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Gerhardt Csejka Kultur
des Vertrauens. Der Fall Rumänien Als das Goethe-Institut 1979 nach langem Hin und Her
schließlich doch sein Haus in Bukarest eröffnete, nahmen wir,
die designierten Nutznießer, dies als gutes Omen dafür, dass
das Netz hält, dass wir trotz aller wenig ermutigenden sonstigen
Vorzeichen nicht herausfallen würden aus dem Weltzusammenhang und
das Land nicht abstürzen würde ins Bodenlose. Was, wie wir heute
wissen, ein frommer Wunsch blieb. Schleichend, fast unbemerkt, hatte sich
nämlich im Rumänien der siebziger Jahre eine ungeheure Wende
vollzogen, so dass auf die hoch gespannten Frühlingshoffnungen des
Jahres 1968 (s. Ceauçescus spektakuläre Unbotmäßigkeitsgeste
gegenüber dem Moskauer "Großen Bruder": seine Weigerung,
in Prag mit einzumarschieren) recht unvermutet der Horror des Eiszeitkommunismus
folgte, mit unbeheizten Wohnungen, abgeschalteter Straßenbeleuchtung
und leeren Lebensmittelregalen. Der Möchtegernweltpolitiker hatte,
so schien es, zu hoch gepokert und dann auch noch Pech mit der Ölkrise;
jedenfalls stand Anfang der Achtziger der totale Ausverkauf an, und das
tapfere Führerlein ließ sein Volk bezahlen. Um ganz sicher
zu gehen, dass dem Volk nicht etwa ein Licht aufgesteckt wird, schottete
er es sorgfältig ab, kappte kurzerhand die Kommunikationsstränge
zur Welt, und so driftete das Land langsam, aber beständig in die
wirtschaftliche und politische Isolation. Im Jahr von "Goethes" Ankunft aber war es noch
nicht so weit. Das Verhältnis zu Deutschland war gut, nachdem Rumänien
als erster Ostblockstaat 1967 diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik
aufgenommen hatte, Staatsbesuch aus Bonn war nichts Ungewöhnliches,
Bundespräsident Scheel, Bundeskanzler Schmidt, Bundespräsident
Carstens gaben sich nacheinander die Ehre und halfen Rumänien auf
der internationalen Bühne beim Punktesammeln. Da war die Einrichtung
eines deutschen Kulturinstituts in Bukarest (die Franzosen und Amerikaner
hatten längst so etwas neben ihren Botschaften) ein logischer Schritt,
der weitere erfreuliche Perspektiven andeutete. Zwar verbesserte sich dadurch für uns, die Bürger des Landes, im Einzelfall kaum etwas, unsereins konnte nach wie vor nicht frei herumreisen, wir waren ja nicht im Besitz eines Passes, das kostbare Dokument wurde nur in bestimmten Fällen auf Antrag bewilligt - und manchmal, d.h. ziemlich oft, eben auch verweigert. Doch vermittelte die Praxis jener Zeit den Eindruck, als wäre es insgesamt leichter geworden, in den Genuss des Privilegs Reisepass zu gelangen, wie ja die politische Situation überhaupt noch Jahre nach den ersten Vorboten der neuen Winterstarre grundsätzlich im Zeichen der Öffnung zu stehen schien. |
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Solche Duplizität hatte System. Der begabte Stalinschüler N.C. sprach nach seinem Machtantritt so penetrant immer wieder von Reformen und (sozialistischer) Demokratie, dass diese Rhetorik, mit der er sich den Eurokommunisten andiente und der Welt als Mann der Entspannung vorstellte, möglicherweise in den Köpfen seiner Landsleute unbewusst einen stärkeren Nachhall hatte, als man meinen könnte. Jedenfalls bleibt, was die allgemeine Seelen- und Bewusstseinslage betrifft, im Rückblick eine eigenartig lange, zählebige Hoffnung das bestimmende Element. Sie überdauerte nicht nur den als "Kleine Kulturrevolution" apostrophierten Versuch von 1971, Kunst und Literatur erneut ideologisch an die Kandare zu nehmen, sondern auch den unverhohlenen staatlichen Angriff auf die Privatsphäre der Bürger von 1973: eine Strafandrohung für den Fall, dass man sich mit ausländischen Besuchern traf, ohne dies zu melden. Bei der Bekanntgabe dieses Dekrets auf einer Sitzung mit den Bukarester Schriftstellern erlebte ich zum ersten und letzten Mal heftigen Protest gegen die Anmaßungen des Staates. Elf Jahre später, als die Ausländerkontaktsperre in verschärfter Form neu aufgelegt wurde, wäre solches Aufbegehren nicht mehr denkbar gewesen. Unterdessen hatte sich die lange falsche Hoffnung letztlich doch verbraucht, die Orwellsche Zahl 1984 mit ihrer finsteren Strahlkraft hatte das freundliche Prager 1968 unwiderruflich aus dem Feld geschlagen. Gewiss keine leichte Aufgabe für einen "Goethe"-Menschen, sich auf Anhieb zurechtzufinden in diesen heikel-komplizierten Verhältnissen. Der Mann, der als erster Institutsleiter nach Bukarest kam, schien für die Aufgabe hervorragend gerüstet. Wir jedenfalls waren beeindruckt von der Souveränität, mit der er in diesem Stolperstaat den Institutsbetrieb zum Laufen brachte. Und indem dann recht systematisch der neue deutsche Film vorgestellt wurde und eine Reihe wichtiger deutscher Gegenwartsautoren lasen, geschah es, dass über die nötige Informationsarbeit im Sinne des so genannten Kulturaustauschs (also des näheren Kennenlernens) hinaus ein sanfter Modernisierungsdruck auf den rezipierenden Geschmack ausgeübt wurde. Dies gelang sicherlich nicht zuletzt dank der Autorität, die "der Westen" und "die deutsche Kultur" in dieser Gegend ganz natürlich ausstrahlten. Dadurch erfüllte "Goethe" im Bunde mit der amerikanischen und der französischen Bibliothek zweifellos die Rolle eines Beschleunigers der kulturellen Integrationsbewegungen, auch wenn der rumänische Sicherheitsdienst, die Securitate, darauf achtete, dass jene Leute, die es direkt anging, also junge rumänische Autoren, Filmemacher und solche, die es werden wollten, das Haus in der Regel mieden. Dr. Uwe Martin berichtet in seinem Büchlein "Von jenseits der Grenzen" (1995) darüber, wie die Angst vor den allgegenwärtigen Augen (und Fotoapparaten) der Staatsschützer die Studenten veranlasste, ihre Omas mit Bücherlisten in die Institutsbibliothek zu schicken, statt selbst hinzugehen. Aber wie frustrierend für die Programmgestalter, Bibliothekare, die ganze Equipe des Hauses und seinen jeweiligen Leiter solch behindertes, überwachtes Arbeiten auch gewesen sein mochte, sie schafften es immer wieder, nicht nur unverzagt weiterzumachen, sondern die Blockade zu durchbrechen, sie ließen die unüberwindlich scheinenden Hürden des Argwohns und die Fallstricke des Misstrauens hinter sich und begründeten eine Kultur des Vertrauens. Dass ohne diese Vertrauensbasis höchstwahrscheinlich
auch konkretere Erfolge ausgeblieben wären, zeigte sich allein schon
an zwei Großtaten "Goethes" in seiner Bukarester Frühzeit:
am Celan-Kolloquium 1981 und einer Gemeinschaftslesung junger rumäniendeutscher
Autoren in der Wohnung des erwähnten ersten Institutsleiters, Dr.
Uwe Martin, die zur Folge hatte, dass Herta Müller zu einem deutschen
Verlag kam (und damit der deutschen Literatur "zugeführt"
wurde). Und wenn der "Goethe"-Direktor auf die Idee kam, die Reisebehinderung junger rumäniendeutscher Autoren dadurch zu konterkarieren, dass er sie seinen Gästen aus Deutschland, Peter Härtling, Friedrich Christian Delius u.a., vorlesen ließ, gestalteten sich die entsprechenden Abende in seiner Direktorenwohnung in ähnlich anspruchsvoller Weise dialogfreudig, so dass am Ende nicht nur hehre Worte, sondern Taten standen: F.C. Delius versprach Herta Müller, den starken Eindruck, den ihre Prosa auf ihn gemacht hatte, beim Berliner Rotbuch Verlag in einer Empfehlung weiterzuvermitteln, und so wurde der Weltbürger Goethe im fernen Rumänien zum Patenonkel einer Autorin, von der die Journalisten heute noch oftmals nicht wissen, ob sie als deutsche, rumänische, deutschrumänische oder rumäniendeutsche zu bezeichnen ist. Während ihre in Deutschland politisch organisierten
Landsleute sie blind giftend mit Anschuldigungen empfingen und als gefügiges
Instrument der Entnationalisierungspolitik des rumänischen Diktators
denunzierten, schien man im Bukarester Goethe-Institut auf Anhieb zu wissen,
wann Vorsicht geboten und Misstrauen angebracht ist: Eine Zeit lang hütete
ein Bernhardiner das Haus.
Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen: im
Kronprinzenpalais erschienen im C.H.
Beck Verlag |