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Berthold
Franke Die Verachtung der Kulturpolitik Als common sense einer neuen Generation
von Kulturkritikern scheint sich eine Art Verachtung der Kulturpolitik
durchgesetzt zu haben. Angesichts leerer Kassen ertönt allenthalben
der Aufruf zum Schlachtfest in der öffentlichen Kulturförderung,
zum Durchlüften und Großreinemachen Nun ist diese Generation ihrerseits geprägt vom Kulturkampf. Verbindendes Projekt jenseits aller Wirrnisse der Politik war die Institutionalisierung einer pluralistischen, dezidiert kritischen und modernen Kultur gegen den Muff der Adenauer-Jahre, gegen den Kommisston in der gesellschaftlichen Kommunikation und die Heuchelei des kleinbürgerlichen Bildungskanons. Dieser Kampf ist längst gewonnen, und die Helden von einst streicheln sich zufrieden die Bäuche. Sie selbst haben oft in den Kultur- und Bildungsinstitutionen ihr Auskommen gefunden, gerne belächelt ob der einstigen großen Sprüche, doch wohlversorgt und politisch am Drücker. "Kultur für alle!" (Hilmar Hoffmann) hieß das schwer zu überbietende Motto der siebziger Jahre. Die Schauplätze des Projekts waren die großen Kommunen, die dem Guten, Wahren, Schönen die Soziokultur beigaben, auch die kommunalen Kinos und die freien Theatergruppen. Die Bundesländer sorgten für A13-Festanstellungen und die Gesamtschule, der Bund baute sein Netz der Goethe-Institute aus, auf dass eifrig die Botschaft vom anderen Deutschland und seiner demokratischen Kultur verbreitet werde. Mit GRIPS und Enzensberger, mit Faßbinder und Mangelsdorff zog man in die Welt, um dort im gezielten Widerspruch zur offiziellen Hochkultur ein besseres Deutschland vorzustellen. Es ging gegen die eigene Geschichte und gegen die allgegenwärtige "Spießer-Ideologie" (so der Titel eines erfolgreichen Buches des Nürnberger Kulturdezernenten Hermann Glaser), vom Kuppeleiparagrafen über den Gesangsverein bis zur reaktionären Klassikerpflege. |
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Es geht nicht darum, wer Recht hat in diesem Streit, sondern um ein tieferes Muster, das sich dahinter verbirgt. Zunächst einmal spiegelt sich darin ein Problem der Kulturkritik oder, weniger anspruchsvoll ausgedrückt, des Feuilletons. Denn ohne Zweifel waren die "kritischen" Kulturjournalisten ehedem Angehörige jener altwestdeutschen Koalition, die gemeinsam mit den Künstlern und den Vermittlern, darunter auch dem Goethe-Institut, gegen Kulturspießer aller Art ("Aktion saubere Leinwand") den großen Sieg in den Medien ausfocht. Zu den originären Paradoxa der westdeutschen Nachkriegs-Kulturgeschichte
gehört zweifellos, dass draußen im Namen und Auftrag Deutschlands
die deutsche Avantgarde gegen die offizielle Kultur ins Feld führte.
Ach, muss das schön gewesen sein, als man mit einer kleinen Provokation
von Staeck oder Grass schnell den Geschäftsträger der Auslandsvertretung
erregen und sich selbst damit in die Presse bringen konnte ("Rettet
die Unabhängigkeit der deutschen Kultur im Ausland!")! Allein
das Fehlen einer Figur wie F.J. Strauß, für dessen Wort von
den "Ratten und Schmeißfliegen" Künstler aller Sparten
ewig dankbar sein müssen, hat den Arbeitsalltag eines durchschnittlichen
Kulturmenschen seitdem um einiges erschwert. Strauß' unvergessene
Attacke gegen das Goethe-Institut von 1986 empfahl doch tatsächlich
gegen den linken Kulturpessimismus in der Außendarstellung das Vorbild
im Osten: "Die hellen und festlichen Farbtöne, mit denen die
DDR ihr Land im Ausland malt, werden auf Dauer erfolgreicher sein als
die düstere Götterdämmerungspalette der Bundesrepublik
Deutschland." Natürlich war es das. Das Ethos der Gründergeneration
des Goethe-Instituts - wie dasjenige des liberalen Nachkriegsfeuilletons
- leitete sich ab aus dem Einsatz für "die Kultur" gegen
"die Politik". Schauplatz waren manche dem Selbstbild schmeichelnde
Scharmützel mit den Auslandsvertretungen und das finale shootout
mit dem großen Vorsitzenden. Ironischerweise ist es aber gerade
dieses Muster, das ganz offensichtlich auch der neuen Attacke gegen die
Kulturpolitik zu Grunde liegt. Im Namen der Kunst gegen die Arroganz der
Administratoren. Im Ausland übrigens kennt man das, ja man erkennt
uns daran. Die deutschen Indianerspiele werden nun aber komplizierter.
Es ist nicht mehr ausschließlich die Kultur, die den weißen
Cowboyhut trägt - ihr Gegenüber die finsteren Vollstrecker der
Macht. Nachdem auf der konservativen Seite der Kalte Krieg und auf der
linken der Kulturkampf gewonnen ist, hat die Kulturszene ihr identitätsstiftendes
Großprojekt verloren und muss sich in vielen einzelnen Aktionen,
Positionen und Entwürfen behaupten. Der generationenlange, die Kulturgeschichte
prägende Widerspruch zwischen Kultur und Politik beginnt sich vor
dem Hintergrund der 50- bzw. 10-jährigen demokratisch-zivilen Entwicklung
Deutschlands aufzulösen. Zu den essentials dieser Entwicklung gehört
aber die öffentliche Verantwortung für eine liberale Kultur-
und Bildungspolitik. Ansonsten: Kultur, auch internationaler Kulturdialog,
findet statt. Ein internationaler Kunstmarkt, der ethnisch-kulturelle
Pluralismus in den Metropolen, der immer erfolgreichere kommerzielle Sektor
mit Events und Festivals, die Globalisierung der Worte und Bilder in TV
und Internet sind Alltag. Kultur bedeutet Differenz - innerhalb und zwischen
den national oder regional definierten großen Kulturräumen,
und Kulturpolitik heißt die Schaffung und Bewahrung von Institutionen
und Öffentlichkeiten, die Raum geben für all das, was der kommerzielle
Sektor nicht schafft und durch die allgegenwärtige Kulturindustrie
bedroht wird. Und das verlangt Geld (wenn auch nicht besonders viel!).
"Das schlichte Lamento, für Bildung oder Kultur müsse doch
Geld da sein, macht inzwischen aggressiv" (Klaus Hartung). An diesem
Satz stimmt, dass schlichtes Lamento auf die Dauer aggressiv machen kann.
Dass für Kultur und Bildung Geld da sein muss, ist eine Binsenweisheit. Wenn forsche Redakteure, auch wenn sie sich expressis
verbis noch nicht so ganz trauen, die umstandslose Abschaffung der öffentlichen
Kulturförderung erwägen, geschieht das zumeist im Sinne eines
überfälligen Abbaus institutioneller Fettlebe. Der neoliberale
Zeitgeist kommt ins Spiel: Wie bei der "Sozialneid"-Metapher
eingeübt, wird die Beweislast einfach umgedreht. So als ob es um
die gegenüber kommenden Generationen unverantwortbare Verschwendung
von Ressourcen gehe, wird die Kulturpolitik insgesamt für überflüssig
erklärt - und zwar im Namen der Kultur. Generationen von Wirtschaftskapitänen,
denen beim Goethe-Institut einfach die ganze Richtung nicht paßte
("... nicht umsatzfördernd für die chemische Industrie
..."), konnten nur davon träumen, was die selbst ernannten Verfechter
der Kunst heute vorschlagen: Die Kultur sei ein Sanierungsfall etc. -
der Jargon der Renten- und Standortdebatte liefert das Vokabular. Könnte
es sein, dass sich hier zwischen Kulturkritik und Neoliberalismus eine
neue, kraftvolle Allianz anbahnt? Jedenfalls riecht das Ganze nach "Deutscher
Ideologie", nach Endkampf und großem Aufräumen, dazu der
seit der konservativen Revolution bekannte sound vom "Was fällt,
soll man noch stoßen!" Dagegen steht die auf den ersten Blick schwächlich
wirkende Rede davon, dass Kulturpolitik, wenn sie vernünftig betrieben
wird, nicht Subvention, sondern Investition bedeutet. Die Renditen einer
generationenlangen Arbeit der Goethe-Institute sind beträchtlich.
Auch von den Errungenschaften des Kulturkampfes der 68er Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen: im
Kronprinzenpalais erschienen im C.H.
Beck Verlag
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