Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften
Neueste Geschichte
Dr. des. Kiran Klaus Patel in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM, Brigitte Vogel und Stefan Bresky, Museumspädagogik)
Wintersemester 2001/2, Mi 14-16 Uhr, Raum 3015

 

Die Vernichtung der europäischen Juden
als Thema der Geschichtswissenschaft und einer Ausstellung des DHM

 

Protokoll der 8. Sitzung vom 5. 12. 2001


Im Mittelpunkt der 8. Sitzung stand die Frage nach der museumspädagogischen Vermittelbarkeit der Shoah, die in zwei Themenschwerpunkten diskutiert wurde. Im ersten Teil haben wir versucht, die historischen Entwicklungslinien der Auseinandersetzung mit der Shoah nach 1945 im Ost-West Vergleich nachzuzeichnen. Der zweite Teil beschäftigte sich mit der praktischen Seite der Vermittlung der Shoah. Hier wurden besonders die methodischen Möglichkeiten besprochen, die den Museen zur Verfügung stehen, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Besuchergruppen eingehen zu können.

I.) Die historische Perspektive der Auseindersetzung mit der Shoah
Einleitend wurden anhand des Textes "Nationalsozialismus und Holocaust in der historisch-politischen Bildung" von Annegret Ehmann und Hanns-Fred Rathenow die Begriffe Shoah und Holocaust auf ihren Bedeutungsgehalt und ihre Verwendbarkeit hin untersucht. Beide Begriffe sind als Fremdwörter in den 80er Jahren in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen und werden ausschließlich als Synonyme für den Völkermord an den Juden verstanden. Holocaust bedeutet 'Brandopfer' und enthält die religiöse Vorstellung eines Gott dargebrachten Opfers; Shoah steht für 'Katastrophe' und weckt die gefährliche Vorstellung, dass der Massenmord unvermeidlich war und als schicksalhafte Katastrophe über die Juden hereingebrochen sei. Die Verwendung der Begriffe bewirkt einerseits eine problematische Hierarchisierung der Opfer, in dem der NS-Völkermord und damit verbunden auch das Euthanasieprogramm in den Hintergrund gerückt werden. Auf der anderen Seite wird damit die Perspektive der Täter völlig ausgeklammert. Selbst der Begriff Genozid ist insofern nicht ausreichend, da er das Besondere des nationalsozialistischen Massen- und Völkermords: die von einer Staatsgewalt geplanten und fabrikmäßig ausgeübten Verbrechen, nicht hervorhebt.

In einer neueren Diskussion hat Guido Knopp den Begriff "Holokaust" vorgeschlagen, der das englische Wort Holocaust ablösen soll. Er vertritt die Meinung , dass mit der Verwendung des deutschen Wortes auch eine Identifikation mit der eigenen Geschichte einhergehen würde. Vergleiche dazu: Knopp, Guido: Holokaust. München 2001, S.20-22.

Daran anschließend wurden die verschiedenen Phasen und Zäsuren im Umgang mit der Shoah in der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte und den beiden deutschen Staaten diskutiert. Insgesamt lassen sich vier Phasen feststellen:
1.) 1945-49
Diese Zeit ist geprägt von den Entnazifizierungs- und Umerziehungskonzepten der Siegermächte USA, Sowjetunion, Grossbritannien und Frankreich, was sich u.a. in einem allgemeinen Aufbruch in der Schulpädagogik äussert. In dieser Zeit wird erstmalig die Frage nach den langfristigen Ursachen des Antisemitismus in Deutschland gestellt.
2.) 50er Jahre
Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 trat die BRD die Rechts-nachfolge des Deutschen Reiches in Abgrenzung zum Nationalsozialismus und Kommunismus an. Zu dieser Zeit herrscht Desinteresse an einer tiefgreifenden Aufarbeitung der Vergangenheit.
Dagegen sieht sich die DDR als staatliche Neugründung, die auf dem antifaschistischen Widerstand aufbaut und daher jede Verantwortung für die Verbrechen der NS-Zeit ablehnt. Sie konzentriert sich ausschliesslich auf die Opfergruppe der Kommunisten, die Vernichtung der Juden wird nicht thematisiert.
3.) 60er Jahre
Es kommt zu einem Umbruch in der BRD hin zu einem kritischeren Umgang mit der NS-Geschichte. Dies ist einerseits auf eine Welle antisemitischer Vorfälle in den Jahren 1959/60 zurückzuführen. Andererseits wächst die Nachkriegsgeneration heran, die Fragen nach der persönlichen Verantwortung der Täter stellt. Die Shoah wird in dieser Zeit in der Öffentlichkeit stark thematisiert, wobei die Prozesse um Auschwitz und Eichmann und deren Verbreitung durch die Medien eine grosse Rolle spielen. Ein weiterer Grund für den Umbruch ist die Änderung des Blickwinkels in der Geschichtswissenschaft. Nicht mehr nur der reine Ablauf von Ereignissen ist von Interesse, sondern die Frage nach gesellschaftlichen und sozialen Strukturen gewinnt an Bedeutung.
4.) 90er Jahre
Nach der Wiedervereinigung lässt sich feststellen, dass die Indoktrination über ein System (BRD oder DDR) keine langfristigen Auswirkungen zeigt, sondern dass vielmehr das aktuelle soziale und kulturelle Umfeld eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Einstellungen und Meinungen spielt.

II.) Die methodische Vermittlung der Shoah in den Museen
Im zweiten Teil beschäftigten wir uns mit der Frage, welche Vermittlungsangebote und Strategien grundsätzlich denkbar wären, um die Sonderausstellung für die unterschiedlichen Besuchergruppen interessant zu gestalten. Diese Frage ist so wichtig, weil sich schon viele Ausstellungen mit der Shoah auseinandergesetzt haben.
Dabei wurde deutlich, dass es grundsätzlich zwei Herangehensweisen gibt, um die Shoah einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die erste ist eher emotionaler Natur und zielt darauf ab, eine Identifikation mit den Opfern herzustellen. Ein Beispiel dafür ist das Holocaust Memorial Museum in Washington, in dem jeder Besucher am Eingang einen entsprechenden Ausweis bekommt, der ihn durch die Ausstellung begleitet. Eine anderer Zugang ist die eher rationale Vermittlung, durch die versucht wird über die Rekonstruktion von Ereignisssen ein möglichst detailliertes Bild über die Shoah zu erhalten. In der Diskussion wurden die Vor- und Nachteile der beiden Zugänge angesprochen. Dabei wurde auf die Gefahr der Moralisierung hingewiesen wurde und die Tatsache, dass gerade vom Land der Täter erwartet wird, besonders sensibel mit diesem Thema umzugehen.
In einem weiteren Schritt kamen konkrete Vorschläge aus dem Plenum wie die Ausstellung ansprechend vermittelt werden kann. Eine Idee war, das Alltagsleben von Individuen im Kontrast zu den zahlreichen Dokumenten der Täter darzustellen. Ebenso soll besonders herausgearbeitet werden, wie jüdische Menschen in Deutschland lebten. Für die praktische Gestaltung der Schülerarbeit kam der Vorschlag, dass sich Kleingruppen mit einzelnen Originaldokumenten beschäftigen könnten und diese anschließend der Klasse vorgestellt werden. Besonders wichtig ist es, den Schülern einen individuellen Zugang zum Thema zu ermöglichen und so ihr Interesse zu wecken. Ein wesentliches Ziel der Schülerarbeit ist es, einen Gegenwartsbezug herzustellen, da durch die Kenntnis der Vergangenheit aktuelle Themen besser verstanden werden können.
Am Ende der Stunde wurde schließlich von seiten der Museumspädagogik das Führungskonzept für die Ausstellung vorgestellt. Aus den bisherigen Erfahrungen im DHM wurden insgesamt drei Führungen vorbereitet:
1.) Für Erwachsene
2.) Für die 9. Klasse (nur die Dokumentation der Shoah)
3.) Für die 12. Klasse (nicht nur die Dokumentation, sondern auch die Rezeptionsgeschichte und die Gedenkstätten-Debatte)

Dabei sollte man bei jeder Führung bedenken, was für die jeweilige Gruppe von Interesse sein könnte und welches Vorwissen vorausgesetzt werden kann. Wichtig dabei ist, dass das Vergangene nicht abstrakt dargestellt wird, sondern durch anschauliche Beschreibungen für unseren Alltag an Bedeutung gewinnt. Ziel des Rundgangs und der vermittelten Informationen ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen.


Weiterführende Literatur:

EHMANN, Annegret/RATHENOW Hanns-Fred, Nationalsozialismus und Holocaust in der
historisch-politischen Bildung. in: Brinkmann, Annette (Hrsg.): Lernen aus der
Geschichte. Bonn 2000, S.24-61.


Esme Caubo / Anne-Christin Saß

 


 

Zurück zur Übersicht