Gegenwart der Vergangenheit. Verleugnen und Erinnern 
   
 
Die nationalsozialistische Vergangenheit spielte im Selbstverständnis der Bundesrepublik und der DDR eine zentrale Rolle. Während die Bundesrepublik als juristischer Nachfolgestaat des Deutschen Reiches dessen Verpflichtungen übernahm, legitimierte sich die DDR durch einen instrumentalisierten Antifaschismus. Diese Entscheidungen hatten direkte Konsequenzen für die Lösung von moralischen, politischen und juristischen Problemen. Beide Staaten standen vor denselben Fragen: Wie sollte man eine Bevölkerung, die das nationalsozialistische Regime zum großen Teil unterstützt und nur in Ausnahmefällen bekämpft hatte, integrieren? Wieviel an "Schuld" war man bereit zu akzeptieren?Wie verhielt man sich gegenüber den Verfolgten des Nationalsozialismus? Wie sollte man mit den Orten des nationalsozialistischen Terrors umgehen? Die Bundesrepublik und die DDR kamen zu unterschiedlichen Antworten: Im Osten wurde das Verhältnis zum Nationalsozialismus durch die Politik der SED vorgegeben. Im Westen dagegen spielten öffentliche Meinung und private Initiativen eine entscheidende Rolle - Skandale wurden häufig zum Auslöser für Lernprozesse. Obwohl immer wieder ein "Schlußstrich‹ unter die Vergangenheit gefordert wurde, ist heute nicht mehr strittig, daß die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus auch in Zukunft notwendig ist.
 
 
 The Presence of the Past - Denying and Remembering 
   
 
The National Socialist past played a central role in the way both East and West Germany defined themselves. Whereas West Germany accepted the obligations of the Third Reich as the regime's legal successor, East Germany sought to legitimize itself through instrumentalized antifascism. These decisions had direct consequences for solutions to moral, political and legal problems. Both states were faced with the same questions: How should they integrate a population that for the most part supported the National Socialist regime and only in a few cases actively opposed it? How much "guilt" were they willing to accept? What relationship should they seek to establish with the people persecuted under National Socialism? How should they deal with the key sites of National Socialist murder and repression?East and West Germany arrived at different solutions. In East Germany, the policies of the Social Unity Party determined the relationship with the National Social past. In the West, by contrast, public opinion and private initiative played a decisive role - with scandals frequently triggering learning processes. Although people have repeatedly demanded a "final reckoning" with the past, today it is no longer controversial to say that grappling with the period of National Socialism will be a necessity in the future as well.
 
 
 "Wir Massenmörder fordern Verjährung und danach Schadensersatz für's Untertauchen" 
   
 
Für alle nationalsozialistischen Verbrechen wurde das Jahr 1945 als Beginn der Verjährungsfrist festgelegt. 1955 waren somit Straftaten bis zu einem Strafmaß von zehn Jahren verjährt, 1960 die Totschlagsverbrechen. Als 1965 die Verjährung von Mord bevorstand, verlängerte der Bundestag das Ende der Frist zunächst um vier Jahre. 1969 um weitere zehn Jahre verlängert, wurde sie 1979 nach einer erbitterten öffentlichen Debatte ganz aufgehoben.Klicken Sie hier um das Bild zu vergrößern.

"Wir Massenmörder fordern Verjährung und danach Schadensersatz für's Untertauchen"
"We Serial Killers Demand a Statute of Limitations and Afterward Compensation for Having Had to Go Underground"

Plakat: Klaus Staeck
Göttingen 1979
Bonn, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
 
 
 Die juristische Verfolgung von NS-Straftätern -
The Prosecution of National Socialist Criminals
 
   
 
Bis Mitte der 50er Jahre ging die Zahl der NS-Strafverfahren zurück. Die meisten Vergehen schienen durch die Alliierten oder die deutsche Justiz bereits abgeurteilt zu sein.
Der "Ulmer Einsatzgruppenprozeß" 1958 zeigte dagegen, daß viele schwerste Verbrechen noch nicht geahndet waren. Daher wurde im selben Jahr von den Ländern die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg gegründet. Sie sollte eine systematische Strafverfolgung der NS-Verbrechen gewährleisten.
Dies war um so dringender, als 1965 ohne Gesetzesänderung die Verjährung von Morddelikten bevorstand. Die Arbeit der Zentralen Stelle führte zu zahlreichen Prozessen gegen NS-Verbrecher.
 
 
 Debatte des Deutschen Bundestages über die Verjährung von NS-Mordtaten 
   
 
Zu hören sind Auzüge aus den Reden von Ewald Bucher (FDP), Ernst Benda (CDU), Martin Hirsch (SPD) und Fritz Erler (SPD).
Die Verjährungsdebatte von 1965 gilt als eine der Sternstunden in der Geschichte des Parlamentes. Die Debatte war geprägt von einem Widerstreit zwischen dem Willen zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen und dem Wunsch, mit der NS-Vergangenheit abzuschließen.
Debatte des Deutschen Bundestages über die Verjährung von NS-Mordtaten
German Bundestag debate on the statute of limitations for Nazi murders

WDR
Bonn, 10.März 1965
Frankfurt am Main, Deutsches Rundfunkarchiv