Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde von einer großen
Mehrheit der Inneren Mission, die auf einen 'sittlichen und nationalen Wiederaufstieg'
Deutschlands hoffte, freudig begrüßt. Auch die 'Deutschen Christen', die
nationalsozialistische Kirchenpartei, übte auf viele eine starke Anziehungskraft aus. Im
Central-Ausschuß hatte sie bald maßgeblichen Einfluß.
Die 'Nationalsozialistische Volkswohlfahrt' (NSV) strebte eine Gleichschaltung der 'Liga
der Freien Wohlfahrtspflege' an. Sie wollte den Erziehungs- und Vorsorgebereich allein
betreuen und den konfessionellen Verbänden lediglich die Alten- und
Schwerstbehindertenpflege überlassen.
Konflikterfahrungen wie diese und die Erkenntnis, daß der Nationalsozialismus die Kirche
zunehmend aus der Öffentlichkeit verdrängen wollte, veranlaßten viele Kirchenleute,
ihre Haltung zum Regime zu überdenken. So trat im Oktober 1934 erstmals die
'Arbeitsgemeinschaft der missionarischen und diakonischen Werke und Verbände' zusammen,
die der NS-kritischen 'Bekennenden Kirche' nahestand. 1938 nahm die 'Kirchliche
Hilfsstelle für evangelische Nichtarier' (Büro Pfarrer Grüber), die getaufte Juden
unterstützte, ihre Tätigkeit auf. Die Verfolgung der Juden nahm die protestantische
Kirche, von Ausnahmen wie dieser abgesehen, ohne hörbare Proteste hin.
Schon seit Mitte der zwanziger Jahre hatten sich Vertreter der Inneren Mission an der
Diskussion um Erbgesundheit und Eugenik beteiligt. Sie bejahten die Sterilisation als
sozialfürsorgerische Zwangsmaßnahme. Diese Position verstellte ihnen zunächst den Blick
auf die Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik. Zustimmend
beteiligten sich auch evangelische Krankenhäuser an der Umsetzung des 'Gesetzes zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses' von 1933. In den Jahren 1934 bis 1939 wurden in
Deutschland insgesamt etwa 350.000 Menschen zwangssterilisiert, Tausende davon in
Einrichtungen der Inneren Mission.Als
bald nach Kriegsbeginn auf Anordnung Adolf Hitlers mit der systematischen Tötung
behinderter Menschen in sechs staatlichen Anstalten (u.a. in der beschlagnahmten, ehemals
evangelischen Einrichtung Grafeneck in Württemberg) begonnen wurde, änderte sich die
bejahende Haltung der Inneren Mission zu den "rassehygienischen" Maßnahmen der
Regierung.
Die Vertreter der Inneren Mission, einig in der Ablehnung der Krankenmorde, versuchten
nun, ihre Staatsloyalität und eine verzögernde Verweigerung bei der Verlegung der
Kranken in die staatlichen Anstalten in Einklang zu bringen. Dabei zeigten einige
Anstaltsleiter großen Mut und Entschlossenheit, ihre Schutzbefohlenen vor dem Tod zu
retten. Bekannt wurden die Denkschrift von Paul Gerhard Braune an Hitler und die Weigerung
Friedrich von Bodelschwinghs d.J., die Meldebogen für viele Betroffene in Bethel
auszufüllen.
Bei den nationalsozialistischen "Aktionen" zur "Vernichtung lebensunwerten
Lebens" wurden in den Jahren 1939 bis 1945 mindestens 150.000 behinderte Menschen
ermordet, davon schätzungsweise 10.000 Menschen aus Einrichtungen der Inneren Mission.
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