit Anfang der 70er Jahre wie Pilze aus dem Boden schießen, für die Werke der gestern noch verfemten Künstler verantwortlich. Bevor die Sache gänzlich aus dem Ruder gleitet, ziehen die inzwischen meist Fünfzigjährigen die Notbremse. Ein Trio jüngerer Künstler setzt die Ausstellungen später unter dem Namen "Erfurter Atelierbund" (19) fort - doch bereits nach einigen Ausstellungen, die qualitativ mit den Leistungen der Vorgänger nicht mithalten, ist definitiv Schluß. "Der Kreis war ausgeschritten", verteidigt Alfred Traugott Mörstedt die Entscheidung für's Ende, "der saubere Schluß war das Beste, was wir noch tun konnten." (20)


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