Peter Höschele

Freiheitliche Selbstzensur in Karachi

Die Frage heißt also: Was soll das Goethe-Institut, die kulturelle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, in einem Land tun, das sich "islamisieren" will, wo Studentengruppen die Vision eines Chomeini-Staates heraufbeschwören und die Regierung mit diktatorischer Gewalt freiheitliche Regungen im öffentlichen Leben und auf dem Gebiet des künstlerischen Schaffens so gut wie möglich unterdrückt?

Um diese Frage beantworten zu können, sollte ich zuerst aufzählen, was uns an Einrichtungen zur Verfügung steht.
Wir haben eine Bibliothek mit ungefähr 7000 Bänden, eine Tageszeitung (die SZ), eine Wochenzeitung (die ZEIT), den Spiegel, den Stern und eine lange Liste von Fachzeitschriften. Von den Büchern sind 55 % in englischer Sprache, damit ein größerer Prozentsatz von Pakistanern unsere Bibliothek benutzen kann. Damit niemand Anstoß an der sexuellen Freizügigkeit der Bundesrepublik nehmen kann, üben wir eine "freiheitliche und freiwillige" Selbstzensur aus. Sowie Spiegel und Stern und andere Zeitschriften eingehen, nimmt sie unser Herr Ambrose, Telefonist und Hausverwalter, genauestens unter die Lupe und sucht nach nackter Haut. Oft braucht er da nicht lange zu suchen, sie prangt schon verlockend auf dem Titelblatt. Hat er diese Haut des Anstoßes erblickt, geht er mit Filzstift und Tinte ans Werk. Er malt aber keine Sternchen über die Wärzchen, sondern er zieht den schönen Frauen Pullover, Kleider und Blusen an. Und er macht das mit solchem Geschick, dass man bei oberflächlichem Draufsehen nicht bemerkt, dass da zensiert wurde.

In einer der letzten Spiegel-Nummern bekleidete er den ganzen Harem eines früheren Afrikaforschers mit Bikinis, die es natürlich zu der Zeit gar nicht gegeben hatte. Aber wenn wir so für Zucht und Ordnung sorgen können, wollen wir es halt tun. Am gedruckten Text zensieren wir nicht herum, auch wenn etwas über Pakistan drin stehen sollte.

Aus einem Brief des Institutsleiters von Karachi
an das Mutterhaus (1984)

 

Der Artikel ist in der Festschrift zur gleichnamigen Ausstellung erschienen:

Murnau Manila Minsk
50 Jahre Goethe-Institut
Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums
und des
Goethe-Instituts Inter Nations e.V.
vom 5. Juli bis 25. September 2001

im Kronprinzenpalais
Unter den Linden 3
10117 Berlin-Mitte

erschienen im C.H. Beck Verlag
Der Katalog ist über den Museumsladen des Deutschen Historischen Museums zu beziehen und kann per email unter verkauf@dhm.de bestellt werden.
Preise: DM 25,- für Ausstellungsbesucher und DM 39,- im Buchhandel. ISBN 3 406 47542 6.